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Privatisieren, Sanieren, Stilllegen – mit der Treuhand in den Kapitalismus

3. Oktober 2010

Es gab kein Vorbild und keinen Plan - nur das Ziel, die Planwirtschaft der DDR innerhalb kürzester Zeit zu einer Marktwirtschaft umzuformen. Genau das war die Aufgabe der Treuhandanstalt. Sie zog damit oft Zorn auf sich.

Blick auf die Berliner Treuhandanstalt (Archivfoto von 1991: dpa)
Bild: dpa

12.000 Betriebe mit etwa vier Millionen Beschäftigten und am Ende fast 300 Milliarden D-Mark Schulden - das ist die Treuhandanstalt, die von 1990 bis 1994 existierte, reduziert auf die wichtigsten Zahlen. Doch hinter den Zahlen verbergen sich Erfolgsgeschichten, menschlichen Dramen und der noch nie dagewesene Versuch, eine Volkswirtschaft innerhalb kürzester Zeit komplett umzukrempeln.

Detlev Carsten RohwedderBild: picture-alliance/dpa


Als der westdeutsche Manager Detlev Carsten Rohwedder 1990 an die Spitze der größten Staatsholding der Welt wechselt, gibt er den Kurs vor: Die Treuhand solle die DDR-Wirtschaft weitestgehend privatisieren; die entstehenden Kosten würden durch die Privatisierungserlöse aufgefangen. 600 Milliarden Deutsche Mark sei der "ganze Salat", wie Rohwedder das einmal schnoddrig nannte, wert. Eine grandiose Fehleinschätzung.

Rohwedder ist nur wenige Monate im Amt, als er im April 1991 erschossen wird – vermutlich durch Terroristen der linksradikalen Roten Armee Fraktion. Seine Nachfolgerin wird Birgit Breuel, die von ihm auch die Grundausrichtung der Treuhand übernimmt.

Absturz der Wirtschaft

Die Chemiewerke um Bitterfeld, hier im Jahr 1990, galten als Inbegriff der maroden DDR-IndustrieBild: picture-alliance/dpa

Doch schon bald zeigt sich, dass die Kraft der DDR-Wirtschaft maßlos überschätzt wurde. Die Währungs- und Sozialunion setzt DDR-Mark und westdeutsche D-Mark über Nacht einander gleich – ein politischer Wechselkurs, rein wirtschaftlich ist die D-Mark mindestens viermal so stark. Jan Priewe von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Technik sieht darin den Anfang vom Ende der DDR-Wirtschaft. Denn wer zuvor 1000 Mark Ost verdient hatte, bekam jetzt 1000 Mark West. "Gemessen an der Produktivität der Unternehmen war das zu viel; gemessen am Preisniveau im vereinigten Deutschland war es zu wenig", sagt Priewe.

Am schlimmsten aber habe die nun folgende Erhöhung der Löhne in den DDR-Betrieben gewirkt: Deren Produkte wurden zu teuer – und konnten sich am Markt nicht mehr behaupten. Die Folge: massenweise Pleiten und Firmenschließungen. Innerhalb weniger Monate stürzte das Bruttosozialprodukt im Osten um ein Drittel ab.

Demonstration der Kalikumpel in Bischofferode im Juli 1993Bild: picture-alliance/ZB

Aufgrund der wirtschaftlichen Lage in Ostdeutschland finden trotz intensiver Bemühungen viele Unternehmen keinen Käufer. Nur mit erheblichen Zuschüssen kann die Treuhand die großen Kombinate verkaufen. Zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen fallen in die Hände von dubiosen Geschäftemachern – das Wort vom "Ausverkauf der DDR" macht die Runde. Abzocker und "Absahnierer" hatten mit der Treuhand, die häufig überhastet Verträge abschloss oder schlicht die Übersicht verlor, leichtes Spiel.

Projektionsfläche für die Wut

Die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland schnellt hoch auf Werte bis zu 20 Prozent. Ostdeutschland erlebt eine De-Industrialisierung ohne Vorbild, auch deswegen bezeichnet Treuhand-Kritiker Priewe die Staatsholding gerne als "Stilllegungsagentur".

Das Technologiezentrum der Jenoptik in JenaBild: picture-alliance/dpa

Immer wieder kommt es zu teils dramatischen Arbeitskämpfen, etwa 1993 im thüringischen Bischofferode. Seit 1990 wurden im Kali-Bergwerk "Thomas Münzer" eintausend Bergarbeiter entlassen. 1993 sollen nun auch die letzten 700 Mitarbeiter gehen. Es folgt eine Protestbewegung, die in ganz Deutschland Aufmerksamkeit erregt - die Kumpel besetzen das Werk, einige treten in den Hungerstreik. Am Ende muss der Betrieb dennoch schließen - die Bergarbeiter werden in Umschulungen gesteckt oder entlassen. Und wer übrig bleibt, ist damit beschäftigt, seinen alten Arbeitsplatz zu demontieren. Zurück bleiben Wut und Resignation.

Ende aus politischen Gründen

Nicht nur in Bischofferode ist es die Treuhand, die als Blitzableiter für den Unmut vieler Ostdeutscher herhalten muss. "Zu den wirtschaftlichen Abwicklungen und Verwerfungen gab es keine Alternative", sagt der Konstanzer Politikwissenschaftler Wolfgang Seibel. "Die Treuhand hatte vor allem die Aufgabe, die politischen Kosten aufzufangen, der Wut der Menschen eine Projektionsfläche zu bieten. Das ist ihre eigentliche Leistung."

Birgit Breuel im Jahr 2010Bild: picture-alliance/dpa

Neben den vielen bitteren Erfahrungen stehen immer auch die Erfolge, die die Treuhand feiern konnte. Dazu zählt, dass heute - zwanzig Jahre nach der Einheit - in Jena mit Jenoptik ein Weltkonzern existiert, an der Küste die meisten Werften noch Schiffe bauen und in Thüringen und Sachsen wieder Autos montiert werden. Das sind nur einige Beispiele von vielen.

1994 war die Treuhand schon wieder Geschichte, auch wenn die Aufgabe noch lange nicht bewältigt war. Doch politisch vorgegeben war, dass die Staatsholding am 31.12.1994 aufhören musste, zu existieren. Und so schraubte Treuhand-Präsidentin Breuel am Jahresende das Treuhand-Schild von ihrem Dienstsitz – medienwirksam und äußerst symbolisch. Die Aufgaben der Treuhandanstalt mussten nun viele kleine "Treuhand" - Unternehmen übernehmen. Sie arbeiten zu Teil noch heute.

Autor: Rupert Wiederwald

Redaktion: Dеnnis Stutе