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Politik

Mit Diplomaten-Ausweisungen gegen Putin

Roman Goncharenko
30. April 2021

Ausweisungen von Diplomaten zwischen Russland und dem Westen erreichen einen neuen Höhepunkt. Beteiligt sind vor allem die USA und Osteuropa. Ex-Diplomaten warnen vor einer Verschlechterung der Beziehungen.

Das russische Außenministerium in Moskau
Das russische Außenministerium in MoskauBild: Philipp Meuser

Im April haben rund ein Dutzend Länder russische Diplomaten ausgewiesen - ein Höhepunkt seit der Vergiftung des Ex-Agenten Sergej Skripal 2018. Zuletzt verkündete Bulgarien am Donnerstag die Ausweisung eines russischen Botschaftsmitarbeiters, diesmal in Zusammenhang mit Ermittlungen zu vier Explosionen in Munitionsdepots zwischen 2011 und 2020. Einen Tag zuvor erklärte Moskau insgesamt sieben Diplomaten aus der Slowakei und den drei baltischen Staaten zu unerwünschten Personen - als Reaktion auf ähnliche Schritte dieser Länder. Auch Rumänien und Polen verwiesen russische Diplomaten des Landes - so wie die Slowaken und Balten aus Solidarität mit Tschechien.

Sprunghafter Anstieg von Ausweisungen

Dessen Regierung hatte russischen Geheimdiensten Mitte April vorgeworfen, im Jahr 2014 Explosionen in einem Munitionsdepot verursacht zu haben, bei denen zwei Menschen starben. Medienberichten zufolge wollte Russland so Lieferungen an die Ukraine über Bulgarien verhindern. Als Vergeltung wies Tschechien 18 russische Diplomaten aus. Moskau bestritt die Vorwürfe und reagierte mit 20 ausgewiesenen Tschechen. Am Ende einigte man sich auf eine paritätische Besetzung der jeweiligen Botschaften. Nun muss Russland allerdings mehr als 60 diplomatische Mitarbeiter nach Hause holen, weil die russische Botschaft in Tschechien personell deutlich größer als die tschechische in Russland war.

Joe BidenBild: Brendan Smialowski/AFP

Wenige Tage vor Tschechien hatten die USA die Ausweisung von zehn russischen Diplomaten verkündet. Die Vorwürfe: Russland habe sich in die Präsidentenwahl 2020 eingemischt und sei für Hackerangriffe verantwortlich. Moskau bestreitet beides und reagierte spiegebildlich. Das ohnehin angespannte Verhältnis beider Länder wurde zuvor durch scharfe Äußerungen von US-Präsident Joe Biden über Kremlchef Wladimir Putin zusätzlich belastet. Moskau zog seinen Botschafter Anatoli Antonow aus Washington für Konsultationen zurück und legte der US-Seite nahe, dasselbe zu tun. Zum Gesamtbild gehört auch ein Vorfall Ende März in Italien: Rom wies zwei russische Diplomaten aus, die in militärische Spionage involviert gewesen sein sollen. Russland wies einen Italiener aus.       

"Akt des Krieges"

Viele Beobachter fragen sich, warum all dies gerade jetzt geschieht. Steven Pifer, ehemaliger US-Botschafter in der Ukraine und Dozent an der Universität Stanford, sagt, Tschechien habe offenbar lange ermittelt. Laut Prag sollen dieselben russischen Agenten an der Explosion beteiligt gewesen sein, die den früheren Agenten Sergej Skripal und seine Tochter in England vergiftet hatten. Die Tat, die Tschechien Russland vorwirft, "würde in vielen Ländern als ein Akt des Krieges" bewertet werden, so Pifer gegenüber der DW.

Georgi Kunadse war in den 1990er Jahren stellvertretender Außenminister Russlands. Er schließt gegenüber DW innenpolitische Gründe für das tschechische Vorgehen nicht aus. Doch auch die Bereitschaft des Westens, russischen Geheimdiensten stärker entgegenzutreten, könnte eine Rolle spielen. "Es wird viel und nicht ohne Grund über Aktivitäten russischer Geheimdienste in anderen Ländern gesprochen", sagt Kunadse. "Davon sind Mitarbeiter russischer diplomatischer Vertretungen betroffen. Russland reagiert traditionell mit der Ausweisung einer gleichen oder größeren Zahl bei der gegnerischen Seite."

Hans-Jürgen Heimsoeth, ehemaliger deutscher Botschafter in der Ukraine und Schweden, plädiert dafür, die aktuellen Fälle in einem größten Kontext zu betrachten. Im Gespräch mit der DW verweist er darauf, dass sich die Beziehungen seit Jahren verschlechtern. "Russland ist auf Konfrontationskurs, ohne Zweifel, und wir sehen eine neue Qualität", sagt Heimsoeth. Zu seiner Zeit als BRD-Diplomat in den 1980er Jahren in Moskau habe es auch Spionagefälle und Ausweisungen gegeben, doch eine "Massierung von Erschwernissen" sei neu. Der Ex-Botschafter nennt die Fälle Skripal und Nawalny, außerdem Desinformationskampagnen, die Einmischung in Wahlen und den Bruch des Völkerrechts. Die Ausweisung von Diplomaten sei ein Signal, dass "man genau und aufmerksam verfolgt was Russland macht".

