Fast Fashion bis Luxus: So nachhaltig ist Europas Mode
24. November 2025
Vor zwanzig Jahren war Nachhaltigkeit kaum eine Randnotiz in der Kommunikation der meisten Modeunternehmen. Dank zunehmender Aufmerksamkeit für Klimawandel, Umweltverschmutzung und schlechte Arbeitsbedingungen hat sich das geändert. Heute bewerben Unternehmen ihre Bemühungen, nachhaltigere Baumwolle zu verwenden, weniger Wasser zu verbrauchen, oder ihre Emissionen zu senken.
Zusammen mit dem European Data Journalism Network hat die DW insgesamt 468 Nachhaltigkeitsziele aus über 200 Berichten von 17 der größten europäischen Modeunternehmen ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen: Einige Unternehmen haben ihre Versprechen konsequent eingehalten, während andere weit hinterherhinken. Bis nachhaltige Mode zur Norm wird, bleibt noch einiges zu tun.
Der versteckte Preis von Mode: Umweltverschmutzung, Waldverlust, fossiles Plastik
Die Modeindustrie ist für zwei bis sieben Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich laut Studien, die das World Resources Institute 2021 zusammengestellt hat. Zum Vergleich: Die globale Luftfahrt verursacht etwa 2,5% aller Emissionen.
Wie Kleidung produziert wird, hat dabei die größten Auswirkungen: Rohmaterialien an- oder abbauen, Garn spinnen, Stoffe weben und färben - alles energieintensiv. Hinzu kommen enorme Wassermengen und aggressive Chemikalien. Eine Studie von 2017 schätzt zudem, dass synthetische Textilfasern, die beim Waschen freigesetzt werden, etwa 35% aller Mikroplastikpartikel in den Weltmeeren ausmachen könnten.
Das Problem ist inzwischen vielen Verbrauchern bewusst. "Vor allem im letzten Jahrzehnt gab es immer wieder Berichte über Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten von Modemarken", sagt Urska Trunk, Senior Campaign Manager bei der Brüsseler Changing Markets Foundation, die sich für stringentere Nachhaltigkeitsgesetze in der EU einsetzt. "Nach dem Einsturz von Rana Plaza gab es zum Beispiel viele Enthüllungen über die schlechten Umwelt- und Arbeitsbedingungen in der Produktion, giftige Chemikalien, Abholzung und so weiter", so Trunk. "Seitdem wollen Verbraucher wissen, ob ihre Kleidung verantwortungsvoll hergestellt wird - sowohl sozial als auch ökologisch."
Einige Unternehmen, darunter H&M sowie die deutschen Marken Adidas und Puma, veröffentlichen Nachhaltigkeitsberichte bereits seit Anfang der 2000er Jahre, während andere erst 2015 oder später damit begannen. Der 2008 gegründete Online-Händler Zalando veröffentlichte erst 2015 eine Nachhaltigkeitsstrategie und einige Luxusmarken begannen noch später damit. Zusammen mit Medienpartnern hat die DW diese Unternehmen kontaktiert und nach ihren Nachhaltigkeitszielen gefragt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lagen keine Antworten vor.
Modeunternehmen erfüllen etwa die Hälfte ihrer selbst gesetzten Nachhaltigkeitsziele
Von insgesamt 468 untersuchten Versprechen bezieht sich etwa die Hälfte auf das Jahr 2025 oder spätere Jahre. Darunter befinden sich Ziele etwa zur Emissionsreduzierung, zu nachhaltigeren Materialien, zum Energieverbrauch oder zur Abfallwirtschaft. Von den Zielen, die bereits erfüllt sein sollten, erreichten Unternehmen etwa die Hälfte. Jede dritte Verpflichtung wurde nicht eingehalten, der Rest ist unklar.
Von den untersuchten Unternehmen schneidet Zalando am schlechtesten ab, sie erreichen 10 von 17 untersuchten Zielen nicht. Statt etwa, wie 2019 in Unternehmensberichten versprochen, "bis 2023 25% des Bruttowarenvolumens mit nachhaltigeren Produkten zu generieren", erreichte Zalando nach eigenen Angaben nur 10,5%.
