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Ein Laib Brot gegen den Dollar

9. Dezember 2016

In der Türkei sieht Vize-Regierungschef sein Land im Visier spekulativer Angriffe, Ministerpräsident Yildirim kündigt ein Konjunkturprogramm an, und Staatschef Erdogan verschärft den Ton gegen Dollar-Besitzer.

Türkei Währung Lira Geldscheine Inflation
Bild: picture-alliance/AP Photo/P. Giannakouris

Nurettin Canikli, stellvertretender Ministerpräsident in Ankara, machte sich am Freitag zum Sprecher seines Staatschefs. Es gebe starke Indizien dafür, dass die Türkei Ziel von Attacken sei, die zu Währungsturbulenzen führten. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte in den letzten Tagen wiederholt dazu aufgerufen, ausländische Devisen in Gold oder die Landeswährung Lira zu tauschen, um so die Lira zu verteidigen.

Die türkische Landeswährung Lira hat seit Jahresbeginn bis zu einem Fünftel an Wert verloren und sich im November so schlecht geschlagen wie seit der weltweiten Finanzkrise 2008 nicht mehr. Da die Türkei viele Waren und Rohstoffe importieren muss, werden die Einfuhren dadurch teurer und die Inflation angeheizt. Erdogan machte dafür ausländische Spekulanten verantwortlich.

Experten sehen als Ursache für den Kursverfall der Lira unter anderem die Verunsicherung nach dem gescheiterten Militärputsch und das scharfe Vorgehen Erdogans gegen erklärte Gegner als Reaktion darauf. Der Präsident ließ in dieser Woche mitteilen, er selbst habe sein Dollarvermögen bereits in Lira umgetauscht. Zum Umfang des Geldvermögens von Erdogan äußerte sich sein Sprecher nicht.

Wirtschaftswachstum in der Türkei: "zu wenig für ein Schwellenland"Bild: DW/S.Raheem

Sparen und Investieren

Angesichts der lahmenden Wirtschaft setzt die Regierung auf eine Mischung aus Sparmaßnahmen und Investitionsprogrammen. "2017 wird es keine unnötigen Ausgaben geben", sagte Regierungschef Yildirim bei der Vorstellung seiner Konjunkturpläne. Nach einer Erhebung der Nachrichtenagentur Reuters von dieser Woche ist die türkische Volkswirtschaft im dritten Quartal des Jahres um vermutlich 0,5 Prozent geschrumpft.

"Keine neuen Gebäude, keine Auto-Käufe, keine unwichtigen Reisen der Regierung", so Ministerpräsident Yildirim. Auch zusätzliche Staatsbedienstete würden nicht angeworben. Allerdings ist die Einstellung von 60.000 neuen Staatsbediensteten, meist Lehrer und Polizisten, schon beschlossene Sache. Mehrere Tausend Beschäftigte des öffentlichen Dienstes waren bei den Säuberungen nach dem Putschversuch entlassen worden.

Zur Stützung der Konjunktur will die Regierung Kredite für Unternehmen bereitstellen. Geplant sei unter anderem ein Unterstützungsfonds von 250 Milliarden Lira, umgerechnet rund 68 Milliarden Euro, für kleine und mittelständische Betriebe, sagte Yildirim am Donnerstag in Ankara. Außerdem seien Anreize für Investitionen in die Produktion sowie Steuererstattungen geplant.

Schwaches Wachstum

Nach einem jährlichen Wachstum von rund fünf Prozent in den vergangenen zehn Jahren soll die Wirtschaft 2016 nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nur noch um geschätzte 2,9 Prozent zulegen. Ege Yazgan von der Istanbuler Bilgi Universität rechnet mit nur 2,5 Prozent. "Viel zu wenig für ein Schwellenland wie die Türkei", sagte der Ökonomieprofessor dem "Handelsblatt": "Wir brauchen ein nachhaltiges Wachstum von fünf bis sechs Prozent, um angesichts des Bevölkerungswachstums unser Beschäftigungsniveau zu halten." Die Arbeitslosigkeit in der Türkei liegt nach Regierungsangaben bei 11,3 Prozent.

Der türkische Präsident Erdogan Bild: picture-alliance/Presidential Press Service/M. Cetinmuhurdar

Auch kündigte der Ministerpräsident an, die Regierung werde ihre Geschäfte wo immer möglich in der heimischen Währung anstelle von Dollar abwickeln. Präsident Erdogan hatte Mitte der Woche schärfere Töne in der Devisenfrage angeschlagen. Für den Kursverfall gebe es keine ökonomischen Gründe, so Erdogan. "Es gibt keinen Unterschied zwischen dem türkischen al-Bab-Einsatz und den Bemühungen, die Devisenspekulation zu stoppen", sagte er unter Hinweis auf die türkische Militärpräsenz im Norden Syriens, wo die Terrormiliz IS vertrieben werden soll. Devisenspekulanten und militärische Gegner würden versuchen, die Türkei "zu teilen und zu zerstören".

Lira statt Dollar

Patriotische Geschäftsleute versuchen inzwischen, ihre Kunden mit Anreizen dazu zu bringen, dem Aufruf des Präsidenten zu folgen und den Verfall der Landeswährung durch Umtausch von Dollar- und Euro-Reserven in Lira aufzuhalten. So können Kunden kostenlos ein Essen oder einen Brotlaib und selbst eine Hochzeitsfeier bekommen, wenn sie Dollar in Lira eintauschen. Ein Bäcker in Istanbul bietet ein kostenloses Brot für jeden an, der ihm den Beleg über den Umtausch von mindestens 250 Dollar vorweist.

"Ich gewinne nichts mit dieser Initiative", sagte Bäcker Gökhan Kuk. "Mein einziges Interesse ist es, mein Land zu unterstützen, wie der Präsident gebeten hat." Die Lira ist gegenüber Dollar und Euro in den vergangenen Monaten massiv abgestürzt: Wurden zu Beginn des Jahres 2,9 Lira für einen Dollar fällig, waren es Anfang Dezember bereits mehr als 3,5 Lira.

ar/zdh (rtr, dpa, afp).

 

 

 

 

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