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Politik

Moldau: Schritt für Schritt in die EU

Robert Schwartz
21. Juni 2022

Neben der Ukraine soll auch die Republik Moldau beim EU-Gipfel in dieser Woche zum Kandidaten für den EU-Beitritt gekürt werden. Für das kleine Land an der Ostgrenze der EU wäre dies eine historische Entscheidung.

Staatspräsidentin Maia Sandu
Die pro-europäische Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu, in Brüssel (17.05.2022)Bild: Dursun Aydemir/AA/picture alliance

Auf den Tag genau vier Monate nach dem Beginn des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine will die Europäische Union ein klares politisches Zeichen setzen: Die Ukraine und die Republik Moldau sollen beim EU-Gipfel am 23./24.06.2022 den Status eines Beitrittskandidaten zugesprochen bekommen. Für beide Länder wäre eine klare EU-Perspektive vor dem Hintergrund der russischen Invasion eine historische Entscheidung mit starker Symbolkraft, acht Jahre nach der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens beider Länder mit der Europäischen Union.

Die Entscheidung der 27 Mitgliedsstaaten muss einstimmig fallen, doch die Chancen, dass beide Länder den Kandidatenstatus bekommen, stehen gut. Bereits am 16. Juni 2022 hatte sich in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ein EU-Quartett - Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron, der italienische Ministerpräsident Mario Draghi und Rumäniens Präsident Klaus Iohannis - dafür ausgesprochen. Auch das EU-Parlament und die EU-Kommission haben den Beitritt der Ukraine und der Republik Moldau empfohlen. Damit verbunden ist allerdings die Forderung, weitere Fortschritte im Beitrittsprozess an konkrete Bedingungen zu knüpfen. Sowohl in der Ukraine als auch in der Republik Moldau müssten "wichtige Reformen" durchgeführt werden, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Das EU-Quartett bei Wolodymyr Selenskyi (Mi.): Klaus Iohannis, Emmanuel Macron, Olaf Scholz, Mario Draghi (von re.)Bild: Ludovic Marin/AP/picture alliance

Klarer pro-europäischer Kurs

Die Republik Moldau, an der Grenze zum EU-Mitgliedsstaat Rumänien gelegen, hat den Antrag auf EU-Mitgliedschaft offiziell Anfang März 2022 gestellt. Jetzt hat es die EU in der Hand, aus dem europäischen Traum des kleinen Landes eine Erfolgsgeschichte werden zu lassen. Nach ihrem fulminanten Wahlsieg bei der Präsidentschaftswahl im November 2020 über den pro-russischen Amtsinhaber Igor Dodon hatte die pro-europäische Präsidentin Maia Sandu im DW-Interview ihr Ziel klar definiert: Sie wolle ihr Land von Korruption und Misswirtschaft befreien, eine unabhängige Justiz und Rechtsstaatlichkeit garantieren und die "Präsidentin der europäischen Integration" sein. Gut ein halbes Jahr später wurde dieser Kurs durch den Sieg ihrer liberalen pro-westlichen Partei PAS (Partei der Aktion und Solidarität) bei der vorgezogenen Parlamentswahl im Juli 2021 von über 52 Prozent der Wählerinnen und Wähler bestätigt.

Schon jetzt ist die EU der größte Handelspartner und Investor des Landes - rund 70 Prozent der moldauischen Exporte gehen in die EU. Deutschland ist dabei nach Rumänien der wichtigste Handelspartner unter den EU-Mitgliedsstaaten. Über eine Million Menschen haben die Moldau für Jobs im Ausland verlassen - die meisten davon leben und arbeiten in der EU. Ihre Überweisungen machten in den vergangenen Jahren teilweise bis zu 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Als Folge der gemeinsamen jahrhundertelangen Geschichte mit Rumänien haben gut ein Drittel der Moldauerinnen und Moldauer inzwischen auch die rumänische Staatsbürgerschaft - und sind somit EU-Bürger. Seit 2014 dürfen alle Bürger der Republik Moldau visafrei in den Schengen-Raum reisen.

Ein stabiler Partner im Osten

Dass der Kandidatenstatus nicht einen schnellen EU-Beitritt garantiert, wissen die Menschen in der Republik Moldau. Aber für viele ist es der Anker, den sie brauchen, um die Reformpolitik ihrer Regierung mitzutragen. In einem flammenden Plädoyer vor dem Europaparlament am 18. Mai dieses Jahres in Brüssel bat Präsidentin Sandu um breite Unterstützung der Bewerbung ihres Landes. Ein EU-Beitritt sei im Interesse der Moldauerinnen und Moldauer, die ihre Demokratie und Freiheit bewahren wollten. Aber vor dem Hintergrund der russischen Invasion in der Ukraine und der unmittelbaren Nähe ihres Landes zum Kriegsgeschehen sei es auch im Interesse Europas, einen stabilen, berechenbaren und zuverlässigen Partner in seiner östlichen Nachbarschaft zu haben, fügte sie hinzu und erntete damit viel Beifall.

