1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Kunst

"Moderne Zeiten": Schau zu industriellen Lebenswelten

Cornelia Ganitta
26. Juni 2021

Erst Fortschritt, dann Zerstörung. Eine bildgewaltige Ausstellung im Bucerius Kunst Forum zeigt, wie sich der künstlerische Blick auf Industrie verändert hat.

Franz Radziwills "Der Sender Norddeich" zeigt mehrere hohe Sendemasten an einem Strand. Im Vordergrund sitzt ein Mensch und betrachtet das Meer
Franz Radziwill, "Der Sender Norddeich" aus dem Jahr 1933Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2021; Foto: Museumsstiftung Post und Telekommunikation

Romantische Maler des frühen 19. Jahrhunderts wollten mit ihren Bildern die Wirklichkeit zu einem Ideal der Schöpfung erhöhen. Hässliches und Banales wurde möglichst vertuscht. Auch Armut und soziales Unrecht fanden in ihren illusorisch anmutenden Landschaften keinen Platz.

Das änderte sich, als Maler wie Adolph Menzel (1815-1905) begannen, die aufkommenden Errungenschaften der Industrialisierung bildlich festzuhalten. Sein in den 1870er-Jahren entstandenes "Eisenwalzwerk" gilt als das berühmteste Industriegemälde seiner Zeit. Der gebürtige Breslauer hatte darin die Herstellung von Eisenbahnschienen im schlesischen Königshütte, der damals nach dem Ruhrgebiet modernsten Industrieregion Deutschlands, realitätsgetreu wiedergegeben.

Zur Vorbereitung hatte er rund einhundert Zeichnungen und Gouachen angefertigt, die ihm als Grundlage für das spätere Gemälde dienten. Darunter auch jene, die neben dem agierenden Arbeiter vor heißer Feuerglut den bürgerlich gekleideten Künstler selbst als aufmerksamen Beobachter der Szene zeigt.

Ein Blick in die Ausstellung "Moderne Zeiten" im Bucerius Kunst ForumBild: BKF/Ulrich Perrey

Menzel ist einer von mehr als 100 Künstlerinnen und Künstler, deren Werke aktuell im Hamburger Bucerius Kunst Forum ausgestellt sind. Der Titel der Schau, "Moderne Zeiten", verweist nicht von ungefähr auf den gleichnamigen Film von Charlie Chaplin, in dem dieser fortschrittliche industrielle Produktionsmethoden und Arbeitsweisen auf die Schippe nimmt. Knapp 30 Gemälden sind 174 Fotografien gegenübergestellt, die die Entwicklung der Industriellen Revolution und ihrer künstlerischen Darstellung über den Zeitraum von 175 Jahren aufzeigen.

Dokumentation für die Industrie

Ausgangspunkt der chronologisch angelegten Ausstellung bilden Arbeiten um 1850: die Darstellung von industriellen Arbeitsstätten und Produktionsabläufen sowie die zunehmende Mobilität fanden Einzug in Malerei und Fotografie. Neben dem Schiffsverkehr schritt die Industrialisierung auch auf den Schienen voran. So hatte Belgien bereits ab 1835 eine Dampfeisenbahn und bis Mitte des Jahrhunderts sogar das dichteste Eisenbahnnetz auf dem Kontinent.

Erste Fotografen dokumentierten im Auftrag den Bau von Bahnhöfen, Eisenbahntrassen, Schiffen oder Werksgeländen. Die Aufnahmen von Carl Ferdinand Stelzner (1805 - 1894) vom Altonaer Bahnhof von 1844 gehören zu den frühen fotografischen Zeugnissen neuester Ingenieurskunst. Dabei handelt es sich um Daguerreotypien - Lichtbilder auf versilberten Kupferplatten -, die nicht vervielfältigt werden konnten.

