Modern tanzen im Senegal
22. Juni 2005Germaine Acogny, die Grande Dame des afrikanischen Tanzes, flößt Respekt ein. Wenn die etwa sechzigjährige große schlanke Frau im hellen Overall den Teilnehmern des Tanzkurses Anweisungen zum alltäglichen Zusammenleben gibt, ist es mucksmäuschenstill. Vierzig professionelle Tänzer aus 19 afrikanischen Staaten haben sich in ihrem Tanzzentrum an der senegalesischen Küste zu einem Workshop zusammengefunden. Drei Monate leben sie gemeinsam in rotgetünchten Pavillons, werden im dazugehörigen Restaurant verpflegt und haben täglich sieben Stunden Unterricht in der afrikanischen Hitze, bei Choreographen aus Europa und bei Germaine Acogny selbst.
Tanzstil und Technik
"Als wir hier ankamen, war hier nur die Lagune, nichts weiter. Wir haben uns gesagt: das ist das Tanzparadies, sozusagen der heilige Wald für den zeitgenössischen Tanz", erzählt Germaine Acogny. Zusammen mit ihrem deutschen Mann Helmut Vogt hat sie sich hier niedergelassen. Und die École des Sables langsam aufgebaut. Zehn Jahre habe das gedauert. "Hier stecken zwanzig Jahre Arbeit, Hoffnung und Glauben drin, auch unser eigenes Geld. Und eine amerikanische Organisation, die EU und andere haben Gelder für den Bau des Dorfes gegeben", sagt Acogny
Die Tänzerin, Choreographin und Pädagogin, versteht sich als Botschafterin einer modernen afrikanischen Tanztechnik. Sie war Schülerin und Mitarbeiterin des legendären Choreographen Maurice Béjart und versucht, traditionelle Tänze Westafrikas mit westlichem Tanzstil und klassischer Technik zu verbinden. Das Ziel: eine elegantere Haltung beim Tanz, Handwerk für eigene Choreographien und weg vom Stereotyp des Naturburschen im Baströckchen, das trotz der rasanten Entwicklung des afrikanischen Tanzes immer noch durch viele Köpfe geistert. Gleichzeitig soll das Bewusstsein der eigenen Tradition geschult werden. Denn nur wer tief in der Tradition verwurzelt sei, könne auch Elemente aus unterschiedlichen Kulturkreisen aufnehmen und so zu seinem eigenen Stil finden, davon ist Germaine Acogny fest überzeugt.
Kein Geschenk des Himmels
Knapp dreitausend Euro pro Tänzer kostet die Ausbildung in der École des Sables, Geld, das Helmut Vogt jedes Jahr wieder neu zusammensammeln muss. Unterstützung kommt von den französischen Kulturzentren, vom Goethe-Institut in Dakar und verschiedenen anderen Institutionen. Denn die Tänzer selbst können die Summe nicht aufbringen. Aber sie müssen, so Helmut Vogt, sich engagieren.
"Wir legen großen Wert darauf, dass all diejenigen, die an dieser Aktivität teilnehmen möchten, auch etwas dafür tun. Es ist nicht wie ein Geschenk des Himmels, was in den Schoß fällt, sondern sie müssen auch sehen, wie schwierig es ist, sich zu behaupten als Künstler, schon während der Ausbildung und dann eben auch später im professionellen Leben", sagt Vogt.
Adaption westlicher Tanzstile
Während in Südafrika und vielen Staaten an der West- und Ostküste die Tanzszene geradezu explodiert und immer neue Festivals und Compagnien aus dem Boden schießen, ist im Zentrum des Kontinents, die Lage für junge Tänzer oft viel schwieriger. Immerhin gilt die Adaption westlicher Tanztechniken in Afrika heute nicht mehr, wie noch vor ein paar Jahren, als Verrat an den eigenen Traditionen.
Vielfältig sind die Geschichten und auch Widerstände, die die jungen Tänzer erlebt haben. Mamadou aus Mali beispielsweise wurde von seinem Onkel immer verprügelt, wenn dieser ihn beim Tanzen erwischte. Schließlich flüchtete er an die Elfenbeinküste, wo er den zeitgenössischen Tanz entdeckte. Heute lebt der 28-Jährige wieder in Malis Hauptstadt Bamako und versucht dort, mit knappen finanziellen Mitteln, seine Erfahrungen zu vermitteln. Der kleine muskulöse Mann ist in der École des Sables mit großem Ernst bei der Sache:" Mein größter Wunsch wäre eine Tanzschule in Bamako. Dort würde ich gerne unterrichten, Kinder vor allem, damit sie begreifen, warum man Afrikaner ist und wie unsere eigene Kultur ist."