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PolitikEuropa

Mit dem Fahrrad von Böhmen bis zur Nordsee

Luboš Palata
22. September 2022

Die Elbe hat in der Vergangenheit Mitteleuropa immer wieder getrennt - und verbunden. Besonders gut lässt sich das erleben, wenn man eine Radtour an ihren Ufern entlang unternimmt, findet unser tschechischer Autor.

Elberadweg - Aus Böhmen nach Cuxhaven von Luboš Palata
Das Schifferdenkmal in Lauenburg bei HamburgBild: Luboš Palata/DW

Die Elbe ist für uns Tschechen das Tor zum Meer, das Tor zur Welt. Der felsige Abschnitt, an dem die Elbe durch das böhmische Mittelgebirge fließt, wird Porta Bohemica, die Pforte Böhmens, genannt. Nicht weit davon entfernt, in der Nähe von Hrensko, wo seit tausend Jahren die Grenze zwischen Sachsen und Böhmens verläuft, steige ich an einem Morgen im Hochsommer aufs Rad.

In den nächsten drei Wochen werde ich von hier aus bis zur Nordsee fahren. Eine Reise entlang des Elberadweges, die mich 850 Kilometer später nach Cuxhaven führen wird, wo der Fluss ins Meer mündet. 

Mir ist klar: Das wird keine herausragende sportliche Leistung. Aber darum geht es mir auch gar nicht. Ich möchte endlich die Reise machen, über die ich seit 30 Jahren nachdenke, eine Reise entlang von diesem oft ruhigen, gelegentlich ungestümen Fluss; diesem Strom, der im Laufe seiner jahrtausendealten Geschichte Menschen immer wieder getrennt und zusammengebracht hat. 

Ich schwinge mich auf mein Gefährt. Die Luft fühlt sich klar an, es hat gerade aufgehört zu regnen. Tatsächlich wird bis zum Ende meiner Reise kein Tropfen mehr fallen. Die erste Etappe vergeht schnell - die 55 Kilometer nach Dresden fühlen sich nicht einmal wie 20 an. 

Tschechische Labe und deutsche Elbe

Die Elbe oder auch "Labe", wie wir Tschechen sie auf Slawisch nennen, ist für uns der wichtigste Fluss. Der über 300 Kilometer lange Oberlauf der Elbe und seine Niederungen sind der fruchtbarste, meistbevölkerte, seit jeher auch reichste und "tschechischste" Teil unseres Landes.

DW-Autor Lubos Palata am Start seiner Reise an der Elbe in Dolni ZlebBild: Luboš Palata/DW

Hier hat sich die Elbe an die Menschen anpassen müssen: Viele Städte liegen direkt an ihrem Ufer, deswegen ist der Fluss reguliert, gezähmt. Erst in den letzten 30 Jahren hat sich die Elbe wieder in einen sauberen, gesunden Fluss verwandelt, den wir Tschechen als Ort der Erholung und Entspannung wiederentdeckt haben.

Die ersten Kilometer führen mich noch durch Tschechien. Dann überquere ich die Grenze und bin in Deutschland. Ich radele. Über Asphalt, Beton, gelegentlich Schotterpisten, in den Städten auch mal über holperiges Kopfsteinpflaster. Immer elbaufwärts.

Blick von den markanten Felsformationen der Sächsischen Schweiz auf die ElbeBild: Michal Fludra/NurPhoto/picture alliance

Die deutsche Elbe unterscheidet sich von der tschechischen Elbe. Gleich hinter der Sächsischen Schweiz mit ihren malerischen Felsenstädten schwappt sie bei Dresden weit ins Land. Von diesen Orten bis zur Flussmündung haben die Menschen seit jeher mit ständigen Überflutungen zu kämpfen. Die Elbe wird daher in mehr oder weniger großem Abstand von weiten Flutwiesen, Resten von Auenwäldern und Hochwasserdämmen gesäumt. "Hochwasser kann man nicht ganz vermeiden, man muss lernen, damit zu leben", sagt mir der Besitzer einer der eleganten Villen vor den Toren Dresdens, die in respektvollem Abstand die Elbe säumen.

Die Elbe trennt - und verbindet

Die Elbe war immer auch ein Fluss der Begegnungen und des Konflikts zwischen Slawen und Germanen, später den Deutschen. Jahrhundertelang diente sie als Grenzfluss zwischen diesen beiden grundlegenden Zivilisationen Mitteleuropas. Zwischenzeitlich trennte sie als Teil des Eisernen Vorhangs auch Deutschland selbst - woran die noch immer vereinzelt am Ufer stehenden alten DDR-Wachtürme erinnern.