Auf Nachfrage der DW erklärte das Unternehmen, es sei auf seinem "Weg zur Nachhaltigkeit" der Transparenz verpflichtet, sowohl in Bezug auf nicht erreichte Ziele als auch mit Blick auf Lernerfahrungen. Eine Unternehmenssprecherin sagte: "Wir haben zugegebenermaßen einige unserer Nachhaltigkeitsziele nicht erreicht", darunter auch das Ziel, 25 Prozent des Bruttowarenvolumens mit nachhaltigen Produkten zu erzielen. Die Unternehmenssprecherin begründete das damit, dass das Unternehmen "strengere Nachhaltigkeitsstandards für Produkte" eingeführt habe. Aufgrund der Erkenntnisse aus früheren Erfahrungen habe das Unternehmen im März 2024 einen aktualisierten Nachhaltigkeitsansatz mit überarbeiteten wissenschaftlich fundierten Zielen eingeführt, die frühere Klimaziele ersetzen.
Bei anderen Unternehmen wie Mango, Primark oder OVS bleiben mehr Ziele unklar: Sie werden fallen gelassen oder Parameter geändert. Es ließ sich zum Beispiel nicht prüfen, ob die spanische Modemarke Mango das 2012 gesetzte Ziel, bis 2020 "gefährliche Substanzen in der gesamten Lieferkette zu eliminieren", erreicht hat. Auf Nachfrage hat das Unternehmen die Angaben nicht weiter spezifiziert. Das italienische Unternehmen OVS bestätigte auf Anfrage eines Medienpartners, das 2017 gesetzte Ziel, bis 2020 "3 Millionen Kleidungsstücke aus Fasern von aus Verbraucherabfällen gewonnenen Stoffen herzustellen", verfehlt zu haben. In der öffentlichen Berichterstattung des Unternehmens findet sich diese Information nicht.
Die acht Luxusmarken zusammen machten nur etwa ein Drittel der 235 ausgewerteten, in der Vergangenheit liegenden Ziele aus. H&M führte mit 49 Verpflichtungen, Adidas lag mit 28 an zweiter Stelle.
Luxusmarken schweigen zum Thema Nachhaltigkeit
Vor Veröffentlichung wurden alle Unternehmen in dieser Analyse kontaktiert und nach ihrer Nachhaltigkeitsstrategie und ihren Nachhaltigkeitszielen gefragt. Sieben der kontaktierten Marken haben überhaupt nicht geantwortet, darunter viele Luxusmarken. Ein Dachverband zu dem mehrere der Luxusmarken gehören, hat bis zur Veröffentlichungsfrist nicht auf die Nachfragen der DW geantwortet.
Luxusmarken "sind traditionell sehr zurückhaltend", sagte Rachel Kitchin, Senior Climate Campaigner bei der Organisation Stand.earth, die alle zwei Jahre die Fossil Free Fashion Scorecard veröffentlicht, um das Engagement und die Maßnahmen von Unternehmen zur Dekarbonisierung der Lieferketten in der Modebranche zu bewerten.
Für High-End-Marken, so Kitchin, sollte Nachhaltigkeit eigentlich selbstverständlich sein - schließlich stehen sie nicht unter demselben Preisdruck, der billigere Anbieter davon abhalten könnte, in die Überarbeitung ihrer Lieferketten zu investieren. "Aber falls sie nachhaltig produzieren, erzählen sie niemandem davon. Wir vermuten, das liegt daran, dass sie viele Lieferanten mit Nicht-Luxusmarken teilen, und nicht wollen, dass die Öffentlichkeit davon erfährt."
Wie berichten Modemarken richtig über über Klimaschutzversprechen?
Von den 468 Aussagen, die in die Analyse der DW einflossen, ist die Hälfte konkret formuliert, mit klaren Erläuterungen dazu, was bis wann erreicht werden soll - etwa "sicherstellen, dass bis 2030 mindestens die Hälfte aller Kunststoffverpackungen zu 100% aus recyceltem Material hergestellt wird."
