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Moldaus Präsidentin: "Gerechter Sieg in ungerechtem Kampf"

21. Oktober 2024

In der Republik Moldau gewinnt die amtierende Präsidentin Maia Sandu die erste Wahlrunde. Im Referendum stimmt eine äußerst knappe Mehrheit für eine EU-Perspektive. Es gibt Anzeichen für massive Wahlmanipulation.

Eine Frau (Maia Sandu) in einem hellbraunen Mantel, hinter ihr Männer
Die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu am 20.10.2024 in der Hauptstadt ChisinauBild: Vadim Ghirda/dpa/AP/picture alliance

Im Frühjahr 1992 war die Republik Moldau das erste Opfer russischer Aggressionspolitik, nur wenige Monate nach dem Ende der Sowjetunion. Tausende Soldaten der damals im Land stationierten 14. Russischen Armee sowie russische Freiwilligeneinheiten halfen den Moskau-treuen Separatisten in Transnistrien, einem Landstreifen im Osten der Republik Moldau, sich abzuspalten - Muster, die später in Georgien und der Ukraine in ähnlicher Weise angewandt wurden.

Zwar sind Reste der einstigen 14. Armee bis heute in Transnistrien stationiert - obwohl Russland sich vor mehr als 20 Jahren schriftlich verpflichtete, sie abzuziehen. Aber die Republik Moldau ist heute ein anderes russisches Testgelände: das für hybride Kriege, mit denen ganze Gesellschaften und Länder destabilisiert werden. Kein anderes Land in Europa wird in einem so großen Ausmaß mit russischer Propaganda und Desinformationskampagnen überzogen wie die Republik Moldau.

Proeuropäische Demonstranten am 20.10.2024 abends in der moldauischen Hauptstadt ChisinauBild: Nieweler/Fotostand/IMAGO

Zu sehen war das in den vergangenen Wochen und Monaten in den Kampagnen für die Präsidentschaftswahl und für das EU-Referendum im Land. Und es zeigte sich auch am gestrigen Wahltag (20.10.2024): Zwar liegt die amtierende Staatspräsidentin Maia Sandu nach dem ersten Wahlgang mit rund 42 Prozent der Stimmen weit vorn. Auch sprach sich eine sehr knappe Mehrheit von 50,4 Prozent im Referendum dafür aus, das Ziel der EU-Integration in der Verfassung zu verankern. EU-Ratspräsident Charles Michel zeigte sich in einer ersten Reaktion am Montagabend beim Kurznachrichtendienst X erfreut und gratulierte den Menschen in Moldau für "ein Signal, das Ihren Einsatz für Europa bekräftigt". 

Andererseits stimmten erhebliche Teile der moldauischen Wählerschaft für prorussische Kandidaten und gegen eine EU-Perspektive des Landes - obwohl die Republik Moldau wirtschaftlich schon seit langem eng mit der EU verflochten ist und Brüssel das Land massiv unterstützt.

Gagausen massiv gegen EU

Der von den prorussischen Sozialisten (PSRM) unterstützte ehemalige Generalstaatsanwalt Alexandr Stoianoglo, der seinen Posten 2021 wegen Korruptionsvorwürfen räumen musste, erhielt 26 Prozent der Stimmen. Der moldauisch-russische Geschäftsmann Renato Usatii kam auf 14 Prozent, weitere mehr oder weniger offen prorussische Kandidaten, darunter die ehemalige Gouverneurin der autonomen Region Gagausien, Irina Vlah, erreichten zusammen knapp zehn Prozent.

Der Ex-Generalstaatsanwalt und Präsidentschaftskandidat Alexandr Stoianoglo mit seiner Familie am 20.10.2024 in ChisinauBild: Vladislav Culiomza/REUTERS

Im EU-Referendum stimmten Teile der Wählerschaft, darunter vor allem im Norden und Süden der Republik Moldau, massiv gegen eine EU-Perspektive des Landes. So etwa votierten im südmoldauischen Autonomiegebiet der Gagausen, eines Turkvolkes, dessen Angehörige christlich-orthodoxen Glaubens sind und fast ausschließlich Russisch sprechen, rund 95 Prozent gegen die EU-Integration. Und das, obwohl die EU gerade hier mit zahlreichen Projekten zur Infrastruktur- und Wirtschaftsentwicklung präsent ist.

"Nie dagewesener Angriff"

Die Wahlbeteiligung erreichte mit etwa 51,5 Prozent für moldauische Verhältnisse ein Rekordniveau, was auf eine hohe Mobilisierung sowohl unter proeuropäischen als auch unter prorussischen Wählern schließen lässt. Ausschlaggebend für den proeuropäischen Teil der Wählerschaft war vor allem das Votum der moldauischen Diaspora in EU-Ländern - die "europäischen" Moldauer sorgten letztlich für die hauchdünne proeuropäische Mehrheit beim Referendum. Aber auch im separatistischen Transnistrien, wo es kein Abstimmungsverbot gab, stimmten immerhin 37 Prozent der wenigen teilnehmenden Wähler für eine EU-Integration der Republik Moldau.

