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Politik

Moldau: Wie ein Dorf zum Leben erwacht

29. September 2021

Am Mittwoch ist Bundespräsident Steinmeier nach Moldau gereist. Die ehemalige Sowjetrepublik gilt als Armenhaus Europas. Auch das Dorf Volintiri leidet unter der Massenemigration. Trotzdem gibt es hier viel Hoffnung.

Moldau: Reportage von Simion Ciochina in Volintiri
Bild: Simion Ciochina/DW

Die Szene wirkt idyllisch: Rund um eine riesige Pappel, die über 100 Jahre alt ist, sitzen die Dorfbewohner auf Heuballen und freuen sich an einem spätsommerlichen Volksmusik-Konzert. Das Dorf Volintiri ist zwar nur rund 100 Kilometer von der moldauischen Hauptstadt entfernt, doch es scheint am Ende der Welt zu liegen, weil es keine asphaltierte Straße gibt, um den Ort mit der zentralen Verkehrsader Chisinau - Odessa zu verbinden. 

Viele Dörfer dieser Art sind in den vergangenen 30 Jahren - seit die Republik Moldau ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärte - komplett von der Landkarte verschwunden. Laut der letzten Volkszählung (von 2014 ) waren bis zu jenem Zeitpunkt etwa 300 Dörfer ohne Bewohner geblieben. Experten schätzen, dass auch heute weitere 150 Dörfer dieses Schicksal erleiden könnten. Vor allem im ländlichen Raum des kleinen osteuropäischen Landes fehlt es an Infrastruktur und an Arbeitsplätzen. Fast die Hälfte der rund 4 Millionen Moldauer arbeitet im Ausland, die meisten in EU-Ländern und Russland.

Bürgermeister Igor Hincu hat viele Pläne für das Dorf Bild: Simion Ciochina/DW

Ehemalige Dorfbewohner haben aus dem Ausland Spenden geschickt

"Viele sind von hier weggezogen", erzählt Igor Hincu, der Bürgermeister von Volintiri, nach dem Volksmusik-Konzert. "Laut der letzten Zählung waren es noch 3600 Einwohner, aber de facto leben heute nur noch 3000 hier." Er begleitet uns ins Zentrum des Ortes, wo ein Markt für den Verkauf lokaler Produkte errichtet wurde - eine wichtige Einnahmequelle für die Menschen in Volintiri. "Wir haben die Dorfbewohner angesprochen, die inzwischen im Ausland leben, damit sie uns dabei unterstützen, diesen Markt herzurichten", sagt Bürgermeister Hincu.

Aus Solidarität mit der alten Heimat folgten viele von ihnen dem Spenden-Aufruf. Neben der finanziellen Hilfe freut er sich auch darüber, dass ein Handwerker bereit war, eigens für den Markt Metalltische herzustellen. Auf dem Markt sind moderne Recycling-Container zu sehen. "Mit Hilfe der Dekabristen-Gesellschaft aus Berlin (einer Plattform zur Förderung der Demokratie und Menschenrechte in Osteuropa, Anm. d. Red.) haben wir auch den Zaun rund um den Markt ersetzen können", berichtet Igor Hincu.

Neue pro-europäische Regierung in der Moldau 

Die neuen Metalltische am Markt warten jeden Sonntag auf Verkäufer und Kunden Bild: Simion Ciochina/DW

Ein großes Problem der Dörfer in der Republik Moldau ist, dass das Geld für Infrastruktur-Projekte fehlt, die es den Menschen erleichtern würden, in ländlichen Gegenden zu leben. In den meisten Fällen kommen Lösungsansätze von besonders aktiven Bürgermeistern wie Igor Hincu und engagierten Dorfbewohnern. Politischer Klientelismus ist ebenfalls ein Problem, über das viele Bürgermeister klagen: In den vergangenen Jahren hing es oft von der Parteizugehörigkeit des Bürgermeisters ab, ob sein Ort staatliche Gelder für wichtige Projekte bekam oder nicht. Gegen Korruption und Klientelismus zu kämpfen, ist eines der wichtigsten Ziele der neuen pro-europäischen Präsidentin Maia Sandu, die am Mittwoch in Chisinau Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen hat. Zum ersten Mal in der Geschichte der ehemaligen Sowjetrepublik Moldau erreichte bei den Parlamentswahlen am 11. Juli eine reformorientierte pro-europäische Partei die absolute Mehrheit: PAS (Partei der Aktion und Solidarität). Die pro-russischen Kräfte um den ehemaligen sozialistischen Präsidenten Igor Dodon erlitten eine herbe Niederlage.

