Mit deutscher Milch gegen afrikanische Bauern
20. Juni 2009In Deutschland gibt es 5800 landwirtschaftliche Betriebe. Sie geben 550.000 Menschen Arbeit. Die dazugehörige Ernährungsindustrie bietet noch viel mehr Arbeitsplätze. Insgesamt sind im so genannten "Agribusiness" 4,3 Millionen Menschen beschäftigt. Jürgen Abraham, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, ist stolz auf die Leistungen der Branche. "Was die Arbeitsplätze anbelangt: Wir haben bisher weder Kurzarbeitgelder noch Staatsgelder verlangt. Wir lösen unsere Probleme selber." Abraham gibt zu, dass die Lebensmittelindustrie gegenüber anderen Branchen einen unschätzbaren Vorteil hat: "Wir haben den Stoffwechsel der Menschen auf unserer Seite. Jeder muss jeden Tag drei bis vier Mal essen und ordentlich essen."
Deutsche wollen exportieren
In vielen Ländern dieser Welt jedoch essen die Menschen nicht ordentlich und schon gar nicht drei oder vier Mal am Tag. Rund eine Milliarde Menschen hungern auf der Welt. Hier will die deutsche Nahrungsmittelindustrie Abhilfe schaffen. Große Absatzmärkte sieht sie in Russland und vor allem Asien, so Gerd Müller, Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium: "Dort wird sich ein riesiger Binnenmarkt entwickeln. Jeder zweite Mensch auf der Welt wird in dieser Region leben und nachfragen."
Um den Export deutscher Nahrungsmittel auszuweiten, ist in Berlin die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft zu ihrem ersten Außenhandelstag zusammengekommen. Einen Tag lang diskutierten die 500 Teilnehmer der Konferenz über Wachstumsregionen, Absatzmärkte und Verbraucherwünsche. Während die Experten im Weltsaal des Auswärtigen Amtes tagten, demonstrierten draußen Entwicklungs- und Umweltorganisationen mit Sprechchören gegen die Exportstrategie des Agrarministeriums. Ihr Protest richtete sich vor allem gegen die Exportsubventionen für Milch und Milchpulver.
Exporte zerstören Märkte in Afrika
Thomas Rewe, Landwirtschaftsexperte aus Kenia und Berater des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED), beklagte, dass subventioniertes Milchpulver aus Deutschland die Existenz kenianischer Bauern gefährde: "Aus einem Kilo Milchpulver kann man acht Liter Milch machen - das kostet nur einen halben Euro. Diese Export-Subventionen nennen wir einfach Dumping." Und er fügt hinzu: "Dieses Dumping hat unsere Kleinbauern und unseren Binnenmarkt zerrissen oder zerstört."
Staatssekretär Müller aus dem Ministerium für Landwirtschaft hält dagegen: "Die Vorwürfe, mit Exporterstattungen würden dort Märkte kaputt gemacht, sind absurd. Sie entsprechen nicht den Realitäten." Aus Deutschland würden insgesamt nur 35.000 Tonnen Milch und Milchpulver in Länder außerhalb der Europäischen Union exportiert, sagte Müller. "Diese 35.000 Tonnen sind 0,25 Prozent der Gesamtproduktion und sie gehen ausschließlich in Länder, die danach fragen. Es wird in keinem der Fälle die heimische Produktion gestört oder konterkariert."
Doppelter Kahlschlag
Stimmt nicht, sagen die Entwicklungshilfeorganisationen. Als Beispiel nennen sie Kamerun. Dort werde seit einigen Jahren Milchpulver aus europäischer Produktion importiert. Das führe dazu, dass Milchbauern, die von Brot für die Welt und dem EED unterstützt werden, nicht mehr konkurrenzfähig seien.
Felix Prinz von Löwenstein ist selbst Biobauer und Präsidiumsmitglied des Anbauverbandes Naturland. Er beschreibt die Milchproduktion als einen Zyklus mit verheerenden Folgen für Umwelt und Entwicklung. Deutsche Bauern produzierten zu viel Milch, und der Milchpreis sei daher so niedrig, dass kein Bauer davon leben könne. Das Futtermittel für die Kühe wiederum werde aus Südamerika importiert. "Dort holzt man den Urwald ab, um auf den Flächen dann Soja für die Futtermittelproduktion anzubauen." So gefüttert, geben deutsche Kühe dann jährlich 10.000 Liter Milch oder mehr. "Weil der Markt in Deutschland so viel Milch gar nicht braucht, wird die Milch zu Pulver verarbeitet. Das Milchpulver landet dann in Afrika und verursacht dort den zweiten Kahlschlag, wie etwa in Kamerun."
Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Andreas Becker