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Politik

"Montenegro bleibt multi-ethnisch"

18. September 2020

Ende August hat das Oppositionsbündnis "Für die Zukunft Montenegros" die Wahlen in der ex-jugoslawischen Republik gewonnen. Spitzenkandidat Zdravko Krivokapic spricht im DW-Interview über sein Regierungsprogramm.

Montenegro Podgorica Zdravko Krivokapić
Zdravko Krivokapic, Spitzenkandidat des Oppositionsbündnisse "Für die Zukunft Montenegros", nach dessen WahlsiegBild: Filip Filipovic/Getty Images

DW: Herr Krivokapic (landessprachlich Krivokapić, Anm. d. Red.), Sie könnten der nächste Regierungschef Montenegros werden. Das freut einige in ihrem Land, andere sorgen sich. Gibt es Anlass zur Sorge?

Zdravko Krivokapic: Ich denke, dieser Spin kommt aus Kreisen, die meinen, dass der einzige Mensch, der Stabilität in Montenegro garantiert und von der Mehrheit der internationalen Gemeinschaft anerkannt wird, Herr Djukanovic (Đukanović, Djukanović) ist.

Milo Djukanovic ist weiterhin Präsident Montenegros. Er hat sich während der Balkankriege der 1990er Jahre vom serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic (Milošević) distanziert und Montenegro später in die Unabhängigkeit von Serbien geführt. Er unterstützt die EU-Sanktionen gegen Russland, hat die früher innerhalb Jugoslawiens autonome Region Kosovo als souveränen Staat anerkannt und Montenegro in die NATO geführt. Wie wollen Sie Brüssel und Washington davon überzeugen, dass Ihre Regierung diesen außenpolitischen Kurs nicht ändern will? Viele Ihrer Unterstützer lehnen ihn ab, vor allem die pro-serbischen und pro-russischen Parteien in Ihrem Büdnis.

Wir haben eine Übereinkunft veröffentlicht, die unseren pro-westlichen Kurs garantiert. Wenn Sie die Möglichkeit haben, entweder durch eine offene Tür zu gehen oder aus dem Fenster zu springen oder gegen eine Wand zu laufen, werden sie die erste wählen. Das heißt, wenn ein Abkommen mit der NATO unterschrieben wurde, dann sind wir bereit, alles zu akzeptieren, was abgesprochen wurde und im Interesse des großen atlantischen Bündnisses liegt.

Gilt das auch für die Unabhängigkeit Kosovos, die Djukanovic anerkannt hat?

So lange die neue Regierung noch in den Kinderschuhen steckt, werden wir uns einzig um die internen Probleme Montenegros kümmern.

Viele Medien auf dem Westbalkan meinen, der eigentliche Gewinner der Wahlen in Montenegro sei der serbisch-orthodoxe Erzbischof Amfilohije Radovic (Radović). Der hatte in den frühen 1990ern montenegrinische Reservisten dazu ermuntert, die kroatische Stadt Dubrovnik anzugreifen. In den vergangenen Jahren führte er eine Kampagne gegen die Anerkennung Kosovos. Wie ist Ihr Verhältnis zu Amfilohije?

Sie sollten den Erzbischof interviewen. Dann würden Sie selbst sehen, was für ein breites Wissen er über Philosophie, Poesie und Literatur hat. Ich denke, dass Amfilohije einer der gebildetsten Montenegriner ist. Was die 1990er Jahre angeht: Da müsste man schon so korrekt sein, auch anzuführen, dass Herr Djukanovic damals ganz ähnliche Positionen vertreten hat. Trotzdem sieht man in ihm heute einen Garanten für Stabilität.

Amfilohije Radovic, der serbisch-orthodoxe Erzbischof von Montenegro Bild: picture-alliance/AA/M. Vujovic

Djukanovics Anhänger behaupten, die serbisch-orthodoxe Kirche erkenne die montenegrinische Identität und den Staat Montenegro nicht an. Wie sehen Sie das?

