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Fontane-Wanderung

Martin Roddewig7. Oktober 2013

Durch Brandenburg mit seinen weiten Feldern, Wäldern und Seen zu streifen, inspirierte Schriftsteller Theodor Fontane im 19. Jahrhundert. Auf seinen Spuren zu wandern ist heute sehr beliebt - aber gar nicht so einfach.

Landschaft mit Feldern und kleinem Kanal in Brandenburg
Bild: DW/M. Roddewig

Erste Erkenntnis: Fontane wusste, wo's lang geht. Ich stehe mitten in einem dichten Rotbuchenwald, nur eine halbe Stunde von meinem Ausgangspunkt entfernt und weiß schon nicht mehr weiter. Der Weg gabelt sich, der größere führt gefühlt in die falsche Richtung, also nehme ich den kleineren, der sich gerade noch erkennbar zwischen den Bäumen entlang schlängelt. Aber sicher bin ich mir nicht.

Der Fontaneweg F3, auf dem ich mich befinde, ist mehr eine Absichtserklärung denn ein durchgängig beschilderter Wanderweg. 1988 wurde er eröffnet, anlässlich des 90. Todestages des Schriftstellers Theodor Fontane. Er ist eine der ersten sechs Fontane-Routen, die nach dessen Aufzeichnungen rekonstruiert wurden und führt von Groß Glienicke nach Marquardt, einem Ortsteil Potsdams.

Der Weg verbindet Stationen, die Fontane vor etwa 150 Jahren aufgesucht hat, dazwischen aber ist der Wanderer auf sich gestellt. Die wenigen Wegweiser findet er nur in Ortschaften. Also weiter. Erstaunlich, wie einsam man am Berliner Stadtrand wandern kann. Nach einer halben Stunde treffe ich auf drei jugendliche Pilzsucher: “Nach Fahrland? In diese Richtung, immer geradeaus!“

Der Weg führt durch schattige Wälder am Wasser entlangBild: DW/M. Roddewig

Wanderungen als Inspirationsquelle

Irgendwie habe ich mich dann doch verlaufen. Aber das hat auch seinen Vorteil. Nach gut einer Stunde stehe ich an der Havel, die ich sonst gar nicht gesehen hätte. Hier, kurz vor Potsdam, verbreitert sie sich zum Jungfernsee. Gute Gelegenheit für eine Pause. Ich setze mich auf eine Bank am Ufer, genieße die Stille und den weiten Blick über die ruhige Wasserfläche des Sees.

Der Fontaneweg F3 führt durch das Havelland westlich von Berlin. Die Ziele dieser Tour hat Fontane in seinen “Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ beschrieben. Es ist mit fünf Bänden das umfangreichste seiner Werke, erschienen zwischen 1862 und 1889. Rund 30 Jahre lang wanderte Fontane immer wieder in seiner Heimat Brandenburg. Was er dabei erlebte, inspirierte ihn zu späteren Werken wie seinem wohl bekanntesten Roman “Effi Briest“.

Seltene Erscheinung: Wegweiser am Fontaneweg F3Bild: DW/M. Roddewig

Zweite Erkenntnis: Fontane war gut zu Fuß. Zwar folgt keiner der Fontanewege Routen, die Fontane wirklich gelaufen ist - weil man die nicht kennt und aus seinen Reisebeschreibungen nur ungefähr rekonstruieren kann. Doch die schiere Fülle der Orte, die er in seinen “Wanderungen“ beschreibt, ist eindrucksvoll, zumal er damals nicht auf ausgebaute Verkehrswege zurückgreifen konnte. Auch die heutigen Fontanewege sollte man nicht unterschätzen, bis zu 20 Kilometer sind die meisten lang.

