Sein aktueller Film ist ein Affront gegen das Regime im Iran – und gewann den Hauptpreis der Berlinale. Nun muss der iranische Filmemacher Rasoulof ins Gefängnis. Zahlreiche Filminstitutionen protestieren.
Anzeige
Der Gewinner des Abends war nicht anwesend: Bei der Preisgala der Berlinale haben seine Tochter und seine Produzenten den Goldenen Bären der Internationalen Filmfestspiele Berlin an seiner statt entgegen genommen. Denn der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof, der den Preis für den besten Film des Festivals für sein Werk "There Is No Evil" ("Es gibt kein Böses") erhalten sollte, durfte nicht ausreisen: Bereits im Juli 2019 war er im Iran wegen angeblicher "Propaganda gegen das System" zu einer Haftstrafe und einem zweijährigen Berufsverbot verurteilt worden. Rasoulof darf den Iran nicht verlassen und sich nicht politisch betätigen.
Gerade ein paar Tage nachdem die Berlinale beendet und der rote Teppich in Berlin zusammengerollt war, sei Rasoulof am 4. März vom zuständigen Richter in Teheran aufgefordert worden, die Haft anzutreten, berichtet die Berlinale, die nun öffentlich gegen seine bevorstehende Haft protestiert.
Die Berlinale protestiert gegen die Haft von Mohammad Rasoulof
"Es ist erschütternd, dass ein Regisseur so hart für seine künstlerische Arbeit bestraft wird", sagte die Leitung des Berliner Filmfestivals, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian. "Wir hoffen, dass die iranischen Behörden das Urteil revidieren."
Auch mehrere andere Institutionen wie die Europäische Filmakademie, die Internationalen Filmfestspiele von Cannes und das IDFA, das Internationale Dokumentarfilm-Festival Amsterdam zeigten sich solidarisch mit Rasoulof und äußerten sich besorgt über die ihm drohende Haft. Sie fordern, dass die Anklage gegen Mohammad Rasoulof zurückgezogen und das gegen ihn verhängte Reiseverbot unverzüglich und bedingungslos aufgehoben wird.
Wim Wenders: "Wir brauchen Stimmen wie die von Mohammad Rasoulof"
Der Präsident der Europäischen Filmakademie, der deutsche Filmemacher Wim Wenders, betont in der Erklärung: "Unser Kollege Mohammad Rasoulof ist ein Künstler, der uns immer wieder von einer Realität erzählt, von der wir sonst nur wenig wissen." Die Gesellschaft benötige Stimmen wie seine, "Stimmen, die die Menschenrechte, die Freiheit und die Würde verteidigen".
Rasoulof wird in dem Protestaufruf gegen seine Haft ebenfalls zitiert. Demzufolge sorgt er sich um die gesundheitliche Lage bereits Inhaftierter: "Viele kulturschaffende Aktivisten sind im Gefängnis, weil sie die Regierung kritisiert haben. Die unkontrollierte Ausbreitung des Covid-19-Virus in iranischen Gefängnissen gefährdet ernsthaft ihr Leben. Diese Bedingungen erfordern eine sofortige Reaktion der internationalen Gemeinschaft."
Corona im Iran: Sorge auch um Gefängnisinsassen
Im Iran hat das Coronavirus bereits mehr als zweihundert Todesopfer gefordert. Schulen und Universitäten wurden geschlossen und nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP offenbar aus Sorge über die Verbreitung des Virus in Gefängnissen rund 54.000 Insassen in Hafturlaub entlassen.
In Rasoulofs bei der Berlinale prämierten Film geht es um die Todesstrafe im Iran und um die Frage, wie jeder Einzelne Verantwortung für sein Handeln in einem System der Willkürherrschaft übernimmt. Gedreht wurde im Geheimen und unter anderen Namen.
Seinen Pass musste Rasoulof bereits 2017 den iranischen Behörden übergeben, nachdem er vom Filmfestival in Cannes in sein Heimatland zurückgekehrt ist. In Cannes hatte er mit seinem Film "A Man of Integrity" (auf Deutsch: "Kampf um die Würde") den Hauptpreis in der Kategorie "Un Certain Regard" ("Ein gewisser Blick") gewonnen.
Im DW-Interview erzählt Rasoulof, dass er es vorziehe, Widerstand zu leisten, als sich dem Zensurapparat geschlagen zu geben: "Das gibt mir ein Gefühl der inneren Ruhe, weil ich so mir selbst treu bleiben kann. Wer in einem tyrannischen System er selbst bleiben möchte, der muss einen hohen Preis zahlen."
Iranische Filmemacher: Erfolgreich trotz Zensur
Regisseure aus dem Iran unterliegen strengen staatlichen Auflagen. Dennoch gelingt es ihnen immer wieder, die Einschränkungen kreativ zu umgehen. Diese Filmemacher haben sich auch international einen Namen gemacht.
Bild: picture-alliance/dpa/Cannes Film Festival
Mohammad Rasoulof
Kurz nachdem der Regisseur mit "A Man of Integrity" 2017 einen Preis beim Filmfest Cannes gewonnen hatte, kehrte er in den Iran zurück. Die Behörden dort beschlagnahmten seinen Pass und untersagten ihm das Filmemachen. Im Juli 2019 wurde er zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, die er noch nicht antreten musste. Und es gelang ihm, den Berlinale-Beitrag "Es gibt kein Böses" (Foto) zu drehen.
Bild: picture-alliance/dpa/Cosmopol
Abdolreza Kahani
Abdolreza Kahani wanderte 2015 nach Frankreich aus, nachdem drei seiner Filme in der Islamischen Republik verboten worden waren. Zudem war er daran gehindert worden, sie bei internationalen Festivals einzureichen. "Wir sind in die Zensur hineingeboren. Die Zensur betrifft nicht nur Literatur, Musik und Film. Die Zensur beginnt im Inneren des Hauses", sagte er jüngst in einem Interview.
Bild: picture-alliance/dpa/A. I. Bänsch
Kianoush Ayari
Im Iran kann es Jahre dauern, bis man eine Vorführgenehmigung erhält: Der Film "The Paternal House" von 2012 wurde erst im vergangenen Jahr gezeigt, nachdem Kianoush Ayari sich bereit erklärt hatte, Änderungen vorzunehmen. Nur eine Woche später wurde der Film wieder verboten. Daraufhin verurteilten 200 Filmschaffende in einem offenen Brief die staatliche Zensur und forderten Meinungsfreiheit.
Bild: Iranian Film Festival
Asghar Farhadi
Er ist einer der wenigen Regisseure, die zweimal den Oscar für den besten ausländischen Film gewonnen haben: 2012 für "Nader und Simin - Eine Trennung" und 2017 für "The Salesman" (Foto). Asghar Farhadi boykottierte die zweite Zeremonie, die kurz nach einem Dekret des US-Präsidenten Donald Trump stattfand, das Bürgern aus sieben muslimischen Ländern die Einreise in die USA verwehrte.
Bild: picture-alliance/dpa/Cannes Film Festival
Bahman Ghobadi
Der iranisch-kurdische Filmemacher Bahman Ghobadi führte Regie beim ersten kurdischsprachigen Spielfilm der Welt: "Zeit der trunkenen Pferde" (Foto) aus dem Jahr 2000. Nach seinem Film über die Underground-Musikszene in Teheran, "Perserkatzen kennt doch keiner" (2009), floh er aus dem Iran, da Geheimdienstagenten ihn bedroht hatten. Beide Filme wurden in Cannes ausgezeichnet.
Bild: Filmfest München 2016
Marjane Satrapi
Nachdem sie den Iran als junge Erwachsene endgültig verließ, musste sich die Autorin und Filmemacherin Marjane Satrapi nicht mehr mit den iranischen Behörden auseinandersetzen. Die Verfilmung ihres bekanntesten Comics "Persepolis" gewann 2007 den Preis der Jury in Cannes. Sie erzählt, wie schnell ein Teenager in Teheran in Schwierigkeiten mit der Polizei geraten kann.
Bild: picture-alliance/dpa/Prokino Filmverleih
Mohsen Makhmalbaf
"Reise nach Kandahar" von 2001 wurde kurz vor den Anschlägen vom 11. September veröffentlicht und erzählt vom Schicksal afghanischer Frauen während des Taliban-Regimes. Viele Filme Makhmalbafs sind im Iran verboten. Nachdem Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten gewählt wurde, zog er nach Frankreich. 2014 wurden die Filmfestspiele von Venedig mit seinem Film "The President" (Foto) eröffnet.
Bild: FILMFEST MÜNCHEN/20 Steps Production
Samira Makhmalbaf
Mohsen Makhmalbafs Tochter ist eine der einflussreichsten Regisseurinnen der iranischen Neuen Welle. "Der Apfel" war ihr erster Spielfilm und wurde 1998 beim Filmfestival in Cannes uraufgeführt. Sie drehte ihn mit 17 Jahren. Zwei Jahre später gewann sie mit "Schwarze Tafeln" (Foto) in Cannes den Preis der Jury. Später saß sie selbst in den Jurys der Filmfestivals von Cannes, Venedig und Berlin.
Bild: Imago Images/Mary Evans AF Archive Artificial Eye
Jafar Panahi
Jafar Panahi, der 1995 mit seinem Spielfilmdebüt "Der weiße Ballon" in Cannes ausgezeichnet wurde, erhielt trotz zunehmender Einschränkungen im Iran weiterhin internationale Anerkennung. Seit 2010 ist es ihm verboten, Filme zu drehen und das Land zu verlassen, aber es gelang ihm dennoch, heimlich weitere Filme zu inszenieren, darunter "Taxi Teheran" (2015) und "Drei Gesichter" (Foto) von 2018.
Bild: J. Panahi
Shirin Neshat
Ein Jahrzehnt nach dem Gewinn des internationalen Preises auf der Biennale von Venedig wurde ihr Spielfilmdebüt "Women Without Men" im Jahr 2009 bei den Filmfestspielen von Venedig ausgezeichnet. Heute lebt sie im Exil in New York. "Ich stehe dem Westen kritisch gegenüber, aber Künstlerinnen im Iran sind immer noch mit Zensur, Folter und manchmal auch mit der Hinrichtung konfrontiert", sagt sie.
Bild: Shirin Neshat/Coop99
10 Bilder1 | 10
Sein Film war nicht das erste Mal, dass Rasoulof öffentlich opponierte: Er gehörte ebenfalls zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes, in dem sich im November 2019 mehr als 200 Mitglieder der iranischen Filmindustrie gegen die staatliche Zensur aussprachen und freie Meinungsäußerung in der Islamischen Republik forderten. Der Protest entzündete sich an dem Verbot des Films "The Paternal House" von Kianoush Ayari, der eine Woche nach seiner ersten Vorführung in iranischen Kinos nicht mehr gezeigt werden durfte.
So wie es derzeit aussieht, wird Rasoulof seinen Widerstand teuer bezahlen – noch hat der internationale Protest gegen seine Haftstrafe keine Wirkung gezeigt.