Primark und Hermès sind die Unternehmen mit dem höchsten Anteil an vagen oder potenziell mehrdeutigen Versprechen. So versprach Hermès beispielsweise für 2021, "bis 2025 100% der Abfälle der Gruppe aus französischen Textilfabriken zu recyceln". Das Ziel enthält zwar eine Frist und einige konkrete Formulierungen, aber für die Öffentlichkeit wird es schwierig sein, herauszufinden, was Hermès unter "Abfällen" versteht und wie das "Recycling" dieser Abfälle definiert und bewertet werden soll.
Hermès versprach im Jahr 2024, "bis Ende 2026 mindestens zwei Studien pro Jahr mit akademischen Partnern zu Fragen der biologischen Vielfalt durchzuführen". Das lässt viel Interpretationsspielraum zu, wer als "akademischer Partner" gilt und was eine "Frage der biologischen Vielfalt" ausmacht.
Solche vagen Versprechen begegnen Stand.earth häufig, sagt Kitchin: "Die meisten Unternehmen haben zwar den ersten Schritt getan und sich ein Ziel gesetzt, es aber dabei belassen. Wenn es keine Informationen darüber gibt, wie ein Ziel erreicht werden soll, dann betrachten wir das als Anzeichen für Greenwashing."
Wer priorisiert nachhaltige Baumwolle?
Die Vielzahl der abgegebenen Versprechen und verwendeten Definitionen macht einen direkten Vergleich der Unternehmen oft schwierig. Doch ein Thema, mit dem sich die meisten Unternehmen auseinandersetzen mussten, ist nachhaltige Baumwolle.
Baumwolle ist eine wasserintensive Kulturpflanze. Neben dem hohen Wasserverbrauch ist ihr konventioneller Anbau seit langem für den starken Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln sowie für ausbeuterische Arbeitsbedingungen bekannt.
H&M, deren Sortiment Baumwolle nach eigenen Angaben mehr als jedes andere Material verwendet, unternahm vor mehr als zwei Jahrzehnten erste Schritte zur Verwendung von Bio-Baumwolle. Das erste Ziel des Unternehmens war es bis 2005 zwanzig Tonnen im gesamten Sortiment zu verwenden. Im Jahr 2010 hatte war das Folgeziel von 15.000 Tonnen bis 2013 bereits übertroffen. Bis 2020 hatte H&M das selbst gesteckte Ziel erreicht, konventionelle Baumwolle vollständig aus dem Sortiment zu nehmen.
Adidas und H&M gehörten zu den ersten großen europäischen Modeunternehmen, die sich erfolgreich dazu verpflichtet haben, ihre gesamte Baumwolle aus nachhaltigeren Quellen zu beziehen und sich Programmen wie der Better Cotton Initiative (BCI) anschlossen, die Standards dafür definierten, was "nachhaltiger" in der Praxis bedeutet.
Obwohl Klima-Organisationen argumentieren, dass Zertifizierungen wie die der BCI deutlich strenger sein sollten, erfüllen viele Marken heute nicht einmal diesen Mindeststandard. Der Online-Modehändler Zalando etwa hat sich noch immer kein Ziel für 100% nachhaltigere Baumwolle gesetzt. Und auch mehrere Luxusmarken haben sich - basierend auf den Daten, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vorlagen - ebenfalls noch nicht auf ein 100% Ziel für nachhaltige Baumwolle festlegen können.
Die Modebranche kommt nicht los von fossilem Plastik
Kaum eine Marke hat sich bisher verpflichtet, ihr primäres Produktionsmaterial auslaufen zu lassen: Plastik. Synthetische Fasern machen im Jahr 2024 69% der weltweiten Faserproduktion für alle Anwendungsbereiche aus. Obwohl viele Unternehmen versprechen, "nachhaltigere Materialien" zu verwenden, zählen dazu meist auch Stoffe wie etwa recyceltes Polyester.
