Berlin-Besucher aus dem Süden Deutschlands reisen ab nächsten Sonntag noch schneller und bequemer in die Hauptstadt. Ab 10. Dezember verbindet der ICE Sprinter München und Berlin in weniger als vier Stunden.
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Nirgendwo in Deutschland hat es die Bahn so krachen lassen wie im Thüringer Wald: 22 Tunnel wurden für die Sprinter-Trasse von Berlin nach München durch das Mittelgebirge gesprengt. An den Portalen der längsten Tunnel seien Schallschutzhauben angebracht worden, die die Luft verwirbeln, erzählt ein Bahnsprecher. "Das verhindert bei dem hohen Tempo den Knall am Tunnelausgang." Es dauerte ein Vierteljahrhundert bis die schnelle Bahnverbindung von München nach Berlin Realität wurde. Nun geht die Strecke in Betrieb. Mit Tempo 300 in der Spitze rast der ICE Berlin-München auf der neuen Trasse zwischen Erfurt und dem fränkischen Ebensfeld bei Bamberg von Tunnel zu Tunnel durch den Thüringer Wald.
Die beiden längsten der insgesamt 22 Röhren auf diesem Abschnitt haben die Experten 8,3 sowie 7,4 Kilometer durch den Berg gesprengt. Das Erlebnis, sozusagen unter dem Kamm des Mittelgebirges durchzusausen, haben Reisende mit dem Fahrplanwechsel ab 10. Dezember.Die Fahrzeit auf den 623 Kilometern zwischen Berlin und München sinkt damit merklich. Bislang braucht ein ICE dafür rund sechs Stunden. Die ICE-Sprinter schafft das nach Angaben der Bahn künftig in knapp vier Stunden, mit dem normalen ICE mit mehr Haltebahnhöfen sind es knapp viereinhalb Stunden. Die ICE-Züge seien damit eine "sehr ernsthafte Alternative gegenüber dem Flieger", so Bahnchef Richard Lutz. Der ICE Sprinter startet dreimal am Tag von Berlin und München: 6, 12 und 18 Uhr.
Die jährliche Fahrgastzahl zwischen Berlin und München soll sich auf bis zu 3,6 Millionen verdoppeln. "Die neue Bahnverbindung ist ein wichtiger Impuls für den Berlin-Tourismus. Damit ist die letzte Lücke im ICE-Schnellstreckennetz von und nach Berlin geschlossen“, sagt Burkhard Kieker, Geschäftsführer von visitBerlin. "Internationale Gäste werden die Ingenieurleistung und Schönheit der Strecke zu schätzen wissen.“
Was sich noch verändern soll:
Die thüringische Landeshauptstadt Erfurt gehört laut Bahn zu den großen Profiteuren der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke. Sie soll zum neuen Drehkreuz für den Fernverkehr in Mitteldeutschland werden: 80 ICE-Züge sollen ab Dezember in Erfurt halten. Jede Stunde werden ICE in alle vier Himmelsrichtungen starten - nach Norden Richtung Berlin und Hamburg, nach Süden Richtung Nürnberg und München, gen Osten nach Leipzig und gen Westen nach Frankfurt am Main.
In Nürnberg, der nach München zweitgrößten Stadt Bayerns, wird künftig der ICE-Sprinter halten. Berlin ist dann mit der Bahn in zwei Stunden und 50 Minuten erreichbar, Erfurt in einer guten Stunde. Auch die normalen Züge werden 90 Minuten schneller.Von Halle im Süden Sachsen-Anhalts gibt es mit Beginn des Winterfahrplans wieder alle zwei Stunden Direktverbindungen nach München, Nürnberg, Berlin und teilweise auch nach Hamburg. Mit dem Sprinter verkürzen sich die Fahrten von Halle nach Nürnberg und München um bis zu zwei Stunden, alle anderen ICE sind künftig rund hundert Minuten schneller.
