Montenegriner demonstrieren für Verfassung
9. November 2022Mehrere Tausend Menschen haben in Montenegros Hauptstadt Podgorica für die Respektierung der Verfassung und Neuwahlen demonstriert. Die Teilnehmer trugen Transparente mit Aufschriften wie "Wir sind für Montenegro! Für die EU!". Die Menge schwenkte montenegrinische Fahnen und skandierte "Verrat! Verrat!" und "Dies ist nicht Serbien". Zu der Kundgebung vor dem Parlamentsgebäude hatten Zivilorganisationen aufgerufen. Montenegro verhandelt seit 2012 mit der EU über eine Mitgliedschaft.
Zuletzt hatte eine hauchdünne Mehrheit im Parlament unter Führung der pro-serbischen Abgeordneten die Vollmachten des pro-westlichen Staatspräsidenten Milo Djukanovic mit einer Novellierung des Präsidentschaftsgesetzes eingeschränkt. Kritiker und Experten halten den Schritt für verfassungswidrig, weil die Kompetenzen des Präsidenten in der Verfassung geregelt sind. Eine einfache Parlamentsmehrheit könne dies nicht ändern, hieß es. Die Opposition, die Djukanovic unterstützt, sprach von einem "schleichenden Putsch".
Das geänderte Gesetz soll Djukanivic dazu zwingen, einen neuen pro-serbischen Regierungschef zu ernennen. Der Präsident hatte dies im September abgelehnt, weil ihm die Koalitionsparteien damals nicht die Unterschriften von mindestens 41 Abgeordneten vorgelegt hatten. Die gegenwärtige pro-serbische Regierung von Ministerpräsident Dritan Abazovic ist nur noch geschäftsführend im Amt, nachdem ihr das Parlament im August das Vertrauen entzogen hatte. Das pro-westliche Lager besteht seither auf Neuwahlen.
Verfassungsgericht ist nicht handlungsfähig
Djukanovic schickte das am 1. November beschlossene Gesetz an die Abgeordneten zurück, müsste es aber unterzeichnen, selbst wenn die Volksvertretung es in zweiter Lesung unverändert annimmt. Das Verfassungsgericht, das über die Legitimität des Gesetzes befinden könnte, ist wegen der bislang ausgebliebenen Nachbesetzung von Richtern beschlussunfähig.
In dem kleinen Balkanstaat an der Adria mit seinen nur 625.000 Einwohnern gibt es einen erbitterten Machtkampf zwischen dem pro-westlichen Lager um den Präsidenten und einem pro-serbischen Block, der von der Regierung in Belgrad und der serbisch-orthodoxen Kirche unterstützt wird. Dieser Block will das NATO-Land Montenegro, das seit 2006 unabhängig ist, unter den Einfluss der Regierung in Serbien bringen und enger an Russland binden.
Ein EU-Sprecher rief in Brüssel beide Seiten dazu auf, sich auf die Wahl neuer Verfassungsrichter zu einigen. Hierfür ist allerdings ein Konsens zwischen den rivalisierenden politischen Blöcken nötig.
se/AR (dpa, ap, rtr)