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Gesellschaft

Das Volk soll abstimmen können

Wolfgang Dick
4. Dezember 2016

Am Montag beginnt der Bundesparteitag der CDU. Es geht um das Programm für die Wahl 2017. Danach soll es keine Möglichkeit zu einem Volksentscheid auf Bundesebene geben. Die Angst vor dem Volk freut rechte Populisten.

Deutschland Landtagswahl Rheinland-Pfalz
Bild: Reuters/K. Pfaffenbach

Die Deutschen wurden nicht gefragt. Nicht zur Einführung der Währung Euro. Nicht zu den Verträgen der Europäischen Union. Nicht zu Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Und nicht zum Umgang mit einer Million Flüchtlingen.

Die deutsche Verfassung kennt bisher keine Möglichkeit für die Bürger, bei wichtigen Fragen in die Bundespolitik einzugreifen und korrigieren zu können, was nicht gefällt. Volksentscheide auf Bundesebene fehlen nach den historischen Erfahrungen in der Weimarer Republik, die Hitler hat groß werden lassen. Das nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene Grundgesetz erlaubt den Deutschen nur alle vier Jahre zwischen zugelassenen Parteien zu wählen. Die gewählten Parteien treffen dann - sozusagen stellvertretend für den Bürger - alle Entscheidungen. Repräsentative Demokratie nennt sich das System.

Wer nicht nur alle vier Jahre eine Partei wählen will, muss sich selbst politisch einmischen. Es bleibt dazu nur, in eine Partei einzutreten, deren Richtung den eigenen Vorstellungen am nächsten kommt. Wenn keine Partei "auf dem Markt" ist, die die eigene Meinung vertritt, heißt es, eine eigene Partei oder eine Bürgerinitiative zu gründen. Weil bis zum Jahr 2015 alle bis dahin existierenden Parteien übereinstimmend für die Aufnahme der Flüchtlinge waren, wurden Gegenbewegungen groß: die rechtsextreme Pegida und die rechtspopulistische AfD, die die Stimmen der Unzufriedenen bündelten.  

"Phänomene, die es vielleicht gar nicht gäbe, gäbe es den bundesweiten Volksentscheid", sagt Ralf-Uwe Beck vom Verein "Mehr Demokratie" und fasst damit zusammen, was fast einstimmig auch alle führenden Politikwissenschaftler denken. Dringend benötigt werde ein Ventil: "Zum einen, um Themen, die die Politik nicht aufgreift, auf die Tagesordnung zu setzen. Und zum anderen aber auch die Möglichkeit, Politik anzuhalten, Politik zu korrigieren." Überall dort, wo es einen Volksentscheid gar nicht gibt oder es zu hohe Anforderungen dafür existieren, spielt es laut Experten den Populisten in die Hände, die radikale Veränderungen formulieren und verfolgen. Das droht in den Niederlanden mit Geert Wilders und in Frankreich mit Marine Le Pen.

In Dresden demonstrierte die Pegida-Bewegung mit den meisten AnhängernBild: picture-alliance/dpa/O. Killing

Das Volk ist gefährlich

Die Angst vor politischen Fehlentscheidungen durch Volksabstimmungen bekam in der jüngsten Vergangenheit reichlich Nahrung: Als ein Asylbewerberheim brennt, stehen Menschen davor und klatschen Beifall. Eine rechtspopulistische Partei wie die AfD wird in etliche Landesparlamente gewählt. Nicht zuletzt wegen dieser Entwicklungen sperrt sich die CDU gegen Volksabstimmungen auf Bundesebene. 

Der CDU-Kreisverband Ravensburg hat zum jetzt beginnenden Parteitag einen Antrag eingereicht, die CDU möge weiterhin bei der Haltung bleiben, die sie bereits seit Jahrzehnten vertritt. Allerdings steht die CDU mit ihrer Position inzwischen alleine da. Alle anderen Fraktionen im Bundestag, SPD, Linke und Grüne, sind für einen Volksentscheid auf Bundesebene.

Zuletzt hatten sich in einer Mitgliederbefragung innerhalb der konservativen CSU 68,8 Prozent dafür ausgesprochen, dass der Volksentscheid ins Grundsatzprogramm aufgenommen wird. Da heißt es jetzt unmissverständlich: "Bürgerbeteiligung stabilisiert das politische System."

Erfahrungen in Bayern

Der bayerische Verfassungsgerichtshof lehnte noch im November die unverbindlichen Volksbefragungen ab, die die CSU seit dem 1. März 2015 in Bayern eingeführt hatte. Die Maßnahme sei verfassungswidrig. Mit der Ablehnung sollte nur verhindert werden, dass diese Befragungen nur von der Regierung ausgelöst werden können. Bürger dürfen solche Volksabstimmungen weiterhin selbst anregen. "Von unten" sozusagen.

