Mit CO2 Geld verdienen?
17. November 2019Zehn Liter. So viel Kraftstoff können Roland Dittmeyer und seine Kollegen bislang pro Tag produzieren. Zehn Liter. Und trotzdem ist es eine kleine Revolution. Denn der Forscher vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und seine Partner gewinnen den Kraftstoff unter Einsatz von Ökostrom aus einfachsten Zutaten: Wasser und Luft.
Luft enthält als natürlichen Bestandteil CO2 - das jedoch momentan viel zu viel. Die Erderwärmung auf zwei Grad gegenüber vorindustriellem Niveau zu begrenzen und hierfür den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu reduzieren, hatte man 2015 in Paris beschlossen. In Realität jedoch steigen die weltweiten CO2-Emissionen kontinuierlich an, verfehlen die G20-Staaten ihre Klimaziele, rauscht auch Deutschland mit Vollgas an seinem Vorhaben vorbei, bis 2020 40 Prozent seiner CO2-Ausdünstungen einzusparen. Und spätestens damit wird CO2 zum Sorgenkind.
Ökostrom macht's möglich
In derart düsteren Zeiten klingt eine Technologie, die CO2 aus der Luft abscheidet und zu Kraftstoff verarbeitet, wie ein Traum. Realisiert wurde er gerade in Karlsruhe. In einer Kompaktanlage integrierten die Partner Climeworks, Ineratec, Sunfire und KIT erstmals die vier notwendigen Prozessschritte, um aus Kohlendioxid, Wasser und Ökostrom wieder Kraftstoff herzustellen. Kohlendioxidneutral.
Bislang beträgt der tägliche Umsatz besagte zehn Liter, in zwei bis drei Jahren sollen die in der Forschungsanlage gewonnen Erkenntnisse für den Bau einer größeren Anlage dienen, die dann täglich 200 bis 300 Liter erzeugen soll, berichtet Roland Dittmeyer, Forschungskoordinator am KIT. "Mit dieser Menge kann man dann genauere und umfangreichere Charakterisierungen machen, bis hin zu einem Testflug." Im Anschluss ist eine Anlage als Prototyp geplant, die täglich 1500 bis 2000 Liter erzeugen und in transportablen Containern aufgebaut werden kann. Vorteil des dezentralen Konzepts sei, dass die Reaktoren flexibel arbeiten können - je nach Verfügbarkeit von Ökostrom.
Einsatzort: Flugzeug und Schwerlast
"Es ist völlig klar, was die Vision ist: In Zukunft haben wir Strom aus erneuerbaren Energien. Und wenn ich den direkt nutzen kann, ist es am allerbesten", so Roland Dittmeyer. Den Wirkungsgrad seiner Technologie schätzt er auf 60 Prozent, "das heißt, von dem Strom, den wir letzten Endes reinstecken, landen 60 Prozent im chemischen Kraftstoff." Allerdings gebe es Transportsegmente, die mit Batterien oder Wasserstoff - Technologien mit einem höheren Wirkungsgrad - nicht gut funktionieren, "zum Beispiel Flugzeuge oder Schwerlastmaschinen, da reicht die Energiedichte einfach nicht."
Am Ende seien Geschäftsmodelle, die CO2-Bepreisung oder das Einführen einer Zumischquote entscheidend, da - zumindest heute - die Herstellungskosten höher seien als die Marktpreise der fossilen Kraftstoffe. "Das wird sich in den nächsten Jahren auch nicht so einfach ändern. Das heißt, man muss dafür sorgen, dass ein Markteintritt möglich ist", meint der KIT-Professor. Unter günstigen Bedingungen, also einem niedrigem Strompreis, kostet der Karlsruher E-Fuel 1 bis 1,50 Euro pro Liter - mehr als doppelt so viel wie steuerbefreites Kerosin.
Mit seiner Kompaktanlage trägt das KIT zu einer Reihe neuartiger Verfahren bei, die Kohlendioxid aus Luft, Treibstoffverbrennung oder Industrieprozessen einfangen, für die Herstellung hochwertiger Produkte wiederverwerten oder permanent tief unter der Erde speichern. Ihr Name: CCUS (Carbon Capture, Utilization and Storage).
