Späte Anklage wegen Kriegsverbrechen
22. Januar 2009Die Staatsanwaltschaft in Podgorica hat Anklage gegen ehemalige Spitzenbeamte des montenegrinischen Innenministeriums, der Geheimpolizei und der regulären Polizei wegen Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung erhoben. In der Anklageschrift heißt es, die Beschuldigten hätten im Mai 1992 während des Bosnien-Krieges gegen die Genfer Konventionen verstoßen. Sie hätten die Zwangsrückführung muslimischer Staatsbürger aus Bosnien und Herzegowina veranlasst, die damals als Flüchtlinge Zuflucht in Montenegro gesucht hatten. Diese Menschen seien illegal von montenegrinischen Sicherheitskräften verhaftet und an Kräfte des bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic ausgeliefert worden. Nach Angaben der Angehörigen der Deportierten sollen damals insgesamt 160 Personen verhaftet worden sein. Auf bosnischem Territorium seien dann 83 Menschen von bosnischen Serben ermordet worden.
Angeklagte weisen Vorwürfe zurück
Die Staatsanwaltschaft hat U-Haft für die Angeklagten bis zum Prozessbeginn beantragt. Die Angeklagten haben die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. Ihre Verteidiger sagten, das Verfahren sei nur aufgrund des Drucks der internationalen Gemeinschaft zustande gekommen.
Einer der Hauptangeklagten in diesem Prozess ist der ehemalige Chef der montenegrinischen Geheimpolizei, Bosko Bojovic. Er lebt heute in Belgrad und hat die serbische Staatsbürgerschaft. Nur einer der Angeklagten ist noch aktiver Polizeibeamter in Montenegro. Es ist Sreten Glendzi, der 1992 Leiter der Sicherheitsabteilung in Ulcinj war und heute Chef der Kriminalpolizei in dieser Stadt ist.
Frage nach der politischen Verantwortung
Die Anklageerhebung bezeichnete die Bosniakische Partei als „verspäteten, aber positiven Schritt Montenegros zur Vergangenheitsbewältigung“. Der montenegrinische Menschenrechtler Aleksandar Zekovic sagte, die Anklage sei ein Beleg dafür, dass der Rechtsstaat in Montenegro zu funktionieren beginne. Es sei wichtig, dass die mutmaßlichen Täter zur Verantwortung gezogen würden. Es stelle sich aber auch die Frage nach der politischen Verantwortung. Montenegros heutiger Ministerpräsident Milo Djukanovic habe auch damals schon dieses Amt bekleidet, sagte Zekovic. Im Rahmen der Ermittlungen in diesem Fall hatte Djukanovic erklärt, er habe nichts von den Deportationen gewusst. Diese Aussage müsse nun auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden, forderte Zekovic.
Zivilrechtlich haben Opfer und Hinterbliebene sich bereits in einem außergerichtlichen Vergleich mit der montenegrinischen Regierung auf Zahlung einer Entschädigung geeinigt.
Mustafa Canka