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Mokka, Minze und ein offenes Ohr

Elisabeth Schmidt20. Februar 2014

Imtithal Harders kennt fast alle syrischen Flüchtlinge in München. Sie dolmetscht bei Behörden, beim Arzt oder hat einfach ein offenes Ohr. Die Exil-Syrer sind ihre Großfamilie geworden.

Syryischer Flüchtling und Dolmetscherin (Foto: Elisabeth Schmidt)
Bild: DW/E. Schmidt

Als Ausländerin fällt Imtithal Harders (Artikelbild, Mitte) in Deutschland schon lange nicht mehr auf. Sie trägt eine rosa Strickjacke und Bluse mit Glitzersteinchen am Ausschnitt. Das Haar der syrischen Mitvierzigerin ist rot-braun gefärbt. Sie bestellt Weißwein und blickt zur Tür. "Da sind sie!" Imtithal strahlt. Zwei Syrer Ende zwanzig kommen herein, Aetedal und Mohand. Das Ehepaar ist gut gekleidet. Ein Aftershave-Duft nach orientalischen Gewürzen und Minze weht angenehm durch das griechische Lokal in München. Imtithal begrüßt die beiden herzlich und bestellt Orangensaft, Mokka und Süßspeisen. Sie genießt es sichtlich, die beiden zu verwöhnen. Kennengelernt hat sie die Flüchtlinge in einer Münchner Klinik. Aetedals zweijähriger Sohn ist Dialyse-Patient, erklärt Imtithal. "Ich musste weinen ohne Ende, als ich den Kleinen gesehen habe. Aber seine Mutter hat gelacht und gelacht. Aetedal dachte, sie wäre im Paradies. Sie hat nicht geglaubt, dass sie nach ihrer Flucht noch am Leben sein würde", erzählt die Dolmetscherin kopfschüttelnd.

Die Armen können gar nicht fliehen

Imtithal kennt sie alle: Kontingentflüchtlinge aus Syrien, die in Deutschland arbeiten dürfen, syrische Christen, die als religiös Verfolgte sofort drei Jahre Aufenthaltsrecht erhalten. Und die Asylbewerber, die illegal nach Deutschland kommen und hier oft monatelang in Gemeinschaftsunterkünften auf den Bescheid warten, ob sie bleiben dürfen - wie Aetedal und Mohand (Artikelbild). "Es sind gebildete Leute", erklärt Imtithal. "Die Armen können sich die Überfahrt gar nicht leisten." Mohand war Handelsvertreter in einem syrischen Medizinunternehmen. Als Damaskus brannte, hat er 3.000 Dollar pro Person an ägyptische Schleuser gezahlt. Sein Ziel: einfach weg. Imtithals eigene Familie ist noch "drüben", wie sie sagt. Sie würde ihnen gerne helfen, von ihrem Bruder hat sie seit einem halben Jahr nichts mehr gehört. Nichts tun zu können, macht Imtithal wahnsinnig. Die Exil-Syrer sind für sie zu einer großen Ersatzfamilie geworden.

Eigentlich hätte ihr Leben ganz anders verlaufen sollen. Vor fünfzehn Jahren kam Imtithal nach München, frisch verliebt in einen Deutschen. Die beiden heirateten, aber die Ehe hielt nicht. Imtithal war ohne Job und musste sehen, wie sie sich und ihre drei Töchter durchbrachte. Eineinhalb Jahre arbeitete sie ehrenamtlich für das Rote Kreuz und die Innere Mission, begleitete Flüchtlinge zu Behörden, zum Arzt. Bald wurde sie weiter empfohlen und konnte sich zwischenzeitlich vor Anrufen kaum noch retten. Manchmal wollen ihre Landsleute einfach nur ihre Geschichte erzählen.

Die Menschlichkeit blieb auf der Strecke

Aetedal hat viel zu erzählen. "Da ist so viel Druck da", sagt Imtithal. Die Dolmetscherin hört einfach nur zu. Immer wieder schlägt sie die Hände vor ihr Gesicht, Tränen schimmern in den Augen. Aetedal und Mohand erzählen von ihrer Flucht. Zuerst von Damaskus nach Ägypten. Dort haben sie die Schleuser wie Mehlsäcke auf ein winziges Fischerboot geworfen. 165 Flüchtlinge an Bord, darunter 40 Kinder, zu viele. Kurz vor Italien beginnt das Boot zu sinken. Notdürftig flicken die Flüchtlinge das Leck mit Gürteln und Jeans, sieben Tage heißt es ausharren auf offenem Meer ohne Essen und Trinken. Aetedal und Mohand hatten trotzdem Glück: Sie waren nicht in einem der Flüchtlingsboote, die vor Lampedusa gesunken sind. Anders Mohands Schwager: Vor seinen Augen sind andere Flüchtlinge ertrunken.

Viele von Imtithals Freunden können die Flüchtlingsgeschichten nicht mehr hören, auch Syrer. "Die Menschlichkeit ist gestorben in dieser Welt", sagt Imtithal - nicht verbittert, eher beschämt. Mittlerweile arbeitet sie im Konsulat von Kathar und verdient gut. Trotzdem trifft sie sich weiterhin drei- bis viermal die Woche mit den Familien. Imtithal nimmt einen kleinen Schluck Weißwein, ihr Blick geht in die Ferne. Wenn sie wieder einen Mann hat, will sie Bücher schreiben. Über jede syrische Flüchtlingsfamilie eines, lacht sie. Es ist kein fröhliches Lachen, sondern ein tief trauriges. Sie weiß, wie viele Familien der Krieg auseinandergerissen hat. "Meine Seele ist trotzdem noch nicht gestorben, deswegen helfe ich weiter."

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