Obwohl nicht direkt an der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke gelegen, profitiert auch Frankfurt am Main, weil es künftig mehr Direktverbindungen nach Berlin geben wird. Der Deutschen Bahn zufolge soll es in der Regel zwei Fahrten pro Stunde von Frankfurt in die Bundeshauptstadt geben. Allerdings gibt es einen Nachteil, weil einige Sprinter zehn Minuten länger brauchen werden. Einen erheblichen Zeitgewinn verspricht die Bahn auch Reisenden, die von Dresden, Bitterfeld oder Magdeburg nach Nürnberg oder München wollen. Auch für Reisende aus Eisenach, Lutherstadt Wittenberg, Bamberg, Coburg, Augsburg, Donauwörth und Bad Hersfeld bietet der Winterfahrplan dank der neuen Höchstgeschwindigkeitsstrecke neue und schnellere Verbindungen. Urlauber aus dem Norden werden laut Bahn deutlich schneller in die Alpen kommen. Umgekehrt kommen Urlauber aus dem Süden deutlich schneller an die Ostsee.
Ab Dezember sollen fünf Züge des neuen Typs ICE 4 auf den Verbindungen zwischen Hamburg und Stuttgart sowie Hamburg und München im Einsatz sein. Allein auf diesen Strecken reisen laut Bahn mehr als 10.000 Passagiere pro Tag.
is/ch (dpa,afp, visitberlin.de)
Riesenaufwand für zwei Stunden weniger
25 Jahre und 10 Milliarden Euro hat es gebraucht, bis das letzte "Verkehrsprojekt Deutsche Einheit" fertiggestellt wurde. Jetzt ist die schnelle Bahntrasse zwischen München und Berlin offiziell eröffnet.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas
Großes Infrastrukturprojekt der Deutschen Einheit
Ein Milliardengrab für den Solidaritäts-Zuschlag, das sinnloseste Projekt der Deutschen Einheit - seit Beginn der ersten Planungen vor über 25 Jahren wurde die ICE-Trasse zwischen Berlin und München viel kritisiert. Nun ist das sogenannte Verkehrsprojekt Deutsche Einheit (VDE 8) fertig. Ab dem 10. Dezember wird die Strecke regulär in weniger als vier Stunden befahren, statt in bisher sechs.
Bild: picture-alliance/ZB/J. Woitas
Projekt immer wieder auf der Kippe
Anfang des Jahrtausends, als der Bund sehr knapp bei Kasse war, stand VDE 8 mehrfach vor dem Aus. Geld floss gerade noch für das "Baurecht erhaltende Maßnahmen". Es wurde nur soviel gemacht, dass man keine neuen Genehmigungen brauchte. Die Folge waren "Soda"-Brücken, also Bauwerke, die einfach "so da" standen - ohne Schienen- oder andere Anbindung, ohne Aussicht, dass absehbar weitergebaut würde.
Bild: Deutsche Bahn AG/Frank Barteld
Ob sich das lohnt?
Immer wieder drohte die neue Trasse zu einem Projekt wie später der Berliner Hauptbahnhof oder Stuttgart21 zu werden: Mit viel Ärger und hohen Kosten für die Bahn. Die am Ende zehn Milliarden Euro teure Strecke soll nun die Bahn attraktiver als Billigflieger und Fernbusse machen. Derzeit hat die Bahn auf der Strecke einen Marktanteil von etwa 20 Prozent, den sie auf 50 Prozent steigern möchte.
Bild: Deutsche Bahn AG/Oliver Lang
Brücken und Tunnel
Über 300 Bahn- und 170 Straßenbrücken wurden gebaut. Die Hälfte der Strecke verläuft unter der Erde oder über Täler. Ein Problem: Züge, die mit 300 km/h durch Tunnel fahren, schieben Luftmassen vor sich her, die sich mit einem Knall am Ausgang entladen können. Daher wurden "Haubenbauwerke" an einigen Portalen gebaut, so dass sich Druckwellen geräuschlos verwirbeln können und es eben nicht knallt.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Schutt
Ein paar Highlights in Kürze
Dreimal täglich fährt ein ICE "Sprinter" in beide Richtungen in unter vier Stunden. Im regulären ICE sind es viereinhalb Stunden. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 300 km/h. Pro Tag gibt es bis zu 10.000 zusätzliche Plätze im ICE-Verkehr zwischen Berlin und München. Und die Bahn muss nebenbei den größten Fahrplanwechsel ihrer Geschichte stemmen: Ein Drittel aller Fernzüge sind betroffen.
