1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
ReiseEuropa

Mit Verspätung: Nachtzüge kommen nur zögerlich in Fahrt

17. Oktober 2024

Dass die Eisenbahn als weniger klimaschädliches Verkehrsmittel auch auf längeren Strecken das Fliegen ersetzen kann, bleibt vorerst nur eine Zukunftsvision.

Ein Nachtzug steht am Münchner Hauptbahnhof
Nachtzüge sollen dabei helfen, das Reisen klimafreundlicher zu machenBild: Micha Korb/pressefoto_korb/picture alliance

Die Stimmung war bestens, als der erste "Nightjet" von Berlin nach Paris rollte. "Das ist ein Höhepunkt für Europa und die Ökologie", jubelte Clément Beaune, der damalige französische Verkehrsminister, der im Dezember 2023 eigens zur Eröffnung der neuen Nachtzug-Route in die deutsche Hauptstadt gereist war. "Heute ist ein guter Tag für alle Reisenden und Pendler", sagte sein deutscher Amtskollege Volker Wissing. "Das ist die Zukunft unserer Mobilität", prognostizierte die österreichische Verkehrsministerin Leonore Gewessler: "Die Kurz- und Mittelstrecke in Europa gehört dem Zug."

Der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing (rechts) verabschiedet seinen französischen Amtskollegen Clément Beaune, der zur Einweihung der Nachtzugstrecke Berlin-Paris in die deutsche Hauptstadt gereist warBild: Carsten Koall/dpa/picture alliance

Bauarbeiten machen nächtliche Verbindung unmöglich

Auch, wenn zuletzt einige neue Verbindungen in Betrieb gingen – die Schwierigkeiten beim Ausbau des europäischen Nachtzugnetzes sind weiterhin groß. Der "Nightjet" etwa verkehrt nun schon seit Monaten nicht mehr zwischen der deutschen und der französischen Hauptstadt wegen Bauarbeiten auf beiden Seiten der Grenze. "Der Bahnverkehr ist noch immer national organisiert", sagt Bernhard Rieder, Sprecher der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), die die Verbindung zwischen Berlin und Paris anbieten. Unter anderem werden bei grenzüberschreitenden Fahrten hohe Trassengebühren fällig. Dazu kämen operative Schwierigkeiten wie jetzt bei den nicht koordinierten Bauarbeiten in Deutschland und Frankreich. Die ÖBB-Nachtzüge funktionierten zwar kostendeckend, Gewinn sei damit aber nicht zu machen.

Mehr Privatsphäre in der Schlafkapsel: Für Alleinreisende sind die neuen Minikabinen in den ÖBB-Nachtzügen gedachtBild: Guiseppe Lami/ANSA/picture alliance

Auch Juri Maier sieht keine großen Fortschritte. "Eine echte Renaissance der Nachtzüge gibt es nicht", sagt der Vorsitzende von Back on Track Germany, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für den Ausbau des Nachtzugnetzes einsetzt. "Ja, es werden viele Reden gehalten. Tatsächlich aber geht die Entwicklung eher in die entgegengesetzte Richtung." Noch immer zögen die ehemals staatlichen Bahngesellschaften die Fäden in der Eisenbahnpolitik. "Jeder kocht sein eigenes Süppchen", sagt Maier. "Einen gemeinsamen Markt wird man so nicht schaffen können."

Drei Prozent weniger Treibhausgase durch Nachtzüge

Dabei ruhen große Hoffnungen auf der vermehrten Nutzung von Nachtzügen in Europa. Auf Strecken mit einer Länge um die 1000 Kilometer könnten diese künftig eine echte Alternative zum klimaschädlichen Fliegen darstellen, so die Hoffnung. Eine Untersuchung von Back on Track ergab, dass auf diese Weise eine Einsparung von drei Prozent des gesamten Treibhausgas-Ausstoßes in der EU möglich sei. Die EU-Kommission will den grenzüberschreitenden Zugverkehr daher bis zum Jahr 2030 verdoppeln.