Viel Wasser und viel Ruhe

Während die Havel südwärts zieht, schlage ich den Weg nach Westen ein. An den schilfigen Ufern des Sacrow-Paretzer Kanals geht es entlang, kleine Boote tuckern an mir vorbei. Ich erreiche Fahrland, eine kleine Ortschaft, in der sich seit Fontanes Zeiten nicht viel verändert zu haben scheint:

Verträumtes Boot am Kanal - Brandenburgs stille ReizeBild: DW/M. Roddewig

Pappeln und Elsen fassen die zahlreichen Wege ein; Schlickmühlen stehen an den Gräben hin, bereit um die Regenzeit, wenn alle Felder zu Inseln geworden sind, ihre Tätigkeit zu beginnen. Im ganzen eine reizlose Landschaft, gleich arm an charakteristischen wie an Schönheitspunkten.“

Humor hatte Fontane also auch. Immerhin: eine Brücke gibt es in Fahrland. Hier passiere ich den Kanal und die Landschaft weitet sich. Felder, die jetzt im Frühherbst abgeernet sind und deren Sandböden braun und gelb schillern, dazwischen kleine Wälder und Dörfer, die in ihrer Geschichte nie wirklich reich gewesen sind – Brandenburgs Reize sind ruhig und unspektakulär. Ganz weit hinten kommt nach drei Stunden Gehzeit das Ziel meiner Tour in Sicht - Marquardt.

Immer wieder öffnen sich Ausblicke auf weite Wiesen.Bild: DW/M. Roddewig

Vorbereitung ist alles - Reise in die Geschichte

Dritte Erkenntnis: Fontane war gut vorbereitet. Seine “Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ sind nicht nur Reisebeschreibungen von Orten, Landschaften, Schlössern und Klöstern. Sie enthalten auch Sagen und Legenden und sind detaillierte Geschichtsbücher, mit Familienchroniken, Biografien und historischen Exkursen gespickt. Der Literat sprach mit Einheimischen und vertiefte sich in historische Quellen. So entlockte er Brandenburg seinen Zauber: ein Reichtum an Geschichten in einer schlichten Landschaft aus Wald, Feldern und Seen.

Wer sich auf Fontanes Spuren begibt, sollte sich jedenfalls – ganz wie der Dichter – belesen. Denn die Fontanewege warten nicht mit spektakulären Naturschauspielen und atemberaubenden Sehenswürdigkeiten auf, viele Attraktionen muss man gezielt aufsuchen. Mein Ausgangspunkt Groß Glienicke etwa war - wie Berlin - bis zur deutschen Wiedervereinigung geteilt. Wo dort die Grenze verlief, das kann man heute noch an den verschiedenen Baustilen erkennen. Und in der Nähe von Fahrland liegt eine ehemalige Kaserne, in der Regisseur Quentin Tarantino seinen Film “Inglourious Bastards“ gedreht hat.

Schauplatz mit unheimlichem Charme

In Marquardt schließlich steht ein echtes Spukschloss - glaubt man zumindest Fontane, der die wechselhafte Geschichte des Hauses eingehend erforscht hat. Demnach hielten hier mysteriöse Geheimorden ihre Sitzungen ab. Und eine unglückliche Schlossherrin beging Selbstmord und geht seitdem jede Nacht um. Das muss man nicht glauben, gespenstisch wirkt das Schloss aber durchaus mit seiner bröckelnden Fassade. Es stand lange leer, heute wird es für Veranstaltungen vermietet und ist beliebt als Filmkulisse. 2007 wurde hier - ganz authentisch - Fontanes bedeutender Gesellschaftsroman “Effi Briest“ verfilmt.

Kulisse für Legenden und Filme: Schloss MarquardtBild: DW/M. Roddewig

Abendstimmung am See - Zeit für den Heimweg

Bezaubernd ist der Blick vom Schloss auf den angrenzenden See im Abendlicht, der seinerzeit auch Fontane begeisterte:

Der prächtige, zwanzig Morgen große Park nimmt uns auf. (...) Seine Lage ist prächtig; in mehreren Terrassen… steigt er zu dem breiten, sonnenbeschienenen Schlänitzsee nieder, an dessen Ufern, nach Süden und Südwesten hin, die Kirchtürme benachbarter Dörfer sichtbar werden. Mit der Schönheit seiner Lage wetteifert die Schönheit der alten Bäume: Akazien und Linden, Platanen und Ahorn, zwischen die sich grüne Rasenflächen und Gruppen von Tannen und Weymouths-Kiefern einschieben.“

Wie ein Gemälde der Romantik: der Park von Schloss Marquardt, gestaltet von Gartenkünstler Peter Joseph LennéBild: DW/M. Roddewig

Eindrucksvoller als Fontane kann man es kaum beschreiben. Und idyllischer als mit diesem Anblick kann eine Wanderung in Brandenburg kaum enden.

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