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Kaiserschnitt

Gudrun Heise
15. September 2015

Nach neuesten Angaben des Statistischen Bundesamts kommt fast jedes dritte Kind in Deutschland per Kaiserschnitt zur Welt, obwohl die OP nicht immer nötig ist. Die meisten Hebammen plädieren für eine natürliche Geburt.

Neugeborenes und Mutter kurz nach der Geburt (Foto: Fotolia/philipus).
Bild: Fotolia/philipus

"Die Frau liegt auf dem Gynäkologen-Stuhl, ein gottgleicher Arzt hat ein Tuch über ihre Knie gelegt und sagt ihr, sie soll pressen. Die Hebamme wischt ihr mit einem Lappen das Gesicht ab." So werde eine Geburt oft im Fernsehen dargestellt, sagt Susanne Steppat vom Deutschen Hebammenverband. Aber das entspreche weder ihrer beruflichen Realität noch der Situation im Kreißsaal. Auch beim Thema Kaiserschnitt hätten viele Frauen vollkommen falsche Vorstellungen.

Der große Unterschied

Bei etwa jeder dritten Geburt wird in Deutschland ein Kaiserschnitt durchgeführt. Ob die wirklich alle notwendig sind, daran scheiden sich schon seit Jahren die Geister. In Deutschland lag die Kaiserschnittrate 2014 bei 31,8 Prozent und damit laut World Health Organization (WHO) an vierter Stelle in Europa, hinter Italien, Portugal und Luxemburg. Eine Studie, die Anfang dieses Jahres im internationalen Gynäkologen Journal BJOG veröffentlicht wurde, sieht Zypern an der Spitze, mit einer Kaiserschnittrate von 52 Prozent. Ganz hinten befindet sich Schweden mit nur 17 Prozent.

Aber auch innerhalb Deutschlands gibt es gravierende Unterschiede. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes liegt das Saarland mit 40,2 Prozent weit vorne, in Sachsen kommen mit gerade einmal 24,2 Prozent die wenigsten Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt.

Im Osten Deutschlands ist offenbar das Vertrauen in die Kunst der Hebamme größer und auch das in den eigenen Körper. "Das ist eben etwas, was die Schwangeren brauchen", sagt Susanne Steppat. "Alles, was mit Geburt und Schwangerschaft zu tun hat, fehlt ja im engeren Familienkreis. Wenn die Frauen aber die Gelegenheit haben, zu einer Hebamme zu gehen und alles nochmal mit ihr zu besprechen, dann trägt das dazu bei, dass die Kaiserschnittrate sinkt." Frauen, die während der gesamten Schwangerschaft von einer Hebamme betreut würden, hätten seltener einen Kaiserschnitt als diejenigen, die im Klinikprogramm zum Beispiel mit dem Schichtwechsel konfrontiert würden. Vieles hängt letztendlich von der Entscheidung des Arztes ab und vom jeweiligen Entscheidungsspielraum.

Ein Kaiserschnitt ist eigentlich eine NotoperationBild: picture-alliance/dpa

Trauma statt Traum

Bei Andrea Witthoff gab es keinen Entscheidungsspielraum, wie sie sagt. Sie hat zwei Kinder mit Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Es waren in beiden Fällen Notkaiserschnitte. Beide Kinder wollten drei Monate zu früh auf die Welt. Eine vaginale, also eine natürliche Geburt kam da nicht infrage.

Natürlich sei sie froh um die Möglichkeit, aber der Kaiserschnitt war dennoch ein traumatisches Erlebnis. "Es ist kein Gebären mehr, sondern ein entbunden werden. Letztendlich ist Geburt ja ein lebendiges Geschehen." Witthoff ist selbst eine erfahrene Hebamme. Aber sie könne in diesem Fall nur ihr ganz subjektives Empfinden wiedergeben. "Es ist ein Gefühl des Ausgeliefertseins. Durch diese professionelle Distanz der Beteiligten um mich herum gab es überhaupt keine Form von Nähe. Ich war gar nicht mehr existent, so als hätte man mich an der OP-Tür abgegeben." Und als Hebamme weiß sie, dass es vielen Müttern ähnlich geht.

Gute Gründe für einen Kaiserschnitt

Es gibt viele eindeutige Indikationen dafür, wann ein Kaiserschnitt nötig ist, um das Leben von Mutter und Kind zu schützen. Dann müssen die Ärzte auf jeden Fall einen Notkaiserschnitt durchführen. Das gilt genauso bei einem Geburtsstillstand oder wenn die Frau durch eine lang anhaltende Geburt stark geschwächt ist. Als eindeutige Indikation gilt aber auch, wenn die Mutter spezielle Vorerkrankungen hat, zum Beispiel HIV, oder wenn der Kopf des Kindes zu groß für den Geburtskanal ist. Das kann während der Schwangerschaft relativ zuverlässig ausgemessen werden. Dann entscheiden sich die Mediziner meist für einen sogenannten primären Kaiserschnitt.