"Arbeiterinnen" von Hans Baluschek aus dem Jahr 1900Bild: Stiftung Stadtmuseum Berlin

Parallel dazu entwickelte sich zwischen 1880 und 1930 das Genre der Industriemalerei. Im Auftrag von Großunternehmen versuchten Maler, die Arbeit in den riesigen Fabrikhallen der Stahl- oder Textilindustrie möglichst realistisch zu erfassen. Im Unterschied dazu setzten die Künstler der Neuen Sachlichkeit zur selben Zeit häufig gesellschaftskritische Akzente, nicht zuletzt befeuert durch die Schriften von Karl Marx, der das Verhältnis von Kapital und Arbeit erforschte und damit verbunden soziale Ungleichheit zu Papier brachte. Statt für malerischen Impressionismus oder heroische Industriemotive interessierten sie sich für die soziale Wirklichkeit. Arbeitsbedingungen, Massenarbeitslosigkeit und der Arbeiter als Individuum wurden zu zentralen Themen.

Auch die Fotografen konzentrierten sich ab 1900 verstärkt darauf, in dem sie die prekären Lebensumstände der Arbeiterklasse etwa in New York und Berlin eindrucksvoll festhielten. Im Ruhrgebiet gewährte der Kölner Fotograf August Sander (1876-1964) in den 1920er-Jahren mit seinen Fotos von Arbeiterwohnungen intime Einblicke in das Leben des Industrieproletariats.

Subjektive Fotografie

Im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde die Industriefotografie auch zu einem Mittel der Propaganda. Insbesondere die Nationalsozialisten sahen darin die Chance, der Bevölkerung vor Augen zu führen, welche Massen von Waffen produziert wurden. Nach 1945 bestimmte die sogenannte "Subjektive Fotografie" den Formenkanon der Industriedarstellung mit einer experimentell-abstrakten Bildsprache. Im Unterschied zu der Technikeuphorie der Vorkriegszeit schwang in den Fotografien nun Distanz zum Fortschritt mit. So fotografierte Otto Steinert (1915-1978) Industrielandschaften, die er durch wüstenartige Vordergründe oder Haldensilhouetten im Gegenlicht verfremdete. Als Saarbrücker Arzt und späterer Leiter der Fotoklasse an der Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken, galt er als wichtigster Streiter für die Anerkennung der künstlerischen Fotografie.

"Kammgarnspinnerei" von Evelyn Richter, Leipzig 1970Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2021

In den 1960/70er-Jahren zeigten zahlreiche sozialkritische Fotoreportagen für Illustrierte unter anderem die Entfremdung durch monotone Arbeit. Daneben boten sich rauchende Schlote an, um das Thema Umweltverschmutzung auf die politische Agenda zu setzen. Zeitgleich wuchs mit dem zunehmenden Verschwinden traditioneller Industriebranchen und der Entstehung neuer Energieformen das künstlerische Interesse, eine dem Untergang geweihte Industriekultur fotografisch festzuhalten. Vorreiter auf diesem Gebiet waren das Ehepaar Bernd (1931-2007) und Hilla Becher (1934-2015), deren schwarz-weiße Werkserien von Fördertürmen, Kohlebunkern, Getreidesilos und Gasometern diese heute größtenteils nicht mehr existenten Bauformen sachlich und neutral dokumentieren.

Henrik Spohler, "Containerterminal", Hamburg 2013Bild: Henrik Spohler

Ausbeutung von Ressourcen

Seit den 1980er-Jahren erwecken die Folgen der Industrialisierung das fotografische Interesse. Tschernobyl und Fukushima, aber auch die Auswirkungen von Gentechnologie in der Landwirtschaft oder die Veränderung der Lebenswelt infolge von Automatisierung und Digitalisierung - wie bei Henrik Spohler, Thomas Struth und Andreas Gursky - finden den Weg in die Fotoateliers. Und so endet die Hamburger Schau mit zeitgenössischen Fotografien, die den Wandel unseres Planeten durch die globale Ausbeutung der Ressourcen zugunsten von Profitmaximierung sichtbar machen.

Beste Beispiele hierfür: Sebastião Salgados Foto der Goldmine Serra Pelada in Brasilien von 1986 sowie die Aufnahmen von Taslima Akhter vom Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013, bei dem 1135 Menschen starben.

Sebastiao Salgado

00:46

This browser does not support the video element.

Moderne Zeiten. Industrie im Blick von Malerei und Fotografie, 26.06. bis 26.09.2021, Bucerius Kunst Forum Hamburg

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen