1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Der Druck auf Nicaraguas Opposition wächst

17. August 2018

Alles sei unter Kontrolle, verkündet Vizepräsidentin Rosario Murillo nach drei Monaten andauernder Proteste gegen die autoritäre Regierung. Doch die Hetzjagd auf Regierungskritiker geht weiter. Aus Managua Sandra Weiss.

Nicaragua Protesten in Managua
Demonstranten setzen sich am 11 August für die Freilassung von Gefangenen ein. Bild: Reuters/O. Rivas

Zweimal müssen wir unser Treffen verschieben. Einmal, weil Bewaffnete in Zivil - Hilfspolizisten laut Präsident Daniel Ortega, Paramilitärs aus Sicht der oppositionellen Kritiker - die Autorin dieses Textes festhalten und dabei ausrauben. Das zweite Mal, weil die Polizei Razzien auf der Suche nach Wortführern der Proteste der vergangenen Wochen abhält. Erst beim dritten Mal schaffen wir es beide zu unserem Treffpunkt in einem Café.

Gabriela blickt nervös um sich. Seit zwei Wochen ist die 21-jährige Studentin der Sozialarbeit wieder frei. Paramilitärs hätten sie an einer Straßensperre abgefangen, drei Tage lang festgehalten, geschlagen, gefoltert, mit Messern ihre Haut angeritzt. Drei hätten sie vergewaltigt. Sie habe sich ausziehen müssen, hätte nichts zu essen bekommen. Gesehen habe sie ihre Peiniger nie, nur gehört. Sie hätten ihr die ganze Zeit eine Kapuze übergestülpt.

Mit dem Leben bedroht

"Wer sind deine Chefs? Wer hat euch bezahlt?", wollten sie wissen. Gabriela gab nichts preis. Vor der Festnahme hätte sie noch Zeit gehabt, ihr Handy zu zerbrechen und den Chip zu zerstören. Auf der schwarzen Liste der Regierungsgegner stehe sie nun trotzdem. Wenn ihr ihr Leben lieb sei, solle sie aus Nicaragua abhauen, hätten ihre Peiniger ihr befohlen. Gabriela will nicht. "Wenn wir Studenten nichts tun für Nicaragua, wer dann?", sagt sie. Gabriela lebt jetzt im Untergrund. Zum Treffen ist sie mit dem BWL- Studenten Leddy gekommen. Ihn verhaftete die Polizei, aber auch dem 20-Jährigen erging es nicht besser. Sie zerquetschten ihm mit ihren Stiefeln die Finger, quälten ihn mit brennenden Zigaretten, rissen ihm das Piercing von der Augenbraue und zwangen ihn, Lobgesänge auf Ortega anzustimmen.

Seit Februar kommt es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und RegierungBild: picture alliance / Alfredo Zuniga/AP/dpa

Die blauen Flecken sind kaum noch zu sehen, aber die Narben sind noch jung. Alles ging so schnell: Die Aufbruchsstimmung, die Besetzung der Universität, die Verteidigung gegen die Angriffe der Paramilitärs, die mit Maschinengewehren auf die Steinewerfer schossen. Seit Mai standen die beiden auf den Barrikaden der staatlichen Universität UNAN. Forderten Demokratie, Rechtsstaat, und dass der 72-jährige und seit elf Jahren autoritär regierende sozialistische Ortega endlich anderen Platz mache und transparente, international anerkannte Wahlen anberaume. Eine bewaffnete Revolution brachte ihn 1979 an die Macht, ein friedlicher Bürgerprotest droht ihn nun zu stürzen. Und Ortega antwortet auf die Bedrohung, so wie es einst der rechte Diktator Anastasio Somoza tat: mit brutaler Gewalt.

Die Demonstranten, so Ortegas Argumentation, seien gar keine Studenten, sondern rechte Schlägertrupps. Gabrielas Studentenausweis haben ihre Folterknechte deshalb behalten. Aus den Registern der UNAN hat die regierungstreue Rektorin alle kritischen Studenten gelöscht. So als habe es Gabriela und Leddy nie gegeben. Zum Treffen haben sie deshalb ihre Diplome mitgebracht, in einer Klarsichthülle "Sie sind mein größter Schatz", sagt Gabriela. 

Entlassene Ärzte

Javier Pastora arbeitete 32 Jahre lang als Chef der Chirurgie und Medizinprofessor im staatlichen Hospital der Stadt Leon. Er hat weltweit Partnerschaften aufgebaut, Gratis-Operationen für Bedürftige organisiert. Vor zwei Wochen ist der 55-Jährige von einem Tag auf den anderen entlassen worden. "Wir verzichten auf ihre Dienste", stand in dem Standardbrief, den ihm die Direktorin überreichte. Ob es Klagen gegeben habe, etwas an seiner Arbeit auszusetzen sei, wollte Pastora wissen. Nein, entgegnete die Direktorin, aber er habe an Demonstrationen teilgenommen und sei ein "destabilisierender Faktor". "Ich darf seither das Hospital nicht einmal mehr betreten", sagt Pastora verbittert.