Die "ideale" Kaiserschnittrate liegt nach Angaben der WHO zwischen zehn und 15 Prozent. Die WHO hat nun ein Papier veröffentlicht, das auf zwei neuen Studien basiert. Sie zeigen unter anderem, dass mit Anstieg der Kaiserschnittrate auf etwa zehn Prozent die Sterberate bei Müttern und Neugeborenen abnimmt. Liegt sie aber über zehn Prozent, gibt es keinen Beleg für eine verbesserte Sterberate. Noch fehle es an einer standardisierten und international anerkannten Klassifizierung, so die WHO. Viele Kaiserschnitte würden ohne Notwendigkeit durchgeführt. Dadurch könne es sowohl bei der Mutter als auch beim Kind zu kurzfristigen oder sogar langfristigen, gesundheitlichen Problemen kommen.

Schmerzvolle Erfahrung

Ein Wunschkaiserschnitt wird meist lange vor der Geburt geplantBild: Fotolia/Mikael Damkier

Viele Frauen entscheiden sich schon weit vor dem Geburtstermin für einen Kaiserschnitt, weil sie vor dem Geburtsschmerz Angst haben. Aber auch ein Kaiserschnitt ist keinesfalls schmerzfrei. Er ist eine große Operation. Die Wunden müssen verheilen, und das dauert länger als die Genesung bei den Frauen, die ihr Kind auf natürlichem Weg zur Welt gebracht haben. Auch auf die Kinder kann sich ein Kaiserschnitt negativ auswirken. Sie leiden häufiger unter Atemproblemen, weil sie das Fruchtwasser nicht komplett aus ihren Lungen pressen können, so wie es bei einer natürlichen Geburt durch den engen Geburtskanal passiert.

Kinder kommen steril zur Welt, nehmen aber während der Geburt die Bakterien der Mutter auf. Das ist bei Kaiserschnitt-Kindern nicht der Fall. Und so haben sie oft ein schwächeres Immunsystem. Studien zufolge gibt es bei ihnen ein erhöhtes Risiko, später an Infektionen, Allergien und Asthma zu erkranken.

Im Zweifel für einen Kaiserschnitt

Gerade bei Frauen, die bereits ein Kind per Kaiserschnitt zur Welt gebracht haben, empfehlen die Ärzte oft auch beim zweiten Kind diesen Eingriff. Medizinisch gebe es dafür keinen Grund, so Petra Kolip. Die Professorin für Prävention und Gesundheitsförderung an der Uni Bielefeld hat im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung schon vor einigen Jahren an einem Faktencheck zum Kaiserschnitt mitgearbeitet. "In unseren Kliniken wird eher automatisch ein Kaiserschnitt gemacht, nach dem Motto: Gehen wir auf Nummer sicher, dann gehen wir auch kein Risiko ein."

Zwillinge kommen oft per Kaiserschnitt zur WeltBild: Fotolia

Das gleiche gilt für Zwillingsgeburten. In Deutschland kommen drei Viertel aller Zwillinge mit Kaiserschnitt auf die Welt. In vielen Kliniken stecke auch die Angst vor möglichen, weitreichenden Konsequenzen hinter der Entscheidung zum Kaiserschnitt. "Kein Arzt will verklagt werden, weil er einen solchen Eingriff zu spät durchgeführt hat. Wenn ein Kind dann mit einem Geburtsschaden auf die Welt kommt, sind die Schadenssummen sehr hoch", sagt Kolip.

Perfekte Geburt, perfektes Kind

Etwa tausend Babies hat Steppat auf die Welt geholfen. Aber im Laufe der Jahre hat sich die Situation im Kreißsaal stark geändert. Das Streben nach Perfektion habe längst Einzug gehalten, so Susanne Steppat. "Die Normierung macht uns zu schaffen, die große Technikgläubigkeit und dass man eher auf die Geräte guckt, anstatt darauf, ob es Mutter und Kind gut geht." Eine natürliche Geburt ist nicht bis ins letzte Detail vorhersehbar. Ein geplanter Kaiserschnitt hingegen kann auf den Tag und die Stunde genau kalkuliert werden. Es ist von vornherein klar, wie viel Personal benötigt wird, vor allem aber wie viel Zeit. Ein Kaiserschnitt dauert in etwa eine halbe bis eine Stunde, bei einer natürlichen Geburt ist das nicht vorhersehbar. "Da werden die Ärzte schon mal ungeduldig", weiß die erfahrene Hebamme.

Die Gründe für einen Kaiserschnitt sind sehr individuell, erklärt Kolip. "Sie wollen nicht die Kontrolle verlieren und sagen: 'Ich will mich in einer so existentiellen Situation nicht Menschen ausliefern, die ich nicht kenne. Und für sie ist ein geplanter Kaiserschnitt der Versuch, Kontrolle über die Situation zu bekommen oder zu behalten." Geburt nach Plan, weil ein wichtiges Fußballspiel ansteht, das der Vater nicht verpassen will, oder ein besonderes Datum sind als Grund eher die Ausnahme. Und auch die Schönen und Reichen dieser Welt, die oft per Kaiserschnitt entbinden, sind für die meisten Frauen wohl doch nicht das entscheidende Vorbild. Und auch wenn es von einigen Kliniken angepriesen wird, einen sanften Kaiserschnitt gibt es nicht. Da sind sich die Hebammen einig und vermutlich auch die Frauen, die einen solchen Eingriff erlebt haben.

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