Die amtierende moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu muss sich trotz ihres Wahlsieges in der ersten Runde einer Stichwahl stellen, die in 14 Tagen stattfindet (3.11.2024). Sandu trat am späten Sonntagabend mit einer sehr kurzen und äußerst alarmierenden Erklärung vor die Presse. Mit fast versteinerter Miene sagte sie, es gebe Beweise, dass "kriminelle Gruppierungen" versucht hätten, "300.000 Stimmen zu kaufen". Sie sprach von einem "nie dagewesenen Angriff auf die Freiheit und die Demokratie in unserem Land" und einem "beispiellosen Ausmaß des Wahlbetrugs".

Wer sind die "Banditen"?

Am Montag nachmittag (21.10.2024) wiederholte Maia Sandu ihre schwerwiegenden Aussagen der Nacht, allerdings mit deutlicher Erleichterung über den knappen Ausgang des EU-Referendums. "Wir haben rechtmäßig gewonnen in einem ungerechten Kampf", so Maia Sandu, "denn es hat einen Anschlag auf die Bestrebung unseres Landes gegeben, frei unseren Weg zu wählen." Sandu warnte davor, dass die Beeinflussungs- und Desinformationsversuche in ihrem Ausmaß auch ein Modell des Vorgehens in anderen europäischen Ländern sein könnten. Sie vermied es aber, Russland direkt zu nennen, sondern sprach von "Banditen".

Der moldauisch-israelische Geschäftsmann Ilan ShorBild: Maksim Blinov/SNA/IMAGO

Gemeint sein mit "Banditen" und "kriminellen Gruppierungen" dürften in erster Linie die Netzwerke um den moldauisch-israelischen Geschäftsmann Ilan Shor und den moldauisch-russischen Geschäftsmann Veaceslav Platon.

Shor ist der Drahtzieher des so genannten "Milliardenraubes", bei dem zwischen 2012 und 2014 rund eine Milliarde Euro aus drei moldauischen Banken verschwand, getarnt als Kredite an Offshore-Firmen. Platon wiederum ist eine der zentralen Figuren des so genannten "Russian Laundromat", eines Geldwäsche-Mechanismus, mit dem Dutzende Milliarden US-Dollar aus Russland unter anderem über moldauische Banken in westliche Länder transferiert und gewaschen wurden.

Illegale Transfers

Shor wurde für den "Milliardenraub" rechtskräftig zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Er floh 2019 außer Landes, zunächst für mehrere Jahre nach Israel, anschließend nach Russland. Er steht auf Sanktionslisten der USA und der EU und wird mit Haftbefehl von Interpol gesucht. Russland verweigert seine Auslieferung an die Republik Moldau. Platon wiederum wurde in der Republik Moldau ebenfalls rechtskräftig verurteilt, sein Verfahren aber später annulliert. Er floh 2020 nach London. In Russland wurde er in Abwesenheit ebenfalls rechtskräftig zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt.

Wahlplakat des moldauisch-israelischen Geschäftsmannes in der Region Gagausien im Jahr 2023. Seine Partei "Sor" ist inzwischen verbotenBild: Евгения Гуцул/Facebook

Veaceslav Platon, vor allem aber Ilan Shor transferieren seit Jahren illegal große Geldsummen in die Republik Moldau. Shor finanziert damit prorussische Parteien, antieuropäische Desinformationskampagnen und Stimmenkauf. Einer Reporterin der moldauischen Zeitung Ziarul de Garda gelang es vor Monaten, unerkannt in Shors Netzwerk zu kommen und aufzudecken, wie moldauische Staatsbürger für die Teilnahme an Protesten oder bei Wahlen bezahlt werden; für sie werden unter anderem Konten in Russland eröffnet, bezahlt werden sie über russische Bankkarten.

Bevölkerung besser ansprechen

Moldauische Behörden hatten ihrerseits Anfang Oktober ein Netzwerk enttarnt, in dem die Stimmen von bis zu 130.000 moldauischen Staatsbürgern gekauft worden sein sollen. Außerdem wollen moldauische Ermittler ein Netzwerk russischer und moldauischer Staatsbürger mit mehreren Dutzend Angehörigen enttarnt haben, die speziell trainiert wurden, Anschläge und gewaltsame Störungen von Wahlen und öffentlichen Veranstaltungen auszuführen.

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Für die Republik Moldau werden die kommenden zwei Wochen bis zur Stichwahl nun voraussichtlich noch einmal eine Phase der Konfrontation werden. Maia Sandus Gegenkandidaten, darunter Alexandr Stoianoglo und Renato Usatii, gaben sich aber zunächst in zumeist zweisprachigen, rumänisch-russischsprachigen Erklärungen zurückhaltend und dankten lediglich den Wählern. Insbesondere Stoianoglo, der in die Stichwahl einziehen wird, wirkte dabei, wie auch im Wahlkampf, unbeholfen und eher wie ein aus dem Hut gezauberter Kandidat. Usatii lehnte es ab, bereits eine Wahlempfehlung für die Stichwahl zu geben.

Jenseits der Debatte um die hybride Kriegsführung Russlands und seiner Handlanger wie Ilan Shor gab es unter Wahlbeobachtern auch Diskussionen darüber, wie man die Menschen, die gegen die EU stimmen, besser erreichen könne. Bei einer Runde im moldauischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen TV Moldova 1 sagten Journalisten, es müsse viel mehr dafür getan werden, dass die Bevölkerung sähe, in welchem Maße die EU der Republik Moldau helfe.