Mit dem Aquarium zum Mars
22. September 2011Permanenter Stress, völlige Isolation, keine Privatsphäre, kein ordentliches Bett und immer nur langweiliger Tubenfrass. Das aufregende Leben der Astronauten ist vor allem entbehrungsreich. Das muss sich ändern, wenn es in naher Zukunft bedeutend längere Aufenthalte im All oder sogar bemannte Flüge zu weit entfernten Planeten geben soll.
Fast vierzig Jahre ist es bereits her, dass der letzte Mensch auf dem Mond war. Dabei ist der Mond vergleichsweise nah zur Erde, die Flugzeit beträgt gerade mal eine Woche. Ganz anders sieht es aus, wenn irgendwann Astronauten zum Mars aufbrechen sollten. Sie wären allein für den Hinweg rund zwei Jahre lang unterwegs.
Eine gewaltige Herausforderung an die Technik, aber vor allem auch an die Astronauten. Wissenschaftler suchen deshalb nach Möglichkeiten, wie die Lebensbedingungen für Astronauten bei Langzeitaufenthalten im All erträglicher gemacht werden können – sei es auf der Internationalen Raumstation ISS oder bei geplanten Mars-Missionen.
Frischfisch statt Tubenfrass
Damit sich die Astronauten künftig nicht nur aus Tuben ernähren müssen, wollen Biologen ein weltraumtaugliches Lebenserhaltungssystem entwickeln, eine Art Aquarium, das die Raumfahrer mit frischem Eiweiß versorgt. Dazu aber müssen die einzelnen Mitglieder dieser Nahrungskette in Schwerelosigkeit untersucht werden: die Fische, aber auch die Algen, Schnecken und das potentielle Fischfutter.
Als Futter kämen kleine Wasserflöhe, sogenannte Daphnien, infrage, so die Biologin Maike Kirchgäßner vom Biomedizinischen Wissenschafts-Unterstützungszentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. "Die Wasserflöhe eignen sich hervorragend als Fischfutter, weil sie sich sehr schnell vermehren, viele Proteine liefern und gleichzeitig die lästigen Algen fressen", erklärt sie. "Deshalb möchten wir wissen, wie sich dieser Modellorganismus in Schwerelosigkeit verhält."
23 Sekunden schwerelos
Eine einzigartige Möglichkeit zur Untersuchung der Daphnien in Schwerelosigkeit bietet sich bei den Parabelflügen, die das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) regelmäßig anbietet.
Bei diesen außergewöhnlichen Flugmanövern, bei denen ein umgebauter Airbus 300 mehrfach hintereinander erst steil in den Himmel steigt und anschließend genau so steil wieder Richtung Erde fällt, entsteht für 23 Sekunden ein Zustand der Schwerelosigkeit. Beim Einleiten des Steigfluges und beim Abfangen des Sturzfluges herrscht im Airbus dagegen nahezu die doppelte Erdanziehungskraft.
Von den Fischen weiß man dank der Tests inzwischen, dass sie sich schnell an die Schwerelosigkeit gewöhnen und sich problemlos im dreidimensionalen Raum zurechtfinden. Jetzt müssen die Wissenschaftler während der Parabeln untersuchen, wie die Wasserflöhe auf die sich ändernden Kräfte reagieren, erklärt Biologin Maike Kirchgäßner. "Wir haben festgestellt, dass die Daphnien in Schwerelosigkeit zunächst Saltos schlagen. Bei diesem Parabelflug wollen wir herausfinden, ob die Wasserflöhe sich irgendwann an die Schwerelosigkeit gewöhnen."
Genutzt werden die DLR-Parabelflüge für die Forschung in Biologie, Humanphysiologie, Physik und Materialforschung. Das Besondere an Parabelflügen ist, dass Wissenschaftler und Techniker ihr Experiment während des Fluges selbst durchführen. Sie beobachten den jeweiligen Versuchsablauf, beurteilen ihn und ändern eventuell die Versuchsparameter. Die üppigen Investitionen in die Grundlagenforschung zahlen sich jedoch aus, denn in vielen Bereichen in Deutschland im internationalen Vergleich führend.
Gesunder Geist im gesunden Körper
Und einzelne Ergebnisse lassen sich laut Stefan Schneider von der Kölner Sporthochschule sogar im Alltag nutzen. So zeigen die Untersuchungen etwa, dass bei Schulkindern während und nach dem Sportunterricht bestimmte kognitive Hirnareale entlastet werden. Da diese Areale anschließend wieder für kognitive Leistungen genutzt werden können, erhöht sich die Konzentrations- und Aufnahmefähigkeit, was insgesamt zu einer Verbesserung der schulischen Leistungsfähigkeit führt. Wenn der Sportunterricht also entsprechend ausgerichtet wird, können die Schüler anschließend auch wieder richtig büffeln.
Autor: Alexander Freund
Redaktion: Judith Hartl