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Mit dem Verlust leben lernen

Sabine Damaschke19. November 2014

Der Tod eines Kindes ist das Schlimmste, das Eltern passieren kann. Sabine Waschik verlor ihre Tochter vor sechs Jahren. In einer Gruppe für "Verwaiste Eltern" fand sie Trost. Als Trauerbegleiterin hilft sie nun anderen.

Symbolbild Trauer
Bild: Fotolia/Mike Solvit

Auf den hübsch dekorierten Tisch mit Kaffee, Tee und Plätzchen stellt Sabine Waschik immer auch eine Packung Taschentücher. Die ist nicht nur für ihre Gäste bestimmt. Auch sie selbst muss bei manchen Gesprächen hineingreifen. "Wenn Eltern mir vom Tod ihres Kindes erzählen, kommen auch bei mir viele Erinnerungen und so manche Träne hoch", sagt die 48-jährige Trauerbegleiterin aus Witten bei Bochum. "All diese Gefühle der Traurigkeit, Wut und Erschöpfung kenne ich aus eigenem Erleben."

Als ihre herzkranke Tochter Ina 2008 mit 18 Jahren starb, fühlte sich Sabine Waschik mit ihrer Trauer alleine, unverstanden, hilflos. Freunde und Familie konnten ihr nicht den Trost geben, den sie suchte. "Jeder von uns hat auf seine eigene Art um Ina getrauert und war mit sich selbst beschäftigt: Mein Mann suchte Ablenkung in seiner Arbeit, mein Sohn Philipp redete nie über Inas Tod und zog sich zurück, meine kleine Tochter Kim weinte viel und hatte Panik, ein weiteres Familienmitglied könnte sterben."

Von der Teilnehmerin zur Trauerbegleiterin

Ein halbes Jahr nach dem Tod ihrer Tochter meldete Sabine Waschik sich und ihren Mann bei der Gruppe für Verwaiste Eltern des Vereins für Trauerarbeit in Hattingen im Ruhrgebiet an. "Es tat mir unheimlich gut, auf Menschen zu treffen, die Ähnliches erlebt hatten und mich verstehen konnten", erzählt sie. Nach zwei Jahren fühlte sie sich stark genug, um ihren Weg ohne die Trauergruppe weiterzugehen. Doch sie wollte etwas Sinnvolles tun und anderen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen helfen. Deshalb ließ sie sich zur Trauerbegleiterin ausbilden.

Der Traurigkeit Worte und Töne geben: Sabine Waschik leitet TrauergruppenBild: DW/S. Damaschke

Heute arbeitet die gelernte Einzelhandelskauffrau ehrenamtlich beim Hattinger Verein für Trauerarbeit mit. Sie engagiert sich im einmal wöchentlich stattfindenden Trauercafé, das für jeden Trauernden der Region offen ist. Sie leitet gemeinsam mit einer anderen Trauerbegleiterin des Vereins eine Gruppe für Verwaiste Eltern und eine Jugendgruppe. "Man bekommt so viel an Vertrauen und Dankbarkeit von den Menschen zurück", sagt sie. "Ich kann mir keine schönere Arbeit vorstellen."

Wissen macht stark

Besonders wohl fühlt sich die Trauerbegleiterin im Zentrum für Kinder- und Jugendarbeit des Vereins. In den bunt gestalteten Räumen, in denen die Pädagogische Leiterin des Zentrums, Annette Wagner, die Kinder- und Jugendgruppen anbietet, führt sie Gespräche mit den Eltern. "Viele sind verunsichert über das Verhalten ihrer Kinder." Denn sie trauern anders als Erwachsene, sind sprunghafter in ihren Emotionen, stellen Fragen zum Sterben eines Eltern- oder Geschwisterteils, mit denen die trauernden Erwachsenen oft überfordert sind.

"Kinder wollen alles ganz genau wissen", berichtet Annette Wagner. "Deshalb dürfen sie bei uns jede Frage stellen - ob der Mama nach ihrem Tod wirklich die Augen zugeklebt wurden oder wie Papa eigentlich in die Urne passt." Mit jedem Kurs geht die Diakonin zum Bestatter - ein Besuch, der viele Eltern beunruhigt. "Frau Waschiks Job ist es, diese Bedenken auszuräumen." Denn Wissen macht stark, so lautet das Motto von Wagners Arbeit. Sie möchte aus traurigen Kindern mutige und starke machen.

Sabine Waschik (links) und Annette Wagner begleiten trauernde Kinder und JugendlicheBild: DW/S. Damaschke

Trauer hat viele Gesichter

Ein Grundsatz, der auch für die Erwachsenengruppen gilt. Je nach Lebenssituation sollen die Trauernden die Unterstützung erhalten, die sie brauchen. "Als wir uns 1999 gründeten, waren wir weit und breit die einzigen, die so viele verschiedene Gruppen für Trauernde anboten", erzählt die Hattinger Pfarrerin Annedore Methfessel, die den Verein ins Leben rief. Schließlich sei es ein großer Unterschied, in welcher Lebenssituation die Menschen den Tod eines Angehörigen verarbeiten müssten.

Die Themen aber, mit denen sich die Trauernden in den verschiedenen Gruppen auseinandersetzen, sind ähnlich. Immer geht es darum, wie sie das Leben mit dem Verstorbenen erinnern. Sie reden darüber, wie sie seinen Tod und die Beerdigung erlebt haben, wo sie ihn nun vermuten, wie ihr Leben ohne den Verstorbenen ist und wie sie es neu gestalten können. Das Gespräch wird von einer professionell ausgebildeten Trauerbegleiterin geleitet.

Bild: racamani - Fotolia.com

Nach den zehn - in der Regel dreistündigen - Treffen beginnen die meisten Gruppen einen weiteren Turnus, danach treffen sich viele privat, denn oft entstehen Freundschaften. Jedes Jahr gibt es mindestens ein neues Angebot für Verwaiste Eltern, Verwitwete, Kinder und Jugendliche. Die Gruppen werden von Trauernden aus dem gesamten Ruhrgebiet besucht.

Den Verlust ins Leben integrieren

Pfarrerin Annedore Methfessel wünscht sich mehr solcher Angebote in Deutschland. "Die Begleitung, die Hospize, Kirchen oder auch Bestatter anbieten, konzentrieren sich meistens auf Trauerrituale rund um die Beerdigung. Doch es geht ja darum, den schweren Verlust eines geliebten Menschen ins Leben zu integrieren, und das dauert länger." Wer die Gruppen des Vereins besuche, erhalte in drei Jahren meist 60 Stunden professionell begleitete Trauerarbeit. "Danach sind die meisten Trauernden wieder gefestigt."

Auch Sabine Waschik kann heute wieder lachen. Ina hat einen festen Platz in ihrem Herzen - und auch in ihrem Haus. Der selbst gebastelte Engel ihrer verstorbenen Tochter hängt am Fenster. Ihr Handy, ihre Brille und ihre Briefe bewahrt Sabine Waschik in einer Erinnerungskiste auf. "Ich habe gelernt, mit dem Verlust zu leben." Auf diesem schwierigen Weg begleitet sie heute andere Menschen. "Letztlich", so betont sie, "hat mich die Trauer, durch die ich gehen musste, stärker gemacht."

Ein Schutzengel zum Abschied: Sabine Waschik mit dem Geschenk ihrer verstorbenen TochterBild: DW/S. Damaschke
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