Mondkuchen, Traditionen und die Korruption
12. September 2014Es ist eine Jahrhunderte alte Tradition: Zum chinesischen Mondfest im Herbst schenken sich die Chinesen gegenseitig Mondkuchen – ein kleines Gebäck mit meist süßer und fettiger Füllung. Nur in diesem Jahr war alles ein bisschen anders. Kurz vor dem Fest hatte die chinesische Anti-Korruptions-Behörde gegen die sogenannte "Mondkuchen-Korruption" gewettert. Denn auch Behörden und Staatsbetriebe verschenken gerne jährlich große Mengen Mondkuchen – darunter auch Luxus-Packungen für bis zu 200 Euro. Aus Sicht der Behörden war das, so schien es, unangebracht. Die Folge: Die Verkäufe von Mondkuchen brachen in diesem Jahr auf dem chinesischen Festland dramatisch ein – die der besonders teuren sogar um die Hälfte. Niemand wollte in den Fokus der Korruptionswächter geraten.
Kampagnen gegen die Korruption hat es in China immer wieder gegeben. Doch selten in diesem Ausmaß. Einige Beobachter sprechen sogar von der größten Anti-Korruptions-Kampagne in der jüngeren chinesischen Geschichte. Die Anzahl der untersuchten Fälle und die Dauer der Kampagne seien sehr eindrucksvoll, sagt auch Kristin Shi-Kupfer vom "Mercator Institut für Chinastudien" (MERICS). Noch bemerkenswerter als die reine Quantität findet sie allerdings, wie breit die Kampagne angelegt ist: "Interessant ist zum einen, dass in sehr vielen staatlichen Behörden und Wirtschaftssektoren, darunter Ölindustrie und Stromwirtschaft, Kader wegen Korruption ihres Amtes enthoben worden sind, und außerdem, dass die Disziplin-Kontrollkommission in fast sämtlichen Provinzen Chinas aktiv geworden ist und Korruptionsfälle aufgedeckt hat.“
Anklänge an Mao
Das Vorgehen der chinesischen Regierung erinnert dabei an längst vergangene Zeiten. Parteikader geißeln sich in Selbstkritik-Sitzungen im staatlichen Fernsehen. Zeitungen drucken entsprechende selbstkritische Protokolle. Und der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping scheint bei Auftritten Parallelen zu Mao Zedong zu suchen. Er fordert von den Kadern der kommunistischen Partei, sich getreu alter Ideale wieder dem einfachen Leben der Bevölkerung anzunähern. Viele Beobachter vermuten hinter der Kampagne einen Machtkampf. Xi Jinping – so die These – wolle politische Gegner ausschalten und so seine Stellung festigen.
"Das ist ein äußerst hitziger politischer Kampf", meint auch Wu Qiang, Dozent für Politik an der Pekinger Qinghua-Universität. Das zeige die Heftigkeit der von der Regierung eingesetzten Maßnahmen. Auch MERICS-Expertin Shi-Kupfer sieht Anzeichen für politische Machtkämpfe. Allerdings richten sich die Maßnahmen ihrer Einschätzung nach nicht klar erkennbar gegen ein bestimmtes programmatisches Lager oder ein bestimmtes personelles Netzwerk. Die Kampagnen wirkten auf sie nicht zielgerichtet. "Insgesamt ist das ein sehr intransparentes Verfahren, das von außen betrachtet keinen nachvollziehbaren Regeln folgt", so China-Wissenschaftlerin Shi-Kupfer von MERICS.
Machterhalt der Partei
Aber abgesehen von möglichen Machtkämpfen innerhalb der Partei: Der Kampf gegen die Korruption ist für den Machterhalt der KPCh als Ganzes essentiell. Denn China steht vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen: Das starke Wirtschaftswachstum, das in den vergangenen Jahren für Unterstützung in der Bevölkerung sorgte, ist gefährdet – etwa durch explodierende Kreditvergaben, eine Blase auf dem Immobiliensektor und wachsende Schulden bei Firmen und Regionalregierungen. Hinzu kommen weitere Risiken wie die wachsende soziale Ungleichheit und die gravierenden Umweltschäden. In dieser Situation wolle die kommunistische Partei ein Signal an die Bevölkerung senden, dass man ihre Sorgen – wie etwa Geldverschwendung – ernst nehme und daran arbeite, erklärt Shi-Kupfer. "Die Partei möchte sich ganz klar als Hüter der Moral inszenieren."
Doch ob die derzeitigen Anti-Korruptions-Maßnahmen der chinesischen Regierung tatsächlich zum Erfolg führen – daran gibt es große Zweifel. "Das Grundproblem der Korruption in China ist, dass die staatliche Gewalt nicht eingeschränkt wird", meint Wu Qiang. "Die staatlichen Ressourcen und die politische Macht werden von einer kleinen Zahl von Menschen monopolisiert.“ Ähnlich sieht das auch Kristin Shi-Kupfer. Die Maßnahmen der chinesischen Regierung würden das Korruptionsproblem nicht grundlegend lösen. "Dazu bräuchte es zum einen eine unabhängige Presse und zum zweiten eine unabhängige Justiz, die die Korruptionsfälle von Anfang an transparent und unabhängig verfolgen kann."
Korruption – mit oder ohne Mondkuchen – dürfte es demnach trotz heftiger Kampagnen auf absehbare Zeit wohl weiter geben.