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Mit Hitzetraining ins Gelbe Trikot der Tour de France

Tom Mustroph
16. Juli 2025

Eine alte Trainingsmethode erfährt - wissenschaftlich begründet - bei dieser Tour de France eine verblüffende Renaissance.

Bei der Tour der France 2023 ist es heiß: Auf der 10. Etappe gießt sich Rennprofi Wout van Aert Tour de France 2023 | 10. Etappe | Hitze | Wout Van Aert vor Mathieu Van Der Poel
Hitzetraining versetzt den Körper in einen leichten Fieberzustand und soll für erhöhtes Blutvolumen, bessere Sauerstoffverteilung und Bildung neuer, roter Blutkörperchen sorgenBild: Roth/picture alliance

Hitzetraining ist angesagt bei dieser Tour de France. Nicht nur weil die Sonne in Frankreich scheint und ein Athletenkörper gut an die Hitze angepasst sein sollte. Nein, Hitzetraining sorgt sogar bei moderateren Temperaturen für einen Extra-Kick an Leistung. Davon ist man bei den derzeit erfolgreichsten Radsport-Rennställen fest überzeugt.

"Eigentlich war Hitzetraining das einzige, was wir bei der Vorbereitung auf die diesjährige Tour anders gemacht haben als in den vergangenen vier Jahren", sagt Kristof de Kegel, Sportwissenschaftler und Mitarbeiter des belgischen Rennstalls Alpecin Deceuninck. Dort fahren der Niederländer Mathieu van der Poel, der bei dieser Tour schon mehrere Tage das Gelbe Trikot des Spitzenreiters trug - und auch Jasper Philipsen. Der Belgier holte am ersten Tag der Frankreich-Rundfahrt den Etappensieg und das Gelbe Trikot, schied aber am dritten Tag nach einem schweren Sturz aus.

Spüren die Rennfahrer die Verbesserung durch Hitzetraining? "Ja, das ganze Team ist stark, deshalb glauben wir das", so de Kegel im Gespräch mit der DW. "Es gibt keinen hundertprozentigen Beleg. Aber wenn wir sehen, welche Leistungen das ganze Team jetzt bringt und was wir anders machen im Vergleich zu früheren Jahren, dann würde ich sagen: Ja, das ist so."

Gezieltes Fieber für bessere Leistungen 

Auch die Trainer des Titelverteidigers und Topfavoriten Tadej Pogacar aus Slowenien schwören auf den Extrakick durch Hitzereize. "Wir ergänzen mit Hitzetraining das Höhentraining", berichtet Sportwissenschaftler Jeroen Swart von Pogacars Team UAE Emirates XRG der DW. Ziel ist es, die Körperkerntemperatur auf 38,5 Grad zu erhöhen, also für einen leichten Fieberzustand zu sorgen. 

Das Hitzetraining könne passiv erfolgen, erklärt der österreichische Radprofi Felix Gall der DW: "Dann geht man nach dem Training in die Sauna oder nimmt ein warmes Bad. Bei aktivem Hitzetraining zieht man am letzten Anstieg im Höhentrainingslager extrem viel Kleidung an oder geht damit hinterher noch auf die Rolle [Gerät, das es ermöglicht, auf einem Fahrrad zu trainieren, ohne sich von der Stelle zu bewegen - Anm. d. Red.]."

Eddy Merckx erreicht 1979 bei großer Hitze vollkommmen erschöpft das Ziel der 14. Etappe auf dem Mont Ventoux. Der Belgier muss wegen Sauerstoffmangels gestützt werden. Am Ende gewinnt er die Tour.Bild: UPI/dpa/picture alliance

Hitzetraining effektiver als Höhentraining?

Carsten Lundby forscht schon seit etwa zehn Jahren zu den Effekten von Hitze- und Höhentraining sowie der Kombination aus beidem. "Hitzetraining ist meiner Einschätzung nach effektiver als die Art Höhentraining, die die meisten Radsportteams heutzutage machen", meint der Sportwissenschaftler von der dänischen Universität Odense.

Das liege vor allem daran, dass mehr Menschen auf die Reize reagieren, die Hitze im menschlichen Organismus auslöst, als auf den Stress, den dünne Atemluft in der Höhe bewirkt. "Die Effekte von Hitzetraining sind viel stärker und auch viel verbreiteter als die von Höhentraining", so Lundby. "Manche Menschen reagieren gar nicht auf Höhentraining. Dagegen es ist sehr selten, dass jemand auf Hitzetraining nicht reagiert. Hitze ist ein viel größerer Stressfaktor als die Höhe. Wenn ich die Wahl hätte zwischen beiden Trainingsformen, würde ich immer Hitzetraining wählen."

Seine Studien haben unter anderem gezeigt, dass Hitzetraining nicht nur das Blutvolumen erhöht. Die größere Flüssigkeitsmenge kann dafür sorgen, dass die roten Blutkörperchen besser im Muskelgewebe verteilt werden, dadurch mehr Sauerstoff dort ankommt und die Leistung steigt. Der Stressfaktor Hitze regt darüber hinaus zur Bildung neue roter Blutkörperchen an, macht also genau das, was man sich von Höhentraining erhofft.

Den Körper bewusst in diese Stresssituation zu bringen, birgt gewisse Risiken für die Gesundheit, insbesondere für das Herz-Kreislauf-System und die Psyche. Für die Rennprofis, die ständig von Ärzten begleitet und beobachtet werden, sind gesundheitliche Probleme wie Dehydration, Mineralverlust, Atembeschwerden, Hitzschlag, Sonnenstich und plötzlicher Leistungsabfall meistens gut zu kontrollieren und vorab vermeidbar.

Formel 1 und Marathonläufer nutzen ebenfalls Hitzetraining

Ganz neu ist die Trainingsmethode nicht, jedenfalls nicht für den deutschen Meister Georg Zimmermann, der auch bei der Tour im Einsatz ist: "Schon seit Jahren bin ich ein großer Saunafreund. Es ist fast ein Hobby von mir. Von daher machte ich das schon, bevor überhaupt das Thema aufkam, ohne zu wissen, dass es Training ist."

Rolf Aldag, Ex-Profi und sportlicher Leiter beim deutschen Team Red Bull-Bora-hansgrohe, kennt sogar ganz frühe Anwender: "Bei der WM 1992 in Benidorm kam Miguel Indurain [fünfmaliger Tour-de-France-Sieger aus Spanien - Anm. d. Red.] mit Thermojacke und Beinlingen an. Das ist jetzt 33 Jahre her."

Damals galt das noch als originell. Heutzutage integrieren die Sportwissenschaftler in Reihen der Profi-Radteams Hitzetraining in die Abläufe. Auch in anderen Sportarten ist Hitzetraining en vogue. Die Formel1-Rennställe Ferrari und Red Bull ließen schon 2022 vor dem Grand Prix in Singapur ihre Piloten extra für die Hitze trainieren. Auch bei Marathonläufern wird Hitzetraining immer beliebter. 

Chance für kleinere Teams aufzuholen

Im Radsport kann Hitzetraining einen zusätzlichen positiven Effekt haben: Sich dicke Kleidung anzuziehen oder in die heiße Badewanne zu steigen, ist bei weitem nicht so teuer, aufwendig und auch strapaziös wie ein Höhentrainingslager. Teams mit kleinerem Budget könnten hier zu den Branchenführern aufschließen.