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Politik

Japans "verborgene Dunkelheit"

25. November 2019

Die Regierung in Tokio setzt unerwünschte Ausländer mit überlanger Abschiebehaft unter Druck. Trotz eines Todesfalls soll sich daran nichts ändern. Martin Fritz aus Tokio.

Japan Flüchtlinge
Demonstranten fordern eine tolerante Asylpolitik in Japan (Archiv)Bild: Picture alliance/NurPhoto/A. Di Ciommo

"Wir sind Menschen und wollen unsere Menschenrechte geschützt haben!" Am 2. November stand Behzad Abdollahi mit einigen Unterstützern vor dem Tokioter Bahnhof Shinjuku und forderte über ein Megafon mehr Rechte. Der Iraner hatte drei Jahre und zehn Monate im Abschiebezentrum Ushiku, etwa 80 Kilometer nordöstlich von der Hauptstadt Tokio, eingesessen.

Er kam vorübergehend auf freien Fuß, nachdem er seinen Hungerstreik beendet hatte. Aber fünf Tage nach seinem Protest und nach nur zwei Wochen in Freiheit musste Abdollahi zurück in seine Zelle. "Mein Körper und meine Seele sind geschunden, ich mag nicht essen und kann nicht schlafen", bekannte der Iraner.

Abdollahis Schicksal steht stellvertretend für Japans hartherzigen Umgang mit Ausländern, die ihr Aufenthaltsrecht verloren haben. Viele davon sind Flüchtlinge mit abgelehntem Asylantrag. Verweigern sie die Abschiebung, dann versucht das Justizministerium ihren Widerstand durch eine dauerhafte Abschiebehaft zu brechen.

Derzeit sitzt mehr als die Hälfte der 1100 Häftlinge in den 17 Abschiebezentren länger als sechs Monate hinter Gittern. Viele wehren sich mit einem Hungerstreik. Seit dem 6. November verweigern zum Beispiel zehn Langzeit-Insassen im Zentrum Osaka jede Nahrung. Ende September befanden sich 198 Menschen im Hungerstreik. Laut Justizministerium stellten Iraner die größte Gruppe.

Kurdische Flüchtlinge in Japan (Archiv)Bild: AFP/Getty Images/Y. Tsuno

Freilassung als Druckmittel

Auf die Entwicklung reagierte die staatliche Einwanderungsbehörde Japans mit einer zynischen Taktik. Sie verspricht den Häftlingen, sie freizulassen, falls sie wieder mit dem Essen anfangen. Dieses Angebot erhält, wer länger als zehn Tage gehungert und über zehn Kilogramm abgenommen hat, berichtete die Hilfsorganisation Ushikunokai. Aber die Hoffnung der Menschen, länger in Freiheit bleiben zu dürfen, wird enttäuscht. Nach zwei Wochen müssen viele zurück in Haft. Andere müssen sich regelmäßig bei der Polizei melden. Dabei leben sie in ständiger Angst, willkürlich neu inhaftiert zu werden. Erwerbstätigkeit ist ihnen verboten.

"Wenn Leute mit Abschiebehaft unter Druck gesetzt und zum Abbruch des Hungerstreiks gedrängt werden, dann ist dies eine Art von Folter", empörte sich der Anwalt Takeshi Ohashi, der mehrere Abschiebehäftlinge vertritt. Die Tokioter Rechtsanwaltskammer forderte im DW-Interview eine Diskussion über die Menschenrechte. Das Kammermitglied Teruo Tojo verlangte auf einer Pressekonferenz, die Abschiebehaft zeitlich zu begrenzen. Bisher braucht die Behörde weder Inhaftierung noch Freilassung zu begründen. "Die jahrelange Inhaftierung von Ausländern ohne Dokumente ist nicht verhältnismäßig und verletzt daher die Rechte der Person", sagte Kanae Doi von Human Rights Watch Japan der Deutschen Welle.

Die liberale Zeitung Mainichi fragte in einem Kommentar, ob die japanische Regierung wohl ein Bewusstsein für Menschenrechte habe. Zuvor hatte das Blatt die Zustände in den Abschiebezentren als "verborgene Dunkelheit" bezeichnet. In den vergangenen zwölf Jahren starben insgesamt 15 ausreisepflichtige Ausländer. Dennoch preist sich Japan vor den Olympischen Spielen 2020 in Tokio als weltoffenes Land an.

Demonstration 2016 in Tokio für den Schutz von Flüchtlingen (Archiv) Bild: Picture alliance/NurPhoto/A. Di Ciommo

Todesfall durch Hungerstreik

Die neue Strategie des Justizministeriums gegen die Hungerstreikenden hängt mit dem Fall eines Nigerianers zusammen, der sich Ende Juni nach dreieinhalb Jahren Haft im Abschiebezentrum Omura zu Tode hungerte. Dort verzichtete man offenbar aus Mangel an medizinischem Personal darauf, den Mann zwangsweise zu ernähren. Dennoch erklärte die Behörde Anfang Oktober, ihre Mitarbeiter hätten korrekt gehandelt.

"Wir sind zum Deportieren verpflichtet", bekräftigte die Chefin der Einwanderungsbehörde, Shoko Sasaki, vor ausländischen Journalisten. "Wir wollen diese Leute, die in Abschiebehaft sitzen, nicht in unserem Land haben." Später verbreitete ihre Behörde, 43 Prozent der Abschiebeverweigerer hätten Straftaten begangen.

Das suggeriere, ihre Freilassung gefährde die öffentliche Sicherheit, meinte darauf die Anwältin Masako Suzuki. Jedoch würde das japanische Strafrecht keine vorbeugende Inhaftierung von potenziellen Straftätern kennen.

Unterdessen sucht Japan nach neuen Wegen, um die Abschiebungen durchzusetzen. Im Juli erreichte die Regierung, dass die Türkei künftig auch ihre Staatsangehörigen ohne Pass aus Japan zurücknimmt. Im Gegenzug darf die Türkei an dem neuen Visumprogramm für ausländische Arbeitskräfte teilnehmen. Den gleichen Handel hat Japan dem Iran angeboten. Ein Drittel der Abschiebehäftlinge in Japan sind Iraner. Bislang besteht die Regierung in Teheran allerdings darauf, dass ihre Bürger das Recht hätten, eine Abschiebung zu verweigern.

 

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