Mit dem Auto durch Namibia
27. September 2017Der Blick bis zum Horizont ist ungetrübt: nicht ein Hauch von Dunst in der klaren, durchsichtigen Luft, kein Mensch in Sicht, offene, flache Weiten. Eine karge, fast verlassene Landschaft, die sich über Dutzende, vielleicht Hunderte von Kilometern, erstreckt. In der Ferne, mit schneidend-klarem Profil: ein Baum, ein Felsblock, einige Hügel, hier und da ein Berg.
Landschaften haben auf mich keinen großen Eindruck gemacht, als ich jünger war. Aber jetzt tun sie es - und es gibt wenige, die schöner sind als die in Namibia: die atemberaubende Aussicht über den Fish River Canyon im Süden, der flimmernde Horizont der Etosha-Pfanne im Norden, die weich-roten Dünen der Kalahari-Wüste im Osten. Fotos werden diesen Blicken kaum gerecht - man muss sie selbst sehen.
Achtung Schotter!
Um diese Landschaften zu erleben, braucht man Abenteuerlust und einen festen Griff am Lenkrad. Die C27 führt vom Süden Namibias, an der Namib-Wüste vorbei, bis zu den Dünen in Sossusvlei. Die Landschaft ist spektakulär: auf einer Seite die braunen und gelben Töne der Tiras und Numib Berge, auf der anderen der unbeschreiblich feine Sand der rot-orangenen Namib-Wüste.
Aber dieses Naturerlebnis hat seinen Preis. Von Betta bis nach Sesriem ist die Piste die schlimmste Schotterstraße, die ich trotz umfangreicher Fahrerfahrung im südlichen Afrika je gefahren bin. Fünf voll konzentrierte Stunden auf der stark gewellten Sand-, Kies- und Steinoberfläche, ich fühle mich wie auf einem Schüttelbrett. Die Fahrt ist auch sonst anspruchsvoll durch die ständige Suche nach den ungefährlichsten Stellen, ob links oder rechts, in der Hoffnung mindestens den größten Steinen ausweichen zu können.
Solidarität in der Wildnis
Irgendwann trifft es uns doch - ein großer Stein durchbohrt einen unserer Reifen, hinten links. Wir halten an im Nirgendwo und holen den Reservereifen heraus, mit einem leicht ängstlichen Blick in die menschenleere Ebene Süd-Namibias.
Doch erstaunlicherweise taucht bald ein anderes Fahrzeug auf, verlangsamt, um zu fragen, ob wir Hilfe brauchen. Später hören wir, wie wichtig diese Art von Solidarität sein kann - von einem Italiener, der in einer Lodge an uns vorbei humpelt, mit weiß-bandagiertem Kopf. Auf derselben C27 habe er die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und sich überschlagen. Innerhalb von Minuten, sagt er, sammelte sich ein kleiner Schwarm von anderen Fahrzeugen, die Hilfe anboten.
Umweltschutz hat Verfassungsrang
Manche beschweren sich über den schlechten Zustand der Landstraßen in Namibia. Man muss sich aber vor Augen führen, dass das Land erst seit 1990 unabhängig ist. Und der naturnahe Zustand einiger Straßen (viele andere sind in einem guten Zustand) macht gerade den Charme des Landes aus.
Darüber hinaus entspricht es den Bemühungen der Regierung, weite Teile des Landes so nah wie möglich an ihrem natürlichen Zustand zu erhalten. Namibia achtet auf seine Biodiversität wie kaum ein anderes afrikanisches Land. Der Umweltschutz ist in zwei Artikeln der namibischen Verfassung (§ 91c und § 95l) verankert. Rund 17 Prozent seines Territoriums haben den Status als Nationalpark, Wildschutzgebiet oder sonstiges Schutzgebiet. Wenn man private und kommunale Schutzgebiete einschließt, springt diese Zahl auf 46 Prozent hoch.
Ein ökologisches Bewusstsein ist überall sichtbar, seien es die Sonnenkollektoren auf den Dächern der Lodges, die Mülltrennungsprojekte oder die fantastisch-einfachen Solarlampen aus Marmeladengläsern. Dafür hat Namibia in den vergangenen Jahren auch internationale Anerkennung gewonnen - in diesem Jahr erhielt das Land den vierthöchsten Rang unter den afrikanischen Ländern im "World Economic Forum Travel and Tourism Competitiveness Report", seine Noten für ökologische Nachhaltigkeit waren dabei überdurchschnittlich gut.
Das Land schneidet aber in Bereichen wie soziale Gleichheit und Bildung weniger gut ab. Dies ist teilweise auf das Vermächtnis der deutschen und der südafrikanischen Kolonialherren zurückzuführen, wodurch der Landbesitz sich fest in weißer Hand befindet. Diese Landverteilung zu reformieren ist eine komplexe und kontroverse Aufgabe - anders als in Simbabwe, hat die namibische Regierung bislang von einer Konfiszierung von Ländereien abgesehen.
Tierschutz und Tourismus
Im Tourismussektor ist eine wachsende Zahl von Wildhütern schwarze Namibier, wie der 27-jährige Ndumba Lioni, der uns mit großer Hingabe und Hintergrundwissen erzählt, warum der Löffelfuchs so große Ohren hat: Damit er die geringsten Bewegungen von Insekten im Boden hören kann. Im Etosha-Nationalpark erklärt uns dann der 42-jährige Rodney So-Oabeb, wie die Elefanten dort zu ihrer weißen Farbe kämen. Die prächtigen Tiere decken sich einfach mit dem trockenen weißen Staub des Parks ab, um sich gegen die Sonne und gegen Zecken zu schützen.
Minutenlang spricht Rodney dann von einem seltenen Breitmaulnashorn, dessen Bewegungen und Gewohnheiten er genau kenne, nach jahrelanger Beobachtung. Als er uns über die Savanne fährt, suchen seine Augen ständig am Horizont nach Zeichen des gefährdeten Tieres.
"Es beobachtet uns sicher gerade, wir können es einfach nicht sehen", sagte Rodney. An einem nahe gelegenen Wasserloch warten wir dann, geduldig, lange. Die Sonne geht langsam unter, wir fragen uns, ob es uns gelingen wird, den Park vor Torschluss zu verlassen: Etoshas Wachen sind bekannt für ihre Ungeduld, sie schließen die Tore, sobald die Sonne untergegangen ist.
"Durch diese Lücke im Gebüsch wird es kommen", versichert Rodney. Und dann, tatsächlich, durch genau jene Lücke, trottet das durstige Tier in unsere Richtung: etwas irritiert durch die photographierende Menge an Touristen.
Wir kommen einen Hauch zu spät am Ausgang des Nationalparks an, ganze zwei Minuten, nachdem die Wachen ihn geschlossen hatten. Sie lassen uns eine kleine Ewigkeit warten, bevor wir eine Geldstrafe und eine Ermahnung über uns ergehen lassen müssen. Erst dann gehen die Toren wieder auf.
Während wir warten, taucht die untergehende Sonne die raue Landschaft in zarte Farben. Doch die Weichheit der Dämmerung ist trügerisch, denn das ist die Zeit, in der die vielen Raubtiere an ihren schattigen Schlafplätzen erwachen. Für mich ist das einer der Widersprüche dieses Wüstenstaats, und eine atemberaubende Kulisse für den täglichen Überlebenskampf in der Wildnis.