Der moldauische Parlamentspräsident Igor Grosu: Die große Mehrheit der Bevölkerung hat sich für das europäische Modell entschiedenBild: Simion Ciochina/DW

Der moldauische Parlamentspräsident Igor Grosu unterstreicht im DW-Gespräch den Kurs seines Landes hin zum "zivilisatorischen Modell" der Europäischen Union: "Nach dem 24.02.2022 hat sich die Welt dramatisch verändert. Wir haben es nun mit zwei klaren Mustern zu tun: Das eine ist aggressiv und verachtet demokratische Werte, Pluralismus, Opposition - wir erleben es durch die Invasion der Russischen Föderation in der Ukraine. Das andere ist ein europäisches zivilisatorisches Modell des Friedens und des Wohlstands." Die große Mehrheit der Bevölkerung seines Landes habe sich für das europäische Modell entschieden, so Grosu.

Die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des Think Tanks WatchDog.MD bestätigen die Aussage des moldauischen Parlamentspräsidenten: 55 Prozent sind für den EU-Beitritt ihres Landes, 22 Prozent für die Zugehörigkeit zu der von Russland angeführten Eurasischen Union. Ein kleines, aber wichtiges Detail: An der Umfrage war weder die überwiegend pro-europäische Diaspora noch die Bevölkerung der separatistischen pro-russischen Region Transnistrien beteiligt.

Dass in Transnistrien trotz aller bilateralen und internationalen Abkommen noch immer russisches Militär stationiert ist, macht einen EU-Beitritt des Landes nicht einfacher. Die Republik Moldau hatte zwar 1994 ihren Neutralitätsstatus in der Verfassung verankert und damit auf eine Lösung der Transnistrien-Frage gehofft, doch der Konflikt ist eingefroren und kann auf Geheiß Moskaus jederzeit neu ausbrechen. Modelle dafür gibt es zuhauf, beispielsweise in den abtrünnigen Regionen Abchasien und Süd-Ossetien, die völkerrechtlich zu Georgien gehören. Das Land hatte im Windschatten der Ukraine ebenfalls einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt, es soll aber offenbar erst zu einem späteren Zeitpunkt als Kandidat akzeptiert werden.

Westliche Solidarität und russische Anschuldigungen

Dass die internationale Gemeinschaft die Republik Moldau seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine mit anderen Augen betrachtet, war auch bei der Geberkonferenz in Berlin im April 2022 erkennbar. Drei EU- und NATO-Staaten - Deutschland, Frankreich und Rumänien - hatten eine Unterstützungsplattform vorgeschlagen, um der Republik Moldau zur Seite zu stehen. Hochrangige Vertreter aus über 30 Staaten und neun internationalen Organisationen stellten dem Land rund 700 Millionen Euro in Aussicht.

Geberkonferenz in Berlin, 6.04.2022: Rumäniens Außenminister Bogdan Aurescu, die moldauische Premierministerin Natalia Gavrilita, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die Außenminister Frankreichs und der Moldau, Jean-Yves Le Drian und Nicu Popescu (von li.)Bild: Florian Gaertner/photothek/picture alliance

Die Zeichen westlicher Solidarität mit der Republik Moldau lösten in Moskau heftige Reaktionen aus. Der russische Außenminister Sergej Lawrow beschuldigte die EU, zu einem "aggressiven, militanten Akteur" geworden zu sein. In einem Interview mit einem russischen Fernsehsender sagte Lawrow, der Westen würde die Republik Moldau "zu einer zweiten Ukraine" machen wollen. Die Antwort der moldauischen Präsidentin Maia Sandu auf diese Anschuldigungen war knapp, aber dezidiert: "Die Moldau ist ein unabhängiger und souveräner Staat. Unsere Bürger haben sich dafür entschieden, in einem freien Land zu leben, in dem sie geachtet werden und in dem Wohlstand errichtet werden kann."

Jetzt ist es an der Europäischen Union zu entscheiden, ob die Moldau und die Ukraine als Beitrittskandidaten akzeptiert werden. Diese beiden Länder auf dem EU-Gipfel am 23./24.06.2022 nicht einzuladen, wäre eine "fatale Entscheidung", so Bundesaußenministerin Annalena Baerbock.