1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Anne Franks Amsterdam

Charlotta Lomas6. Juli 2012

Die Geschichte von Anne Frank hat überall in Amsterdam Spuren hinterlassen. Nun gibt es eine neue Möglichkeit, sich mit ihr auseinander zu setzen: Eine Handy-Applikation verbindet die Gegenwart mit der Vergangenheit.

Porträt von Anne Frank
Bild: World History Archive/picture alliance

Sie war eines von Millionen Holocaust-Opfern – aber sie hat einen Namen, ein Gesicht, eine Geschichte: Die damals 15jährige Anne Frank schrieb Tagebuch, als sie sich zusammen mit ihrer Familie versteckt hielt, während die Nazis die Niederlande besetzt hatten. Das Versteck wurde verraten, Anne starb schließlich in Bergen-Belsen. Nur ihr Vater Otto überlebte den Holocaust. Auch das Tagebuch ist geblieben, legte Zeugnis ab von den Nöten im Amsterdamer Versteck und wurde als ein erschütterndes Zeitdokument weltberühmt.

Ein Museum geht neue Wege

1960 entstand in eben dem Haus, in dem die Familie Frank versteckt war, ein Museum. Das "Anne-Frank-Haus" erinnert an die Lebens- und Leidensgeschichte des jüdischen Mädchens und erläutert anhand des Einzelfalls den Mord an den europäischen Juden. Im digitalen Zeitalter geht man nun allerdings neue Wege. Jetzt hat man eine Handy-Applikation entwickelt, die ihren Benutzern die Stadt durch Annes Augen präsentieren soll.

Ita Amahorseija ist im Museum zuständig für digitale Medien. Er sagt, Ziel dieser App sei es, die Geschichte von Anne Frank den heutigen Bewohnern von Amsterdam nahe zu bringen. "Wir wollen den Menschen helfen, den Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu begreifen. Wenn sie sich am Hauptbahnhof befinden oder in der Nähe ihres eigenen Hauses, können sie von dieser Umgebung auf ihrem Smartphone ein Bild von früher sehen. Das vergleichen sie dann mit dem heutigen Straßenbild. So wird ihnen ganz besonders deutlich, dass diese Dinge tatsächlich hier passiert sind".

Mobil in die Vergangenheit: Anne’s Amsterdam Mobile AppBild: Anne Frank Museum, the Netherlands

Elektronisch zurück in die Vergangenheit

Mit Hilfe von GPS navigieren sich die User zu dreißig bedeutenden Plätzen in Amsterdam, die im Leben der Anne Frank eine besondere Rolle gespielt haben: Ihre Schule, die Wohnung und das Hinterhaus, in dem die Familie Frank ausharrte, der Buchladen, in dem ihr Vater das Tagebuch für seine Tochter erwarb – um nur einige zu nennen. In einem Radius von hundert Metern um jeden Punkt herum haben die User Zugang zu den dazu gehörenden Multimedia-Informationen. So zeigt beispielsweise eine elektronische Anwendung gegenüber dem Museum genau den Ort an, an dem Jan Gies - ein Freund und Helfer – die Festnahme der Familie durch die Gestapo beobachtete. Und genau hier können sich die User auch den Augenzeugenbericht von Jan Gies anhören. Für das Museum bedeutet dies eine neue Dimension: "Auf diese Weise vergrößern wir unseren Radius über die Gebäudegrenzen hinweg", sagt Ita Amahorseija.

Vergangenheit und Gegenwart: Amsterdam heute und zur Zeit des Zweiten WeltkriegsBild: Anne Frank Museum, the Netherlands

Navigationstour durch Amsterdam

Die meisten "App-Orte" liegen dicht gedrängt in unmittelbarer Nähe des Anne-Frank-Hauses. Wenn man aber alle dreißig Navigationspunkte besuchen will – am besten natürlich nach Landessitte mit dem Fahrrad – dann benötigt man etwa zweieinhalb Stunden für diese Tour. Der am weitesten entfernte Ort befindet sich im südlichen Teil von Amsterdam: Es ist die Wohnung, in der die Familie Frank lebte, bevor sie sich in das Versteck an der Prinsengracht begab.

Harald Krämer, Kommunikationsexperte des Museums und Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste, hebt hervor, dass das Navigationselement der App den Benutzern zu mehr Selbständigkeit verhilft: Sie entscheiden selbst, welche Orte sie in welcher Reihenfolge besichtigen. "Dieser Navigator führt die Leute nicht einfach nur von einem Punkt zum anderen. Er macht es den Leuten möglich, Geschichte in ihrem eigenen Tempo zu entdecken, sich mit ihr zu identifizieren, und das ist eine bereichernde Erfahrung." Auch jüdische Kinder und Jugendliche könnten sich so mit Anne Frank und dem Holocaust auseinandersetzen, sagt Ruben Vis, Vorsitzender von NIK, ein Komitee, das die jüdischen Organisationen in den Niederlanden repräsentiert: "Jede Zeit hat doch ihre eigenen Mittel und Methoden".

Unverzichtbar, unersetzlich: Anne Franks Tagebuch im OriginalBild: APTN

Neugierde wecken

Die Applikation kann im Museum kostenlos heruntergeladen werden. Jedoch benötigt man für sie GPS. Deshalb hat das Ganze eine Nebenwirkung: Es ist für Einheimische interessanter als für Touristen aus aller Welt, die dafür hohe Roaming-Gebühren bezahlen müssen. Allerdings, so Kommunikationsexperte Krämer, sei die Anwendung kein Selbstzweck, sondern solle lediglich das Interesse der Menschen für Geschichte wecken. "Die besondere Ausstrahlung, die vom Original-Tagebuch der Anne Frank ausgeht, kann durch nichts ersetzt werden." Der Museumsbesuch erübrigt sich also trotz digitaler Technik keineswegs.