Es stimmt absolut, dass die Serben, die in Montenegro leben, weder vom Himmel gefallen noch von irgendwoher eingewandert sind. Meine Familie etwa lebt seit über 500 Jahren hier. Genauso negativ empfinde ich es, wenn jemand sagt, das Mutterland der Serben sei Serbien. Früher galt ein einfaches Prinzip: In Serbien leben Bürger Serbiens, in Montenegro Bürger Montenegros und so weiter. Und vielleicht teilen sie auch eine gemeinsame Herkunft. Wenn die nationale Identität das Maß für einen Staat ist, dann muss man sich fragen, ob dieser Staat überhaupt ein Staat seiner Bürger sein kann.

Die muslimisch-bosniakische (bošnjakische) Minderheit in Montenegro weigert sich, mit Ihnen zusammen zu arbeiten und appelliert an Ihren politischen Partner Dritan Abazovic (Abazović, Abazoviq; d. Red.), den albanisch-stämmigen Anführer der liberal-grünen Koalition "Schwarz auf weiß", keine Regierung mit Ihnen zu bilden. Wie wollen Sie das Vertrauen Ihrer Kritiker gewinnen?

Dritan Abazovic /li.), Zdravko Krivokapic und Aleksa Becic, die Führer des montenegrinischen OppositionsbündnissesBild: Getty Images/AFP/S. Prelevic

Ich habe ihnen bei meinem ersten Auftritt nach unserem Wahlsieg gesagt, dass unsere Hand für alle ausgestreckt ist und wir Montenegro nicht ohne ihre Mitarbeit aufbauen können. Ich meine, dass es Aufgabe der Bosniaken und Albaner und aller anderer nationaler Minderheiten in Montenegro ist, Montenegro aufzubauen. Denn unser Land muss bleiben, was es ist: multi-kulturell, multi-ethnisch, multi-religiös.

In Serbien und in der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina wurde Ihr Wahlsieg gefeiert. Wie empfinden Sie das?

Alles, was auf dem Westbalkan passiert, hat zwei Seiten: Eine ist die Euphorie über unseren Sieg in Serbien und in der Republika Srpska Republik. Die andere, die mich etwas besorgt, ist, dass unser Erfolg in der muslimisch-kroatischen Föderation Bosnien und Herzegowina als große Gefahr erlebt wird, dass es wieder zu einem Aufflammen derjenigen nationalen Gefühle kommen könnte, deren Zeugen ich und meine Generation in den 1990er Jahren werden mussten. Ich habe nur eine Botschaft: dass hier in Montenegro Demokratie und Freiheit passieren. Wenn jemand davor Angst hat, dann liegt das an irgendwelchen anderen Problemen.

Wähler in einem Wahllokal in Montenegros Hauptstadt Podgorica am 30. August 2020 Bild: Reuters/S. Vasiljevic

Haben deutsche Diplomaten oder Politiker Kontakt zu Ihnen aufgenommen?

Ich hatte ein inoffizielles Gespräch in der deutschen Botschaft. Es war offen und korrekt. Das war vor zehn Tagen und gab mir die Hoffnung, dass sich die Dinge anders entwickeln könnten, als das im ersten Moment aussah. Wir hatten damals die Sorge, dass wir nicht die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft erhalten würden bei dem Umbau Montenegros, der unumgänglich ist und für uns alle dringend notwendig.

Vor kurzem haben Sie gesagt, dass Montenegro ein Land der Wunder sei, wo alles möglich ist. Haben Sie Angst, dass sich der Westen für den Fall, dass Ihre Regierung einen Schritt in die falsche Richtung macht, erneut auf Djukanovics Seite schlagen könnte?

Ich will mich nicht mit Spekulationen und Hypothesen befassen. Ich weiß, dass die Regierung, die wir bilden werden, fleißig und engagiert unseren Verpflichtungen nachkommen wird, insbesondere denen, die mit internationalen Vereinbarungen und Verträgen zusammenhängen. Eine potenzielle Gefahr, die immer besteht, ist, dass die unüberlegte Geste eines Politikers dazu führt, dass der Westen besonders genau hinschaut. Etwas, was ich nicht verstehen kann, ist, warum Herr Djukanovic dem Westen so wichtig ist. Wenn Sie irgendwelchen Kreisen etwas schulden, dann haben Sie auch Verpflichtungen gegenüber denen. Ich schulde niemandem etwas, ich habe keine Mentoren in Belgrad oder Russland, und mein Mentor ist auch nicht Metropolit Amfilohije.