Nicaraguas Präsident Daniel Ortega will nicht abtreten und bis 2021 an der Macht bleiben. Bild: Reuters/O. Rivas

So wie ihm erging es rund 50 Ärzten im ganzen Land. Ihr Vergehen: Sie sind Kritiker der Regierung und haben verletzte Demonstranten medizinisch versorgt. "Dabei ist das doch meine ärztliche Pflicht", sagt Pastora, der nun mit anderen Betroffenen eine Sammelklage einreichen wird. Aussicht auf Erfolg habe die nicht, räumt er ein. "Die Justiz wird von Ortega kontrolliert. Aber wir wollen nach Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs vor internationale Gerichte ziehen und hoffen dort auf Gerechtigkeit."

Kritiker werden als Terroristen diffamiert

Pastora ist bekannt, hat ein großes Netz von Unterstützern. Andere müssen sehen, wie sie zurechtkommen. Der Parkplatzaufseher Luis Herrera wurde von seinem Chef entlassen, weil er zu den Protesten ging, dabei von Spitzeln der Regierung gefilmt und erkannt wurde, und bettelt jetzt auf der Straße um Geld. "Diese Regierung muss weg, sie schadet dem Land", klagt er am Rande eines Protestmarsches in Managua. Pfarrer Edwin Roman, der sein Pfarrhaus in der Stadt Masaya während der Proteste in ein Lazarett für die Verletzten umwandelte, musste nach Todesdrohungen eine Zeitlang die Stadt verlassen. "Wer jung ist, Student, Arzt oder Pfarrer gilt für diese Regierung als Verbrecher", sagte er nach seiner Rückkehr am Wochenende.

Musiker Guillermo Norori wurde 2010 für einen Grammy nominierten. Heute hat er keine Aufträge mehr und backt zu Hause Maisfladen und liefert sie als Motorradkurier aus. "Der Staat mochte uns nie und hat immer nur linientreue Musiker beauftragt, aber früher hatten wir private Unterstützung für Produktionen oder wurden für Konzerte gebucht", erzählt er. "All das ist auf Null geschrumpft." Manche Auftraggeber haben Angst, andere kein Geld mehr wegen der Wirtschaftskrise. "Weil viele Musiker Protestsongs schrieben und privat produzierten, landeten sie auf schwarzen Listen, wurden festgenommen oder mussten das Land verlassen", erzählt Norori. Unter den Exilierten sind auch so bekannte Figuren wie der Sänger Carlos Mejia Godoy, der schon unter dem Diktator Somoza ins Exil musste.

Wer auf Demonstrationen gegen die Regierung geht, der kommt ins VisierBild: picture-alliance/AP Photo/A. Zuniga

Die Liste der Regierungsgegner ist lang, die Klageschriften gegen sie wegen Terrorismus und Waffenbesitz sind laut Denis Darce von der Permanenten Nationalen Menschenrechtskommission "Fließbandproduktionen ohne jegliches juristisches Fundament und ohne Beweise." Gegen unliebsame Kritiker würden Straftaten erfunden, während 30 dokumentierte Anzeigen der Kommission gegen Polizisten wegen Folter eingefroren wurden. Ziel sei es, die Bürger einzuschüchtern und den Protest zu kriminalisieren. "Wir leben in einem Unrechtsstaat."

Kritische Presse im Kreuzfeuer

Ob die Repression aufgeht für Ortega, der um seine Macht kämpft, ist unklar. "Es ist ein kurzfristiger Sieg und hat einen hohen Preis", gibt der oppositionelle Politiker Edmundo Jarquin zu bedenken. "Ortega hat seine Legitimität verspielt, das Land in eine Wirtschaftskrise gestürzt, und in den Augen der internationalen Gemeinschaft ist er ein destabilisierender Faktor."

Die Medien, in denen solche Meinungen noch vertreten werden dürfen, sind ebenfalls Ziel der Repression. Der Kanal "100% Noticias", der seit Beginn der Proteste im April ausführlich berichtet und seine Sendungen mit einem schwarzen Trauerflor für die 317 Ermordeten versieht, wurde von Vermummten angegriffen, die Fensterscheiben eingeschlagen, der Direktor bedroht. Auch Carlos Fernando Chamorro, Direktor der unabhängigen Mediengruppe "Confidencial", steht im Kreuzfeuer der Regierung und ihrer Anhänger. Seine Journalisten wurden von Vermummten verprügelt, eine Kamera gestohlen, er selbst wird als Putschist verunglimpft. Für Chamorro, dessen Vater 1978 von Killern Somozas erschossen wurde, sind diese Tage des Terrors ein Deja Vu. Auf die Frage, ob er Angst habe, antwortet er mit einem Satz, den sein Vater kurz vor seiner Ermordung einem Journalisten sagte: "Ja, aber jeder ist Herr seiner eigenen Ängste."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen