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Mit EU-Milliarden aus der Coronakrise

Marina Strauß
30. April 2021

Mit 750 Milliarden Euro will die EU ihre Wirtschaft wieder aufpäppeln. Der Wiederaufbau nach der COVID-19-Pandemie soll vor allem grün und digital sein. Doch Kritiker werfen Deutschland zu wenige Ambitionen vor.

Österreich | One Europe for all-Demo in Wien
Bild: Reuters/L. Niesner

Ursula von der Leyen bezeichnete den 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds kürzlich als "Jahrhundertchance für Europa", und als "einen historischen Moment". 

Auch wenn viele sicher weniger enthusiastische Worte wählen würden als die deutsche EU-Kommissionpräsidentin, ist eines sicher: Der von der EU als Next Generation EU (NGEU) betitelte COVID-19-Rettungsfonds ist eine Premiere: Denn zum ersten Mal nimmt die EU gemeinsame Schulden auf. In anderen Krisen, wie etwa der Finanzkrise vor gut einem Jahrzehnt, war das noch unvorstellbar.  

Doch bevor die 27 Länder der Union anteilig Geld aus dem Fonds bekommen - davon mehr als die Hälfte Zuschüsse, der Rest günstige Kredite - sollten alle Mitgliedsländer bis Ende April ihre detaillierten Pläne vorlegen, wie sie die Milliarden nutzen wollen. Offenbar aber haben die allermeisten Regierungen ihre Pläne aber noch nicht fertig, denn bis zum heutigen Freitagnachmittag haben gerade mal fünf der 27 ihre Papiere nach Brüssel übermittelt. Keine Überraschung für die Europäische Kommission, die der Qualität der Pläne "die erste Priorität vor der terminlichen Frist" einräumt. Der 30. April sei nur ein "Orientierungsdatum", so eine Sprecherin der Kommission.

Jahrhundertchance für Europa: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der LeyenBild: Olivier Hoslet/AFP/Getty Images

Deutschland: "Game changer" oder "uanambitioniert"?

Die EU-Institutionen haben festgelegt, dass 37 Prozent der jeweiligen Summe in Klimaschutz fließen müssen, 20 Prozent in den digitalen Wandel, beides Kernthemen der aktuellen EU-Kommission. Und - ein Fakt, auf den besonders Deutschland sehr pochte: Die Gelder sollen an Reformen geknüpft sein. 

Vor allem bei den Grünen im Europaparlament ist man gerade deswegen nicht wirklich erfreut über den deutschen Plan. Als "extrem unambitioniert" bezeichnet ihn der Abgeordnete Rasmus Andresen. "Die Bundesregierung erfüllt zwar ihre Zielvorgaben, etwa beim Thema Klima, aber nur, was sowieso schon im eigenen deutschen Corona-Konjunkturprogramm geplant war." Der Vorwurf: Statt mit einem Investitions- oder Naturschutzfonds innovative Ideen zu fördern, finanzierten die Deutschen sich mit Geldern von anderen EU-Staaten quer. 

Zsolt Darvas von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel kennt diese Vorwürfe. Er beschäftigt sich intensiv mit den einzelnen Plänen, muss sich aber wie alle gerade durch die Tausenden Seiten wühlen. Wenn die Milliarden aus dem Wiederaufbau-Fonds für sowieso schon budgetierte Programme genutzt würden, sei das ein großes Problem - egal bei welchem Land. "Die Idee von Next Generation EU ist es zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, die der wirtschaftlichen Erholung nach COVID-19 dienen sollten." 

Olaf Scholz, der deutsche Finanzminister, hingegen bezeichnete das Wiederaufbau-Paket als "game changer" für eine digitales und klimaneutrales Europa. 

Deutschland bekommt rund 28 Milliarden Euro aus dem Fonds, 25,6 davon als Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Im Vergleich zum 130 Milliarden Euro teuren deutschen Konjunkturprogramm keine Unsummen. Viel wichtiger ist für Deutschland wirtschaftlich gesehen, dass auch die anderen EU-Staaten wegen der Pandemie nicht eine tiefe Krise schlittern. "Deutschland wird nur erfolgreich sein, wenn Europa erfolgreich ist,” ist deswegen ein Satz, den Olaf Scholz in der Pandemie häufiger wiederholte. 

