In Deutschland ist fast jede dritte Tierart bedroht. Ein Grund: Wiesen werden mit Mais als Rohstoff für Biogas bepflanzt. Unsicherheiten gibt es noch über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Artensterben.
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Am Mittwoch (26.03.2014) stellte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) in Berlin die bisher umfassendste Bestandsaufnahme zur Artenvielfalt in Deutschland vor. Das Ergebnis ist zweideutig: Einerseits geht es bestimmten Arten - wie dem Seeadler oder den Wildkatzen - besser und auch Deutschlands Flüsse und Seen sind heute viel sauberer als noch vor einigen Jahrzehnten. Andererseits gelten noch immer viele Arten als massiv bedroht.
Dieses Paradoxon lässt sich aber einfach erklären: Schutzmaßnahmen in bestimmten Naturschutzgebieten und Nationalparks zeigen ebenso ihre nachhaltige Wirkung wie die rigorose Umsetzung von Gesetzen zur Reinhaltung des Wassers.
Monokulturen lassen keinen Raum zum Leben
Gleichzeitig leiden andere Arten, die auf bewirtschafteten Flächen oder in siedlungsnahen Räumen leben, immer mehr unter Monokulturen, Straßenbau und der Absenkung des Grundwasserspiegels durch Baumaßnahmen. Besonders Insekten und Vögel seien davon betroffen, zum Beispiel der Kiebitz oder die Uferschnepfe.
"Viele Arten wie Schmetterlinge oder Bienen leiden darunter, dass blütenreiche Wiesen in Maisäcker umgewandelt werden", sagte Hendricks. Mais wird in Deutschland vor allem als Rohstoff für Biogasanlagen eingesetzt. Der Anbau hat sich deshalb seit der Energiewende deutlich gesteigert. Auch als Futtermittel für Nutztiere dient die Pflanze.
Hendricks forderte deshalb, Weiden und Wiesen vor einer Umwandlung in Äcker zu schützen. Auch der Trend zum Anbau von immer mehr Energiepflanzen müsse gestoppt werden. "Bereits heute wachsen auf mehr als 17 Prozent der deutschen Ackerflächen Energiepflanzen - das reicht."
Bedrohte Natur in Deutschland
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat die bisher umfassendste Bestandsaufnahme zu Tierarten und Lebensräumen in Deutschland vorgestellt. Fast ein Drittel ist bedroht.
Bild: Cc-by-Marek Szczepanek-sa-3.0
Lebensraum in Gefahr
Rund 48.000 Tier- und 24.000 Pflanzen- und Pilzarten gibt es derzeit in Deutschland. Dass sich knapp ein Drittel davon in einem besorgniserregenden Zustand befindet, zeigt nun eine Analyse des Bundesumweltministeriums. In fast 12.000 Stichproben hat das Ministerium Fauna und Flora von den Bergen bis zur Küste analysiert - mit teils ernüchternden Ergebnissen.
Bild: imago/blickwinkel
Sumpfohreule
Die Erhebung geht unter anderem auf eine EU-Richtlinie zum Vogelschutz zurück. Mehr als 270 Arten gibt es in Deutschland. Schätzungen zufolge gehen die Bestände bei einem Drittel der Brutvögel zurück. Besonders schlecht sieht es für die Sumpfohreule aus. Sie ist in Deutschland vom Aussterben bedroht und steht auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.
Bild: picture-alliance/dpa
Apollofalter
Besonders kritisch ist die Situation für Lebewesen in Süßgewässern und Mooren. Dort leben viele Schmetterlinge, wie der Apollofalter. Auch er steht auf der Roten Liste, die die International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) herausgibt. In Deutschland gilt das "Tier des Jahres 1995" als vom Aussterben bedroht.
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Rotbauchunke
Die gefährdete Kröte lebt ebenfalls in Mooren und Feuchtgebieten. Die Rotbauchunke, zu erkennen an ihrem rot gefärbten Bauch, kommt hierzulande fast nur noch in den Bundesländern Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern vor. Gefährdet ist sie vor allem durch Entwässerungen großer Flächen, Flussbegradigungen und Deichbau. Die Rotbauchunke steht auf der Roten Liste.
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Feldhamster
Der Feldbewohner leidet besonders unter dem Einfluss der Menschen. Sein natürliches Verbreitungsgebiet geht durch industrielle Feldbewirtschaftung immer weiter zurück. Noch bis 1980 war er in Teilen der damaligen DDR so häufig, dass Prämien auf gefangene Tiere ausgesetzt wurden. Heute gehört der Feldhamster zu den geschützten Arten und wird in speziellen Programmen gezüchtet und ausgewildert.
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Kleine Hufeisennase
Auch die kleinste Fledermausart Europas steht auf der Roten Liste. Sie kam in Deutschland einst häufig vor, seit Mitte des 20. Jahrhunderts gehen ihre Bestände aber drastisch zurück. 2007 sorgte das Tier für einen dreimonatigen Baustopp der Waldschlößchenbrücke in Dresden. Heute dürfen Autos dort während der Flugzeit der Fledermäuse höchstens mit 30 Kilometern pro Stunde fahren.