Hilfe für Kinder aus sozial schwachen Familien 

Im Dorf Volintiri gibt es eine Einrichtung für vulnerable Kinder, die seit Jahren keinerlei Hilfe vom Staat bekommen hat. "Hier betreuen wir jeden Tag 20 Kinder aus sozial schwachen Familien, sie bekommen Mahlzeiten und wir organisieren Aktivitäten für sie. In Notfällen können sie auch über Nacht bleiben", sagt Leiterin Ludmila Coceban. "Wir möchten Reparaturen durchführen, denn seit unsere Einrichtung 2007 gegründet wurde, gab es keinerlei Renovierungen mehr." Ludmila Coceban sucht nach neuen Lösungen: "Ich habe mich mit einem Projekt an die Deutsche Botschaft in Chisinau gerichtet, diese hat uns eine Unterstützung von 282.000 moldauischen Lei (etwa 13.600 Euro) für die Renovierung der Einrichtung zugesagt. Das ist für uns eine sehr wichtige Hilfe, denn wir haben auch Kinder, die nach der Schule hierher kommen und nicht mehr nach Hause gehen wollen, weil sie sich bei uns sicher fühlen und es ihnen hier gut geht."  

Galina Procopovici hat ein Museum aufgebaut, das an die Opernsängerin Maria Biesu erinnert Bild: Simion Ciochina/DW

Andere Dorfbewohner engagieren sich im Kulturbereich: Im Kulturzentrum des Ortes ist ein Museum entstanden, in dem Besucher mehr erfahren können über das Leben der international bekannten Opernsängerin Maria Biesu, die 1967 einen Preis in Japan gewonnen hat. Museumsdirektorin Galina Procopovici wartet gerade auf mehrere Bühnenkostüme der Sopranistin, die sie in einer Glasvitrine ausstellen möchte.

Claus Eppe: "Hoffnung auf eine Zukunft in der Heimat" 

Im Kulturzentrum treffen wir Dr. Claus Eppe von der deutschen Stiftung Senior Expert Service (SES), der seit September 2020 aktiv Projekte im Dorf Volintiri entwickelt. Der Düsseldorfer hat als langjähriger Ministerialrat und Referatsleiter bei der Landesregierung Nordrhein-Westfalen Projekte im Bereich Mobilität und Stadtentwicklung gestaltet.

In der Bibliothek des Kulturzentrums hat er einen Stand mit deutschen Büchern aufgebaut. Jeder grüßt ihn freundlich im Dorf, alle kennen ihn. Der Düsseldorfer hat unter anderem einen Wettbewerb um die sauberste Straße im Dorf und ein Schach-Turnier für Kinder organisiert sowie eine Partnerschaft zwischen der lokalen Bibliothek in Volintiri und einer Bibliothek in Deutschland. "Ich bin hierher gekommen, weil ich überzeugt bin: Es gibt Hoffnung, wenn man sich engagiert", sagt Dr. Claus Eppe. "Zusammen mit den Bewohnern wollen wir das Projekt Volintiri - ein smartes und grünes Dorf entwickeln, das den Menschen die Hoffnung auf eine Zukunft in der Heimat geben wird. Ehrenamtliche Arbeit ist sehr wichtig und ich hoffe, dass die langfristige Entwicklung auch wirtschaftlich lebensfähig ist." Zu den Ideen, die er gemeinsam mit den Menschen in Volintiri und zwei lokalen Umweltorganisationen umsetzen möchte, gehört ein Recycling-Projekt und eine neue Fabrik für Biogas. "Eine andere Idee ist, einen Verband für Landwirte zu organisieren, so dass diese selber ihre Produkte vertreiben können." Im Dorf gebe es Chancen, um Arbeitsplätze zu schaffen - wenn auch in einem bescheidenen Rahmen. "Das ist die wirtschaftliche Zukunft, die soziale und kulturelle Zukunft des Ortes. Um diese Region zu entwickeln, wollen wir gute Beziehungen aufbauen, zu denen sowohl die EU als auch Deutschland und die neue Regierung der Moldau gehören sollen."

Claus Eppe: Ein Deutscher aus Düsseldorf engagiert sich für Volintiri Bild: Simion Ciochina/DW

Adaption aus dem Rumänischen: Dana Alexandra Scherle