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel beim alles entscheidenden EU-Gipfel im Juli 2020Bild: picture-alliance/AP/J. Thys

Frankreich: "Die Jugend trägt die Hauptlast der Krise"

Ein Beispiel dafür ist Frankreich, Deutschlands Nachbar und wichtiger Partner im Verbund der europäischen Staaten. Kein Wunder also, dass der deutsche Finanzminister Scholz und sein französischer Counterpart Bruno Le Maire, die Pläne der beiden Länder Mitte der Woche gemeinsam bei einer virtuellen Pressekonferenz vorstellten. 

Frankreich bekommt rund 40 Milliarden Euro an Zuschüssen und ist damit nach Spanien und Italien das drittgrößte Empfängerland. Dieses Geld wird rund 40 Prozent des 100 Milliarden umfassenden französischen Wiederaufbau-Programmms France Relance ausmachen. 

Le Maire verkündete, Frankreich wolle die Hälfe des EU-Geldes für Klimaschutz ausgeben. Besonders gefördert werden soll das bereits bestehende Programm Ma Prime Rénov', mit dem Menschen Zuschüsse erhalten können, wenn sie ihre vier Wände energiegerecht isolieren oder sanieren. 

Ein Viertel der Gelder ist für den digitalen Wandel vorgesehen. Außerdem hat Frankreich vor, die Jugend zu unterstützen, etwa durch berufliche Trainings. "Wir sind uns absolut bewusst, dass junge Menschen die Hauptlast der Krise tragen. Wir haben eine Schuld ihnen gegenüber und wir werden sie begleichen", sagte Bruno Le Maire. 

Vereint in der Krise: Deutschlands Finanzminister Olaf Scholz (l.) und sein französischer Kollege Bruno Le MaireBild: Getty Images/AFP/J. MacDougall

Italien: Größter Wiederaufbauplan 

Das schwer von der Corona-Pandemie getroffene Italien erhält mit rund 200 Milliarden Euro den größten Anteil aus dem Wiederaufbau-Fonds, mehr als die Hälfte der Summe sind langfristige Kredite. Der Grund dafür ist, dass Italien über die EU günstiger am Kapitalmarkt Schulden aufnehmen kann, als wenn es sich selbst Geld leihen würde. 

Nachdem sein Vorgänger Giuseppe Conte Anfang des Jahres wegen eines Streits um die Verteilung der Milliarden aus dem Amt stürzte, blieb Mario Draghi nur wenig Zeit, um einen neuen Plan auszuarbeiten. Der amtierende Ministerpräsident und ehemalige EZB-Chef sagte vor kurzem im italienischen Parlament, Italien baue auf drei Pfeiler: die Wohlstandslücke zwischen dem reicheren Norden und dem armen Süden überbrücken, mehr Gerechtigkeit der Geschlechter und zwischen der älteren und der jüngeren Generation. 

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi präsentiert den Aufbauplan seines Landes im italienischen Parlament (27. April 2021)Bild: Roberto Monaldo/LaPresse/ZUMA Press/dpa/picture alliance

Zsolt Darvas von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel stellt Mario Draghis Plan ein positives Zeugnis aus. Besonders hebt er hervor, dass Italien Reformen in der öffentlichen Verwaltung und im Justizsystem vornehmen will, zwei von Italiens "größten Schwachstellen", sagt Darvas. 

Der Wirtschaftswissenschaftler attestiert Italien im Vergleich zu Deutschland unterschiedliche Prioritäten. Italien etwa will laut Plan 86 Milliarden Euro für grüne Investitionen ausgeben, Deutschland nur elf Milliarden, was allerdings auch an der vergleichsweise geringen Summe liegt, die die Bundesregierung bekommen wird.

Nachzügler: Droht noch ein Scheitern? 

Die EU-Kommission hat ab Abgabe der jeweiligen Pläne zwei Monate Zeit, um zu überprüfen, ob die Länder in ihren Plänen die vorgeschriebenen Regeln erfüllen. Erste Auszahlungen sind also frühstens im Juli möglich. Doch es gibt aber weitere Faktoren, die den Fonds behindern oder sogar in Gefahr bringen könnten. Bevor die EU-Kommission anfangen kann, Kredite aufzunehmen oder die Milliarden auszuzahlen, müssen alle 27 EU-Staaten den Beschluss ratifizieren. 

Nachdem viele in Brüssel aufatmetet hatten, weil das Bundesverfassungsgericht in Deutschland einen Eilantrag ablehnte, der die Schuldenaufnahmen der EU stoppen sollte, hängt es jetzt etwa an Finnland. Nach einer vorerst überstandenen Regierungskrise sieht es aber so aus, also ob Premierministerin Sanna Marin nun doch die nötige Unterstützung bekommt, um den Beschluss durchs Parlament zu bringen. 

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