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Politik

Montenegro: Journalisten unter Beschuss

10. Mai 2018

In Montenegro wurde die Journalistin Olivera Lakić angeschossen. Unabhängige Medien und die Opposition beschuldigen Präsident Djukanović, dem Angriff den Boden bereitet zu haben. Aus Belgrad Dragoslav Dedović.

Montenegro Olivera Lakić, angeschossene Journalistin
Bild: Reuters/S. Vasiljevic

Regierungsnahe Medien hatten lakonisch gemeldet, eine Person namens "O. L." sei unter ungeklärten Umständen durch eine Feuerwaffe verletzt worden. Fakt ist: In der Nähe ihrer Wohnung in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica war die Journalistin Olivera Lakić, Mitarbeiterin der unabhängigen Zeitung "Vijesti", am rechten Unterschenkel angeschossen worden. Die fehlende Empathie dafür kam wenig überraschend, denn Staatspräsident Milo Djukanović hatte "Vijesti" vor einem Monat beschuldigt, "faschistische Ideen" zu vertreten.

Angriffe folgen einem Muster

"Vijesti"-Gründer und Mitbesitzer Željko Ivanović sagte gegenüber der DW, der wahre Grund für solche Beschimpfungen seien ihre Recherchen zu Korruption und organisierter Kriminalität. Es habe bisher 25 Angriffe auf Mitarbeiter und auf Eigentum der Zeitung gegeben - und zwar nach einem klaren Muster: Zuerst beschimpfe Djukanović das Blatt, dann kämen die Angriffe.

In der Nähe ihrer Wohnung angeschossen: die regierungskritische Journalistin Olivera Lakić von der Zeitung "Vijesti"Bild: picture-alliance/AP Photo

"Solange Djukanović der Herr und Kaiser bleibt", so Ivanović, "wird die Zeitung als eines der glaubwürdigsten Medien in Montenegro und in der Region unter dem Terror leiden. Denn alle kriminellen Gruppen, über die wir schreiben und die solche Angriffe organisieren, bleiben geschützt und unantastbar."

Olivera Lakić wurde am gleichen Ort bereits vor sechs Jahren von einem Mann so massiv angegriffen, dass sie im Krankenhaus behandelt werden musste - vermutlich wegen ihrer Recherche zu Kriminalität in der Tabakindustrie in Montenegro. Der Täter wurde verhaftet und verurteilt - seine Auftraggeber blieben jedoch unsichtbar. Und die Drohungen gegen die Journalistin hörten nicht auf. Sie zog sich vorübergehend aus der Redaktion zurück und stand 31 Monate unter Polizeischutz.

Leben unter Polizeischutz

Solch ein Leben ist alles andere als normal. Davon kann der investigative montenegrinische Journalist Tufik Softić ein Lied singen. Im Jahre 2007 wurde er von zwei vermummten Personen vor seinem Haus in der Stadt Berani im Norden des Landes brutal verprügelt. Vorher schrieb er für die Zeitung "Vijesti" und für die regierungskritische Wochenzeitung "Monitor" über Drogenhandel und Verbindungen zwischen der Unterwelt und der Politelite. Die Angreifer wurden im Zwergstaat Montenegro nie gefasst. 2013 explodierte vor Softićs Haus ein Sprengsatz. Daraufhin bekam er Polizeischutz. Auch dieser Vorfall wurde nie aufgeklärt.

"Stoppt Gewalt" und "Für ein Leben ohne Angst" fordern Demonstranten nach den Schüssen auf Olivera LakićBild: picture-alliance/AP Photo/R. Bozovic

Von dem Angriff auf seine Kollegin Olivera Lakić erfuhr Tufik Softić, während er zu einer OSZE-Konferenz über Medienfreiheit in Mazedonien unterwegs war. Gegenüber der DW betonte er, dass es in fast drei Jahrzehnten, in denen Milo Djukanović der mächtigste Mann in Montenegro ist, zahlreiche Angriffe auf Journalisten gab. Kein einziger Überfall wurde konsequent aufgeklärt, insbesondere nicht diejenigen, die einen politischen oder kriminellen Hintergrund haben könnten.

"In Montenegro sind die Mafia und der Staat zusammengewachsen und die Grenze zwischen ihnen ist nicht mehr eindeutig. Die Politiker wenden sich oft gegen kritische Medien. Ein Beispiel ist Djukanovićs Behauptung, die Zeitung 'Vijesti' sei faschistisch. Das stiftet Kriminelle an, ihre Attacken ungestraft zu wiederholen. Wie sollen wir - Olivera und ich - uns in Montenegro sicher fühlen?"

Auf der Rangliste der Pressefreiheit, die Reporter ohne Grenzen jüngst veröffentlichte, hat Montenegro die Position 103 von 180 Staaten - das scheint die Einschätzung von Tufik Softić zu bestätigen.

Der reiche Mann und seine Tontauben

Das Magazin "Forbes" hat Milo Djukanović mehrmals als einen der reichsten Politiker Europas vorgestellt. Sein Bruder Aco, seine Schwester Ana Kolarević und er besitzen zusammen schätzungsweise 136 Millionen Euro - ein stolzes Familienvermögen in einem armen Adriastaat mit einer halben Million Bewohner.

Einer der reichsten Politiker Europas: Montenegros Präsident Milo DjukanovićBild: picture-alliance/AP Photo/R. Bozovic

Djukanović, der in der Vergangenheit immer wieder mit internationalem Zigarettenschmuggel im großen Stil in Verbindung gebracht wurde, ist zugleich der politische Garant der Westbindung Montenegros. Die staatliche Unabhängigkeit, die jüngst erlangte NATO-Mitgliedschaft sowie die EU-Anwartschaft sind sein Lebenswerk. Seine Kritiker behaupten, dass der Westen seine Werte im Namen des geopolitischen Kalküls opfert.

Somit sei die EU an Angriffen gegen Journalisten mitschuldig - wegen unterlassener Hilfeleistung, sagt Željko Ivanović. Er glaubt, dass die Zeit der Straflosigkeit irgendwann auch in Montenegro vorbei sein werde. Bis dahin müssten er und seine Kolleginnen und Kollegen ausharren. Und sie müssten die zynische Nichteinmischung der EU aushalten, etwa wenn die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini Präsident Djukanović in Brüssel empfinge und ihn "für seine europäischen Werte und Bestrebungen, für den Fortschritt Montenegros in der EU-Annäherung" lobe. "Solange die EU in Brüssel ihre Reaktionen auf die Hoffnung reduziert, dass 'zuständige Behörden die Urheber und Täter finden mögen' und ihre Anteilnahme ausdrücken", kritisiert Ivanović, "so lange bleiben unabhängige Medien und Journalisten in Montenegro Tontauben - sie sind legitime Zielscheiben."

Die DW arbeitet mit der Zeitung "Vijesti" seit 2016 zusammen. Unser Autor Dragoslav Dedović schreibt eine wöchentliche Kolumne, die in beiden Medien gleichzeitig veröffentlicht wird.

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