Bild: picture-alliance/dpa
Schluss mit Schotter
Auf den Neubaustrecken liegen die Schienen auf 160.000 Betonplatten - nicht mehr auf Schotter. Auf solchen je fünf Tonnen schweren Platten können die Schienen millimetergenau verlegt werden und die fertige Fahrbahn ist wartungsarm. Wie Dominosteine werden die Gleistrageplatten verlegt - auch auf Brücken und in Tunneln, was den Bau um einiges beschleunigt.
Bild: Deutsche Bahn AG/Frank Kniestedt
Güterzüge unter der Erde
Nürnberg ist einer der großen Güterverkehrsknoten und die Strecke zwischen Nürnberg und Fürth eine der meistbefahrenen in Deutschland. Eine 13 km lange Güterzugtrasse entlastet nun dieses Nadelöhr. Kernstück: der sieben Kilometer lange Tunnel unter Nürnberg und Fürth. Das ist gut, da 2025 rund 60 Prozent mehr Waren auf der Schiene transportiert werden als heute, so das Bundesverkehrsministerium.
Bild: DB AG
Tunnelbau gibts nicht umsonst
Die hohen Kosten muss die Bahn natürlich auch irgendwie wieder einspielen. Mehr Passagiere ist dabei eine Strategie. Eine andere: Die Preise werden angehoben. Für eine Fahrt zwischen Berlin und München werden künftig bis zu 150 Euro fällig, so die Deutsche Bahn. Damit steigt Tarif um über 13 Prozent.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas
200 Millionen Euro für die Umwelt
Der Bund für Umwelt und Naturschutz kritisierte die Eingriffe in die Umwelt beim Bau. Dagegen schmückt sich die Bahn damit, eine Fläche von rund 4000 Hektar rekultiviert zu haben. 600.000 Bäume seien gepflanzt worden. An der Unstruttalbrücke (Bild) weiden Schafe zur Pflege der Orchideenwiesen. Flussläufe wurden renaturiert und in neuen Nebenarmen von Gewässern entstanden Lebensräume für Amphibien.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas
Reiche Funde für Archäologen
Im Vorfeld des Baus gab es für Archäologen einiges zu tun. Unter anderem verläuft die Strecke über 3500 Jahre alte Handelswege. Außerdem wurden Reste einer 7000 Jahre alten Siedlung entdeckt, wobei rund 20.000 Einzelstücke auftauchten - eine Überraschung, da die Experten hier nur wenige Häuser vermutet hatten. Auch 150 bis 200 Millionen Jahre alte Fossilien kamen beim Tunnelbau ans Tageslicht.
Bild: Deutsche Bahn
Zurück in die Erfolgsspur?
Nun müssen nur noch die Menschen davon überzeugt werden, sich auf Schienen statt auf die Straße oder in die Luft zu begeben. Dabei helfen würde sicherlich, wenn die Bahn ihre Pünktlichkeit verbesserte. Vielleicht helfen zudem die neuen ICE 4-Züge. Die neue ICE-Generation wird auch zwischen Berlin und München fahren.
Bild: Deutsche Bahn/Foto: Detlev Wecke
Und dann doch alles beim Alten?
Schon am Freitag musste ein ICE mit vielen Ehrengästen an Bord auf dem Rückweg von Berlin nach München mehrmals halten. Das Ergebnis: Sechs Stunden statt etwas über vier. Und am ersten regulären Betriebstag ging es weiter: Ein ICE war wegen eines technischen Problems stark verspätet. Der Zug musste deswegen am Sonntag in Nürnberg halten und durfte danach nicht auf der neuen Strecke weiterfahren.