Ein Schlag gegen Geheimdienste

Russisches Konsulat in Karlovy Vary Bild: Igor Zehl/CTK/dpa/picture alliance

Steven Pifer nennt die harte Reaktion Russlands "einen Fehler". Moskau habe nicht nur dutzende Diplomaten nach Hause bringen müssen, sondern wurde auch von der Teilnahme am Bau eines Atomkraftwerks in Tschechien ausgeschlossen.

Pifer glaubt, dass russische Agenten in Prag einen schweren Schlag erlitten hätten. Georgi Kunadse ist da nicht so sicher. "Ich habe oft von Menschen aus diesem Milieu gehört, dass nach der Ausweisung eines bekannten Geheimdienstlers ein neuer kommt - und man diesen dann erst noch enttarnen muss", so der frühere Diplomat. "Ein gleicher Tausch ist selten. Wahrscheinlich wird jetzt ein sauberer Diplomat auf die Stelle eines Geheimdienstlers geschickt und auf einen sauberen Diplomaten folgt ein Geheimdienstler."

Darum hat Osteuropa Tschechien unterstützt

In der Europäischen Union fiel die Reaktion unterschiedlich aus. Brüssel äußerte sich solidarisch mit Tschechien. Auch westeuropäische Länder stellten sich an die Seite Prags, wiesen jedoch keine russischen Diplomaten aus - anders als Osteuropa. Steven Pifer glaubt, dass Länder des ehemaligen Warschauer Paktes stärker miteinander verbunden seien und früher für einen härteren Umgang mit Russland plädiert hätten. Georgi Kunadse nennt einen weiteren möglichen Grund: "Es fällt auf, dass sich in diesen Ländern Unmut aufgestaut hat, weil Russland sie nicht nicht Augenhöhe behandelt." Größere EU-Länder dagegen, etwa Deutschland, hätten engere Wirtschaftsverbindungen zu Russland, so seine Erklärung.

Solidarität lasse sich unterschiedlich zeigen, meint Hans-Jürgen Heimsoeth. So habe Deutschland der tschechischen Botschaft in Moskau Hilfe angeboten. Außerdem sei die EU in der Frage der "schmerzhaften Sanktionen" gegen Russland einig.

Russland und USA ohne Botschafter

Wladimir PutinBild: Alexander Zemlianichenko/AP Photo/picture alliance

Die Ausweisung von Diplomaten aus Tschechien und den USA und besonders der Rückzug von Botschaften zu Konsultation seien separat zu betrachten, so die früheren Diplomaten. "Man kann einen Botschafter nicht ausweisen", sagt Georgi Kunadse. Die Tatsache, dass Moskau den US-Botschafter zur Reise nach Hause drängte sei ein "Novum" und "eine persönliche Sanktion", die "nicht in diplomatische Normen passt." Steven Pifer beschreibt den Schritt als "ungewöhnlich, aber keine Krise". Er glaubt an eine baldige Rückkehr - spätestens, um das Treffen Bidens mit Putin vorzubereiten.

Georgi Kunadse schließt allerdings nicht aus, dass beide Länder länger ohne Botschafter werden auskommen müssen. Ein Treffen der Präsidenten würde die Lage kaum verbessern: "Russlands Haltung in der Welt sieht keine Kompromisse vor." Außerdem werde die Entscheidung Moskaus, ausländischen Staaten zu verbieten, russische Mitarbeiter in Botschaften zu beschäftigen, westliche Staaten hart treffen.  

Erfahrung aus Sowjetzeit als Hoffnungsschimmer 

Steven Pifer erinnert in diesem Zusammenhang an das Jahr 1986, als er in der US-Botschaft in der Sowjetunion arbeitete. "Wir haben am Ende des Jahres 80 russische Diplomaten aus Washington und New York ausgewiesen. Die UdSSR wies zehn amerikanische Diplomaten aus und verbot 200 Sowjetbürgern, im nicht geheim eingestuften Teil der US-Botschaft zu arbeiten", erinnert sich Pifer. "Es war hart. Jeder Mitarbeiter musste einmal die Woche administrative Aufgaben übernehmen. Ich habe meine Jeans angezogen und bin LKW gefahren, etwa nach Helsinki, um Lebensmittel zu bringen." Ähnlich werde es auch jetzt sein, so Pifer.

Die US-Botschaft in Russland verkündete am Freitag, ab Mitte Mai keine Visa auszustellen. Die Tendenz zeige in Richtung einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen, stellen die früheren Diplomaten fest. Ein Bruch jedoch sei nicht zu erwarten.            

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