"Wir müssen einen substantiellen Teil der Flüge auf die Schiene verlagern", sagt Jacob Rohm, Referent für klimaneutrale Mobilität bei der Umwelt-, Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch. Anders seien die Klimaziele nicht zu erreichen. Nachtzüge könnten da durchaus einen Beitrag leisten. "Der Markt alleine wird das aber nicht regeln. Wir brauchen eine stärkere europäische Koordinierung und eine planungssichere Finanzierung, auch für den Ausbau des Schienennetzes." Man merke zwar, dass die Aufmerksamkeit für das Thema zugenommen hat. Aber an der Umsetzung hapere es noch. Allein die Ticketbuchung für eine Nachtzugreise sei oft äußerst kompliziert.

Es fehlt an modernen Liege- und Schlafwagen

Ein Problem ist auch der Mangel an Nachtzügen. "Neue Schlaf- oder Liegewagen sind so teuer, dass eine solche Investition niemand machen will", sagt der unabhängige Campaigner Jon Worth. Die 2021 gegründete Eisenbahngesellschaft European Sleeper etwa setze deshalb auf der Strecke zwischen Brüssel und Berlin jahrzehntealte Liege- und Schlafwagen ein. Besonders komfortabel sei das nicht. "Es ist durchaus schwierig, in Europa mit dem Nachtzug unterwegs zu sein", sagt Worth. Alte Wagen, ständige Bauarbeiten, gestrichene Verbindungen und Verspätungen – all das betreffe Passagiere im Nachtzug noch viel mehr als tagsüber, weil es weniger Alternativen gibt. "Wenn du Pech hast, musst du die ganze Nacht sitzen. Wenn es aber gut läuft, dann ist es eine hervorragende Art zu reisen."

Nachtzug-Charme wie eh und je: Bei der neu gegründeten Eisenbahngesellschaft European Sleeper sind jahrzehntealte Schlafwagen im EinsatzBild: James Arthur Gekiere/Belga/picture alliance

Das sieht auch der Reiseblogger Sebastian Wilken so. Er ist ausschließlich per Zug unterwegs – weil es ihm Spaß macht und aus Gründen des Klimaschutzes, wie er sagt. Demnächst unternimmt er seine 100. Nachtzugfahrt. Das Angebot sei in Europa sehr unterschiedlich, sagt er. In Frankreich etwa gebe es überhaupt keine Schlaf-, sondern nur einfachere Liegewagen. In Großbritannien dagegen könne man mit zwei höchst komfortablen Nachtzügen reisen, dem Night Riviera Sleeper und dem Caledonian Sleeper.

Nicht so bequem wie im eigenen Bett

"Ich habe bisher durchweg positive Erfahrungen gemacht", sagt Wilken. "Es war eigentlich fast immer angenehm." In Schweden hatte sein Nachtzug allerdings auch schonmal acht Stunden Verspätung. Er sei allerdings nicht besonders anspruchsvoll und erwarte nicht, dass er ebenso gut schlafe wie in seinem eigenen Bett. "Den Anspruch sollte man auch nicht haben im Nachtzug." Er begegne auf seinen Reisen nicht nur Menschen, die klimabewusst unterwegs sein wollen, sondern auch Leuten, die Flugangst haben oder schlicht keine Lust auf das ganze Drumherum am Flughafen. "Dazu kommen letzthin auch immer häufiger Leute, die das zum ersten Mal machen, um es auszuprobieren."

Bei der ÖBB gibt man sich derweil keinen Illusionen hin. Die Nachfrage nach Nachtzugverbindungen sei zwar zweifellos vorhanden, sagt Unternehmenssprecher Bernhard Rieder. "Es wird aber ein Nischenangebot bleiben." Kurz- und Mittelstreckenflüge ließen sich in Europa jedenfalls gewiss nicht komplett durch Nachtzüge ersetzen. Zumindest zwischen Berlin und Paris gibt es nun aber bald wieder eine Alternative: Ende Oktober soll der "Nightjet" auf der Strecke den Betrieb wieder aufnehmen.

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen