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Mojos-Ebene im Amazonas - unberührte Wildnis? Von wegen!

6. November 2025

LiDAR-Scans und Ausgrabungen enthüllen uralte Kulturlandschaften und eine an Überschwemmungen angepasste Landwirtschaft in Boliviens Mojos-Ebene. Die Funde widerlegen den Mythos vom unberührten Amazonas-Becken.

Bolivien Jasschaja 2021 | Archäologische Ausgrabung an prähistorischer Stätte im südwestlichen Amazonasgebiet
Unter Graslandschaften und Wasserflächen fanden das Archäologen-Team Relikte von Hochfeldern, Dämmen, geometrischen Gräben und KanälenBild: C. Jaimes

Seit Generationen gelten die unendlichen Weiten des Amazonas-Beckens als Sinnbild für eine unberührte Natur. Neue archäologische Untersuchungen und moderne Luftscans widerlegen jedoch das Bild der reinen Wildnis. Zwischen Savannen und saisonalen Überschwemmungslandschaften verbirgt sich in der Mojos-Ebene eine jahrtausendealte Kulturlandschaft, die das Geschichtsverständnis über den tropischen Regenwald revolutioniert.

Überschwemmungen erschweren das Leben in Mojos-Ebene 

Lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, dass zu präkolumbischen Zeiten nur wenige Jäger- und Sammlergesellschaften die Mojos-Ebene bewohnten. Denn die Region im Norden des Tieflands Boliviens ist nicht wirklich als Siedlungsgebiet geeignet. Alljährlich gibt es in dem 100.000 Quadratkilometer großen Savannengebiet saisonale Überschwemmungen und die Böden dort sind dementsprechend nährstoffarm.

Doch bereits vor rund 100 Jahren fanden der schwedische Ethnologe Erland Nordenskiöld und später der US-Geograph William Denevan menschliche Spuren in der Mojos-Ebene. Es waren Hinweise auf eine durch Menschenhand geformte Landschaft, die seit über 1000 Jahren besiedelt wird: Wasserkanäle, Hügelbeete, einzelne Siedlungsspuren.

Erhöhte Anbauflächen dienen als Zeugnis für die indigenen Agrartechniken im AmazonasgebietBild: O. Torrico/WCS-Bolivia

Inzwischen haben deutsche und bolivianische Forschungsprojekte die Hypothese der menschlichen Besiedlung klar bestätigt. Mit Hilfe moderner LiDAR-Technik wurde die wahre Dimension der Kulturlandschaft sichtbar: Sie entdeckten Städte mit Verteidigungsanlagen, Pyramidenplattformen und rituellen Zentren, eingebettet in ein intelligentes Bewässerungssystem.

Die LiDAR-Technik wird zur Erstellung detaillierter Landkarten verwendet. Dabei scannt ein an einem Hubschrauber oder Flugzeug hängender Laser das überwucherte Gebiet. Die Laserpulse werden auch durch die dichteste Vegetation hindurch zur Erdoberfläche gesendet, sodass Forschende später am Computer die gesamte Vegetation herausrechnen können. Übrig bleibt eine hochauflösende Darstellung der Topografie des gescannten Bereichs.

LiDAR enthüllt die verborgene Zivilisation  

Die Entdeckungen auf den Scans waren 2021 Anlass für eine multidisziplinäre Expedition unter Leitung von Prof. Carla Jaimes Betancourt, Archäologin an der Universität Bonn, in eine bislang wenig erforschte Region der Mojos-Ebene. Im Zentrum der Expedition standen die großen Seen Rogaguado und Ginebra, die Teil des von der UNESCO anerkannten Ramsar-Gebiets Río Yata sind. Ramsar-Gebiete sind unter Schutz stehende Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung.

Unter Graslandschaften und unter Wasser entdeckte das Team Relikte von Hochfeldern, ausgeklügelten Kanalsystemen und reichhaltigen Keramikdepots – alles Zeugnisse einer Kulturlandschaft, die über Generationen von Menschen geschaffen und erhalten wurde.

Radiokarbonmessungen und botanische Analysen belegen eine vielfältige Ernährung mit Mais, Hülsenfrüchten und verschiedenen Palmenarten – ergänzt durch Jagd und Fischfang. Seewölfe, Pfauenbarsche und südamerikanische Lungenfische dominierten die Bestände, ergänzt durch Reptilien wie Kaimane und Schildkröten sowie Säugetiere wie Wasserschweine, Pakas und Gürteltiere. LiDAR-Scanning und Radiokarbon-Datierungen belegen eine aufeinanderfolgende Besiedlungen von etwa 600 bis 1400 n. Chr.

Die Bewohner nutzten über Jahrhunderte die saisonale Dynamik des Amazonas, um produktive Landschaften zu gestalten. "Anstatt die Natur zu beherrschen, arbeiteten die alten Amazonasbewohner mit ihren Rhythmen und nutzten saisonale Überschwemmungen als Chancen", schreibt Expeditionsleiterin Jaimes Betancourt in ihrem Gastkommentar in der Fachzeitschrift Frontiers in Environmental Archaeology.

Cayubaba- und Movima-Stämme: Hüter des biokulturellen Erbes

Noch heute bewohnen die Cayubaba- und Movima-Gemeinschaften diese Kulturlandschaft. Sie bauen Reis, Maniok, Bananen, Zuckerrohr und andere Früchte an und betreiben Viehzucht. Ihre langjährige Präsenz und ihr Wissen bewahren ein einzigartiges biokulturelles Erbe, in dem sich ökologische und kulturelle Vielfalt über Jahrhunderte hinweg gemeinsam entwickelt haben, so Jaimes Betancourt. 

Auf den LiDAR-Aufnahmen wie hier vom Seeufer des Rogaguado-Sees sind Hochfelder, Wassergräben, Kanalsysteme und Siedungspuren zu sehen Bild: M. Hardy/WCS-Bolivia

"In einer Zeit, in der Entwaldung, industrielle Landwirtschaft und Klimawandel die Integrität des Amazonas bedrohen, bieten die Landschaften von Rogaguado und Ginebra mehr als nur archäologische Erkenntnisse: Sie bieten Lektionen in Nachhaltigkeit." 

Jaimes Betancourts meint nicht nur die Bewohner der Mojos-Ebene. In vielen weiteren Gebieten des Amazonas-Becken sind Gemeinschaften und Völker durch die landwirtschaftliche Expansion, Entwaldung und den Klimawandel akut bedroht. Das gilt für die bekannten Gemeinschaften ebenso wie für die rund 180 Völker, zu denen bisher kein Kontakt besteht, die aber nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wie Survival International allein im brasilianischen Amazonas-Becken existieren.

Anpassung statt Ausbeutung: Was uns die Vergangenheit lehren kann

Die archäologischen Funde aus der Mojos-Ebene bringen nicht nur Überreste der Vergangenheit ans Licht, sondern zeigen ein fortdauerndes biokulturelles Kontinuum von einem fein abgestimmten Zusammenwirken von Menschen, Pflanzen und Tieren geprägt, so Prof. Carla Jaimes Betancourt.

Die Gesellschaften verstanden die Dynamik saisonaler Überschwemmungen und nutzten sie sie durch gezielte Wasserführung und vielfältige Anbaustrategien.

Ihr Wissen erinnere daran, so Jaimes Betancourt, dass Resilienz aus Vielfalt entsteht – aus unterschiedlichen Lebensformen, Arten und Perspektiven. Wer den Regenwald bewahren will, müsse auch das kulturelle Gedächtnis und die Rechte seiner Hüter schützen.

Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit
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