CCUS - ein Milliardenmarkt
Laut Internationaler Energieagentur ist CCUS ist eine der wenigen technologischen Lösungen, die die Emissionen aus Kohle- und Gasenergie oder Schlüsselindustrien wie Stahl, Zement oder Chemie reduzieren kann - Industrien, die Grundbausteine moderner Gesellschaft bleiben würden. Wolle man die Klimaschutzziele erreichen, müssten bis zum Jahr 2040 sieben Prozent der CO2-Emissionen via CCUS reduziert werden: Statt momentan 32 bald also 2300 Millionen Tonnen pro Jahr.
Das hat nicht nur ökologische Dringlichkeit, sondern auch massives ökonomisches Potential: Auf 90 Milliarden Dollar schätzt die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) den Wert von CCUS allein in den kommenden zehn Jahren. Obwohl CCUS-Konzepte seit 40 Jahren existieren, blieb die Technologie aus technischen und ökonomischen Gründen bislang eher unbeachtet. Das könnte sich laut BCG bald ändern.
In ihrer Einschätzung differenziert die Unternehmensberatung zwischen preisgünstigen Sektoren (Gasaufbereitung, Produktion von Ammonium und Ethanol), Industrien, die sich schwer zurückfahren lassen (Zement und Erdöl) und der Energiegewinnung aus Kohle und Gas. Da die Abscheidung von CO2 im preisgünstigen Sektor am einfachsten sei, sieht sie dort mit 70 Milliarden Dollar das größte Marktpotential – obwohl er nur für circa drei Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist. Dort hingegen, wo der Großteil der Emissionen produziert wird, bei Kohle und Gas, hält BCG den Einsatz momentan für am wenigsten rentabel. Das könnte sich bei einem entsprechend hohen CO2-Preis aber ändern.
Oder überwiegen die Nachteile?
Erika Bellmann von der Umweltschutzorganisation WWF ist weniger optimistisch. Für die individuelle Mobilität sieht sie keine Vorteile in CCU, hier seien direkte Elektrifizierung oder Wasserstoffantriebe vorteilhafter. "Es klingt erst mal attraktiv: Man nimmt das CO2, das eine Industrieanlage sonst emittieren würde, macht daraus Benzin und hat zumindest eingespart. Das ist aber leider zu kurz gedacht, denn die CCU-Prozesse sind sehr, sehr stromintensiv." Ein Auto, das mit CCU-Benzin fährt, verbrauche mindestens fünf Mal so viel Strom wie ein Elektroauto.
Zwar seien bei der Energiewende Fortschritte erzielt worden, immer noch käme aber nur ein Drittel des Stroms aus erneuerbaren Systemen. "Wenn man heute in Deutschland CCU-Benzin herstellt, dann verursacht man damit in Summe wesentlich mehr Emissionen, als wenn man einfach nur Benziner oder Diesel fahren würde", so die Umweltschützerin.
Zudem seien die Verfahren, um CO2 aus der Luft zu entfernen, noch nicht weit genug entwickelt, um in großem Maßstab eingesetzt zu werden. "Was man heute machen würde: Man würde an eine Fabrik gehen, ein Stahlwerk, ein Zementwerk oder eine Chemiefabrik, und das Abgas der Fabrik verwenden." Damit wäre das abgeschiedene CO2 weiterhin fossilen Ursprungs - Emissionen könnten bei ausschließlicher Verwendung von erneuerbarem Strom eingespart, aber nicht auf Null gesenkt werden. Angesichts der Empfehlung des Weltklimarats, ab 2080 sogar Negativemissionen zu erzeugen, eine Sackgasse.
Sinnvoll hingegen könne der Einsatz von CCU zur Herstellung langlebiger Grundstoffe in der Chemieindustrie sein. Auch CCS, also das Speichern von Kohlendioxid unter der Erdoberfläche, befürwortet die WWF-Expertin. In der Zementherstellung beispielsweise ließen sich CO2-Emissionen technisch nicht vermeiden. Da ein Verzicht auf Zement unwahrscheinlich sei, sei hier ein Unschädlichmachen durch Lagerung notwendig: "Es ist zu viel Aufwand, es ist zu viel Energie, es ist aber auch alternativlos."