Seit 1946 gibt es in Bayern Volksabstimmungen Bild: Imago/R. Peters

Bayern ist seit 1946 das Bundesland, in dem die meisten Volksabstimmungen stattfinden. Dabei fielen auch etliche Entscheidungen, die der regierenden CSU nicht geschmeckt haben dürften. Zum Beispiel die Bürgermehrheit gegen Rauchen in öffentlichen Räumen.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann zieht im Interview mit der Deutschen Welle eine positive Bilanz: "Wir haben bei solchen Volksentscheiden gespürt, da ist zum Schluss eine klare Akzeptanz da." Auch bei strittigen Dingen gelte: Wenn die Mehrheit des Volkes entschieden hat, werde das auch von den Unterlegenen akzeptiert. "Wir sehen daher keine negativen Entwicklungen in unserem Land durch diese Vielzahl von Plebisziten." Auf die Frage, wann denn die Schwesterpartei CDU ihre "Blockadehaltung" aufgeben würde, versucht Herrmann diplomatisch zu bleiben, wenn er sagt: "Ich weiß es heute noch nicht. Das muss die CDU selbst entscheiden."

Von "guten" und "schlechten" Verfahren eines Volksentscheids

Hermann Heußner, Professor für öffentliches Recht an der Hochschule Osnabrück, stellt mit Blick auf die US-Wahlen klar, dass es nicht nur bei einer Volksabstimmung, sondern auch bei einer Wahl zu Überraschungen kommen kann: "Man kann nicht argumentieren, gute Wahlen und böse Volksabstimmungen, sondern es kommt in beiden Fällen immer darauf an, dass man die Verfahren gut ausgestaltet." 

In vielen Gesprächen mit führenden Politikwissenschaftlern in Deutschland befürwortet eine Mehrheit eine rechtsstaatlich durch Verfassungsgericht und Parlament begleitete Volksabstimmung. Alle gewünschten Volksentscheide müssten mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sein. Das kontrolliere immer das Verfassungsgericht. Damit könnten Bürger zum Beispiel nicht darüber entscheiden, ob Deutschland aus der EU austreten oder die Todesstrafe einführen soll.

"Und dann kann man auch vielen populistischen vielen vordergründigen Antrieben, die Populisten haben, wenn sie nach Volksabstimmungen rufen, die Grenzen aufzeigen."

Funktionierende Volksentscheide können entweder "von unten", also von den Bürgern selbst, angeregt werden, oder "von oben", also von der Regierung. Für ein "von oben" spricht sich Frank Decker, Professor an der Uni Bonn aus: "Bei den von unten ausgelösten Verfahren haben wir ein Problem. Es sind meist Minderheiten, die diese Verfahren auslösen. Und das sind vor allem oppositionelle Minderheiten."

Everhard Holtmann von der Universität Halle-Wittenberg ergänzt, dass direkte Demokratie weit anfälliger für Einflüsse von Interessengruppen sei und eher Eliten profitierten. "Empirische Studien zeigen, dass es gerade die ressourcenstarken Bürger sind, die über ein relativ gutes Einkommen, gute Bildung und auch über ein relativ gutes gesellschaftliches Selbstbewusstsein verfügen, die sich überdurchschnittlich häufig an Plebisziten beteiligen." Sozial schwächere Bevölkerungsgruppen hätten das Nachsehen.

Im Bundestag stimmen nur Abgeordnete untereinander ab Bild: Getty Images/AFP/S. Gallup

Volksentscheid fordert mehr Engagement vom Bürger

Einig sind sich alle Befürworter der Volksabstimmungen, dass sie das bisherige repräsentative System nicht ersetzen, sondern nur ergänzen sollen. Der Verein "Mehr Demokratie" hat dazu ein Modell entwickelt, das derzeit die meisten Anhänger hat.

Ralf-Uwe Beck vom Verein "Mehr Demokratie" warnt aber: "Man kann mit direkter Demokratie keine Schnellschüsse machen". So soll es in einer Art "Ping-Pong"-Verfahren zwischen den Bürgern und dem Parlament hin und her gehen. In drei Schritten. Zunächst beantragen die Bürger eine Abstimmung. Sind die erforderlichen Stimmen erreicht, findet die Abstimmung statt. Das Ergebnis wird dem Bundestag zugeleitet, der mit Alternativvorschlägen eine Kompromisslösung anregen darf. Über diesen Vorschlag stimmen dann abschließend die Bürger ab. Vorteil dieses Verfahrens: Es gibt automatisch Diskussionen, eine enge Auseinandersetzung mit den Pro und Contraargumenten und keine endgültige, harte "Ja-Nein-Entscheidung" wie in Großbritannien beim Brexit-Votum.

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