"Recyceltes Polyester wird bisher fast nur aus Plastikflaschen hergestellt, nicht aus alten Kleidungsstücken", sagt Urska Trunk. "Das ist keine nachhaltige Lösung. Wir haben schließlich bereits ein System, um aus alten Flaschen wieder neue Flaschen zu machen. Aber sobald man aus einer Flasche ein Hemd oder einen Rock herstellt, kann diese nie wieder recycelt werden."
Solange es keine marktreife Technologie gibt, mit der alte Kleidung zu neuer Kleidung recycelt werden kann, so Trunk, seien solche Versprechen kaum mehr als ein Feigenblatt für Unternehmen, um ihre Abhängigkeit von Materialien aus fossilen Brennstoffen zu verschleiern.
Können Modeunternehmen sich selbst zur Nachhaltigkeit regulieren?
Ein großes Problem ist laut Trunk der Mangel an Kontrolle in der Modebranche bisher: "Es war eine Art Wildwest. Marken konnten sagen, was sie wollten, ohne Beweise liefern zu müssen."
Mit zunehmendem Bewusstsein in der Öffentlichkeit und technologischem Fortschritt haben verschiedene Organisationen begonnen, direkt mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, um Nachhaltigkeitsstandards umzusetzen und deren freiwillige Verpflichtungen zu überwachen.
Eine solche Organisation ist die Ellen MacArthur Foundation, wo Jules Lennon als Strategie Lead arbeitet. Sie sagt: "Freiwillige Maßnahmen von Unternehmen sind absolut unerlässlich. Aber unsere Arbeit hat auch gezeigt, dass man damit nur bis zu einem bestimmten Punkt kommt. Zusätzlich braucht es ambitionierte, verbindliche politische Maßnahmen."
EU debattiert über verbindliche Nachhaltigkeitsberichterstattung
Die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), die ursprünglich 2024 in Kraft treten sollte, verpflichtet Unternehmen ab einer bestimmten Größe, Informationen in einem standardisierten Format offenzulegen, etwa über ihren Ressourcenverbrauch, ihre Auswirkungen auf das Klima und ihre Nachhaltigkeitsmaßnahmen.
Obwohl Unternehmen wie Adidas, LVMH, Hermès und andere ihre Berichte 2024 bereits in Übereinstimmung mit der Richtlinie erstellt hatten, beschloss die Europäische Kommission Anfang 2025, die Umsetzung zu verschieben und die CSRD abzuändern, um viele kleinere Unternehmen auszunehmen.
Die Green Claims Directive, eine EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Greenwashing, steht derzeit auf der Kippe nach Widerstand der konservativen Europäischen Volkspartei.
Doch selbst, wenn Gesetzgebung noch verzögert oder geändert werden kann, hat sich die Diskussion bereits verschoben: Die Frage ist nicht mehr, ob die Modebranche reguliert werden sollte, sondern lediglich, wie.
Urska Trunk von Changing Markets erkennt die Fortschritte deutlich: "Die Marken haben stillschweigend ihre irreführendsten Behauptungen fallen gelassen", sagt sie. "Verbraucher sind aufmerksamer geworden und verlangen genaue Informationen - und die Unternehmen sind sich bewusst, dass es Konsequenzen gibt, wenn sie keine Beweise für ihre Behauptungen liefern."
Ana Muñoz Padrós hat zu dieser Recherche beigetragen.
Redaktion: Milan Gagnon, Gianna Grün
Dieses Projekt ist eine Zusammenarbeit mehrerer Medienunternehmen im European Data Journalism Networkim Kontext von ChatEurope.
Projektleitung: DW. Partnerredaktionen: El Orden Mundial, FACTA.EU, The Journal Investigates und Voxeurop.
Alle dargestellten Unternehmen wurden vor der Veröffentlichung um Stellungnahme gebeten und um Erläuterung zu allen als unklar gekennzeichneten Zielen. Alle Antworten sind in unserer Datenbank einsehbar, gegebenenfalls wurden Änderungen vorgenommen.
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