Verlassene Wachtürme erinnern daran, dass die Elbe vor 30 Jahren noch Teil der innerdeutschen Grenze warBild: Luboš Palata/DW

Der Fluss war nicht immer eine unüberwindbare und feindliche Grenze. Es gab einen regen Handel über die Elbe. Immer wieder gab es Herrscher, die diese Verbindung besonders forcierten - etwa Karl IV., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, dem etwa 60 Kilometer elbabwärts von Magdeburg in der malerischen mittelalterlichen Stadt Tangermünde eine Statue gewidmet ist. Das zwischen seiner Reichshauptstadt Prag und den großen Hansestädten im Norden gelegene Städtchen Tangermünde sollte sogar Zentrum des Handels zwischen Westeuropa und dem böhmischen Königreich werden - doch Karl starb, bevor er seine Pläne umsetzen konnte.

Ein typisches slawisches Dorf mit großen Fachwerkhäusern bei Lüchow im WendlandBild: Luboš Palata/DW

Andere Verbindungen zwischen Slawen und Deutschen an der Elbe sind bis heute sichtbar geblieben: Das Gebiet am linken Elbufer rund um die Stadt Lüchow, etwa 100 Kilometer vor Hamburg, wird immer noch "Wendland" genannt - "Slawenland". Die Region ist voll von kreisförmigen slawischen Dörfern mit den typischen wuchtigen Fachwerkhäusern. Vor 300 Jahren sprachen die dort einheimischen Slawen, die Drawehnen, noch die drawenopolabische Sprache. Heute bemüht sich ein Verein, die slawischen Traditionen vor Ort lebendig zu halten.

Der Mittellauf: Zwischen Bibern und Wölfen

Fahre ich nicht gerade in der Nähe der Großstädte Dresden, Magdeburg oder Hamburg, bietet die Elbe mehr Ruhe und Abgeschiedenheit als so manche Bergwanderung in den Alpen. 

Vielerorts ist die Natur fast unberührt. Die Elbe wird dann zu einem Fluss mit sandigen Ufern, blinden Armen, Feuchtgebieten und Seen. In Havelberg läuft mir einmal ein Fuchs vor das Rad, ich stürze fast. Es gibt Biber, Otter, Hirsche, Fischreiher, Störche, Kormorane und inzwischen sogar wieder Wölfe, die an den Ufern umherstreifen.

Die Elbe bei Tangermünde - ein breiter, mäandernder StromBild: Luboš Palata/DW

Das ist auch deswegen möglich, weil nur ein Minimum an Eisenbahnlinien und wenige Autobrücken den Fluss queren. Einheimische sind oft auf Fähren angewiesen, wenn sie ans andere Ufer wollen. Sie setzen vielerorts trotz niedrigem Pegelstand noch über. Anderer Schiffsverkehr kommt im Sommer fast zum Erliegen. Erst kurz vor Hamburg sehe ich wieder häufiger Fischkutter, Barkassen und Kohlefrachter. 

Der Unterlauf: Wenn der Fluss zum Meer wird

Ab Hamburg wird die Elbe zum gewaltigen Strom, misst an manchen Stellen mehr als eineinhalb Kilometer in der Breite. Die sandigen Ufer verwandeln sich zunehmend in Strände, die denen an der Küste nicht unähnlich sind. Nur das Wasser der Elbe ist noch nicht salzig.

Frachtschiffe laden im Hamburger Hafen Container, die sie über die Elbe in die ganze Welt transportierenBild: Rupert Oberhäuser/picture alliance

Riesige Frachtschiffe, auf denen sich bunte Container stapeln, werden fortan zu meinen Begleitern, sie fahren die Strecke vom Hamburger Hafen bis zur Mündung des Flusses. Jedes von ihnen wird seit 70 Jahren von einem Ansager im Schulauer Fährhaus in Wedel begrüßt. Passiert ein Frachter das Gebäude, spielt die Schiffsbegrüßungsanlage die Nationalhymne und einen Gruß in der Sprache des Heimathafens des Schiffes, dazu werden Flaggen gehisst, die eine gute Fahrt wünschen. 

Die Cuxhafener Kugelbake markiert die Mündung der Elbe in die Nordsee - und damit auch das Ende des ElbradwegsBild: Luboš Palata/DW

Zwei Tage später nähere ich mich meinem Ziel. Ich sehe die "Kugelbake", einen Holzturm, der seit Jahrhunderten in Cuxhaven die Stelle markiert, an der die Elbe endet und das Meer beginnt. Die Elbe als Lebensader für das Zentrum Europas übergibt ihr Wasser dem Meer. Für mich hält sie symbolisch nicht nur den Westen und Osten Deutschlands zusammen, sondern auch den Westen und Osten Europas. Ich bin am Anfang des Meeres. Und am Ende meiner Reise.

Luboš Palata Europaredakteur der tschechischen Tageszeitung "Deník".
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