Bild: picture-alliance/dpa
Einsatz von Pflanzenschutzmitteln
Doch warum sind so viele Arten vom Aussterben bedroht? Große Gefahren sind dem Bericht zufolge der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft und die Überdüngung der Böden und Gewässer. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert deshalb eine Nachbesserung bei der Düngerverordnung und eine Verringerung des Pestizideinsatzes.
Bild: picture-alliance/dpa
Flächenverbrauch führt zu Problemen
Generell sorgen eine intensive Landwirtschaft und der damit verbundene hohe Flächenverbrauch für große Probleme. Zum einen verlieren viele Tiere dadurch ihren natürlichen Lebensraum. Zum anderen zerschneiden neue Siedlungen, industrielle Landwirtschaftsflächen und Verkehrswege Lebensräume wie Wälder, Wiesen und Felder.
Bild: AP
Buchenwälder als Lebensraum
Es gibt auch Positives zu berichten: Buchenwälder, wie der Hainich im Nordwesten Thüringens, der zum Teil ein Weltnaturerbe ist, sind wichtige Lebensräume für Wildtiere wie Wolf, Biber und Luchs. Vielerorts bewertet die Erhebung des Umweltministeriums den Zustand der Buchenwälder in Deutschland als gut. Das ist mit ein Grund dafür, dass sich manche Wildtiere dort in ihren Beständen erholen.
Bild: DW/C. Hoffmann
Luchs
Auch die größte Raubkatze Europas steht für positive Entwicklungen. Vor 150 Jahren war sie in Deutschland ausgerottet. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es nach Wiederbesiedlungsmaßnahmen wieder einige der Tiere in Deutschland. Im Harz und im Bayerischen Wald sind es rund 40. Offiziell gilt die Art nicht als vom Aussterben bedroht, noch ist der Luchs aber nicht gerettet.
Bild: DW
Kegelrobbe
Ihr geht es noch besser als dem Luchs. In der Ostsee wurde sie einst beinahe ausgerottet, da die Fischer sie als direkte Konkurrenz ansahen. Zu Beginn der Achtzigerjahre war ihr Bestand im gesamten Binnenmeer von rund 100.000 auf 2500 geschrumpft. Mittlerweile hat sich der Bestand auf mehr als 24.000 Tiere erholt. Auch an der Küste trifft man nun wieder auf größere Gruppen der Robben.
Andere Gefahren für Zugvögel seien auch die Jagd, vor allem in Südeuropa und Nordafrika, oder andere Hindernisse im Luftraum, etwa Freileitungen und Funktürme. Auch die Überweidung, Trockenlegung von Feuchtgebieten und die "komplexen Auswirkungen des Klimawandels" bedrohten die Artenvielfalt, heißt es in dem Bericht.
Differenzen um die Bedeutung des Klimawandels
Zahlreiche Forscher gingen bisher davon aus, dass viele Arten sich nur schwer an kurzfristige Veränderungen des Klimas anpassen können und daher durch den Klimawandel massiv bedroht seien. Für diese These gibt es allerdings noch wissenschaftliche Unsicherheiten. So beruft sich das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in seiner Ausgabe vom 24. März auf dem zweiten Teil des neuen Sachstandsberichtes des Weltklimarates IPCC.
Der Spiegel berichtet, dass der Weltklimarat von seiner zuvor nachdrücklich vertretenen These Abstand nehme, der Klimawandel bedrohe die Artenvielfalt. So gebe es zwar ein "Aussterberisiko für einen substanziellen Teil der Spezies im 21. Jahrhundert und darüber hinaus", aber es gebe bislang keinen Beweis, dass der Klimawandel auch nur zum Aussterben einer einzigen Art geführt habe. Ferner spreche der Bericht von "offenkundigen wissenschaftlichen Unsicherheiten."
Allenfalls beim Verschwinden einiger Lurche, Süßwasserfische und Weichtiere könnte der Klimawandel möglicherweise eine Rolle gespielt haben. Der Spiegel beruft sich auch auf den Rostocker Zoologen Ragnar Kinzelbach, der davor warnt, dass Artensterben kritiklos dem Klimawandel anzulasten. Hauptgründe für die Bedrohung der Arten seien Monokulturen, Überdüngung und Bodenzerstörung.
Von der Deutschen Welle auf den Spiegel-Artikel angesprochen, erklärte Bundesumweltministerin Hendricks am Freitag (28. März 2013) nach einem Treffen der deutschsprachigen Umweltminister auf dem Petersberg bei Bonn, dass ihr und ihren Kollegen der Sachstandsbericht des IPCC noch nicht vorliege, räumte aber ein, dass es unter den Autoren widerstreitende Meinungen gebe.
"Man kann lesen, dass es offenbar Streit zwischen zwei Schulen innerhalb des Komitees gibt", sagte Hendricks. "Welches Ergebnis dann dort gefunden werden wird, weiß ich noch nicht. Ich bin aber sehr sicher, dass wir weiterhin daran arbeiten werden, den Klimawandel auf maximal zwei Grad Erderwärmung zu begrenzen. Von dem Ziel werden wir uns sicherlich nicht verabschieden."