Moralischer Handlungsdruck auf Obama
2. März 2014Unklar ist, wer zum Hörer griff. Doch sie sprachen ungewöhnlich lange miteinander: eineinhalb Stunden. Der Kern der Botschaft von US-Präsident Barack Obama an den russischen Präsidenten Wladimir Putin war dagegen kurz: Die USA verurteilen Russlands Militärintervention auf ukrainischem Territorium aufs Schärfste. Putin müsse alle russischen Soldaten auf ihre Militärbasen auf der Krim zurückbeordern. Ansonsten drohte Obama Russland mit einer "politischen und wirtschaftlichen Isolierung".
Einen ersten Schritt in diese Richtung gab das Weiße Haus dann kurz nach dem Telefonat bekannt: Washington beteiligt sich nicht länger an der Vorbereitung des G8-Treffens im russischen Sotschi im Juni. Auch Kanadas Premierminister Stephen Harper schloss sich diesem Schritt an. Er rief zudem seinen Botschafter in Moskau vorläufig nach Ottawa zurück - zu Konsultationen, wie es hieß. Und das war nur der Anfang: Die sieben führenden Industrienationen zeigten sich einig in der Ablehnung des russischen Vorgehens.
Gemeinsame Lösung gewollt
US-Außenminister John Kerry hatte Russland am Sonntag bereits mit einem Ausschluss aus der G8-Gemeinschaft gedroht. Wenige Stunden später veröffentlichte das Weiße Haus eine gemeinsame Erklärung, die von den Agenturen als Eilmeldung verbreitet wurde: Alle sieben führenden Industrienationen stoppen die Vorbereitungen auf das Treffen mit Putin beim G8-Gipfel im Juni in Sotschi. Die russischen Handlungen verletzten auch die Prinzipien und Werte
der G7 und der G8-Staaten. Daher würden die Vorbereitungen auf den im Juni
geplanten Sotschi-Gipfel ausgesetzt, "bis es wieder ein Umfeld gibt,
in dem die G8 zu bedeutsamen Diskussionen in der Lage sind".
Außenminister Kerry hatte das im Interview mit dem Sender ABC so angedeutet: "Es ist ein Akt des 19. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert, der die Fähigkeit Russlands in Frage stellt, zu den G8 zu gehören." Ein militärisches Eingreifen stehe für die USA derzeit völlig außer Frage. Doch für Präsident Obama lägen alle Optionen auf dem Tisch.
So sei er bereit, notfalls Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Der Kongress sei angewiesen worden, entsprechende Vorbereitungen zu treffen. "Sie ziehen die Möglichkeit ernsthafter Maßnahmen mit Blick auf Handel, Investitionen, dem Einfrieren von Geldern, Visa-Sperren und weitere möglichen Aktionen der Weltgemeinschaft in Erwägung", erklärte Kerry, der immer wieder betonte: Washington würde gern gemeinsam mit Russland an der Lösung für die Ukraine arbeiten. Am Dienstag will Kerry Agenturberichten zufolge nach Kiew reisen.
Per Video-Konferenz beteiligt sich Kerry kontinuierlich an den Beratungen des Krisenstabs im Weißen Haus. Der Chef des US-Truppenkommandos Europa, General Philip Breedlove wurde angewiesen, sämtliche Satellitenbilder und Geheimdiensterkenntnisse über mögliche Truppenbewegungen auf der Krim umgehend nach Washington zu leiten. Dort werde auf keinen Fall ein amerikanischer Alleingang geplant, erklärte Verteidigungsminister Chuck Hagel im Fernsehsender CBS News.
Es sei klar, dass die USA ihr weiteres Vorgehen mit ihren Alliierten in Europa abstimmen. "Ich kann mir nicht vorstellen, was wir an diesem Punkt alleine unternehmen sollten", so Hagel. Die Situation sei beängstigend, "denn wir sprechen von einem Russland - das zwar sicherlich nicht das ist, was es einmal war - doch ein Ort, an dem Putin eine Wiederkehr des Nationalismus anstrebt." Dauerten die Provokationen an, könne das sehr gefährlich werden. "Wir haben viele Optionen - genau wie andere Länder", sagte Hagel. "Wir setzen auf diplomatische Verhandlungen. Das ist der angemessene und verantwortungsvolle Weg."
Zum Handeln verpflichtet?
Auch in den Vereinten Nationen macht Amerika Druck auf Russland und unterstützt die Mission von Generalsekretär Ban Ki Moon. Der wies in einer Stellungnahme jede Einmischung von Außen in die ukrainische Krise zurück.
Doch gerade dazu sind die USA - zumindest moralisch - verpflichtet, auf der Grundlage nämlich des so genannten Budapester Memorandums von 1994. Damals erklärte sich die Ukraine nach der Auflösung der Sowjetunion bereit, 1600 Atomsprengköpfe auszuliefern. Zwei Jahrzehnte lang befeuerten die Amerikaner mit dem Uran daraus ihre Atomkraftwerke. Im Gegenzug verpflichteten sich die USA, Großbritannien und Russland, die territoriale Integrität der Ukraine zu garantieren. Militärisch ist der Vertrag jedoch nicht bindend - so wie etwa der Bündnisfall-Artikel fünf des NATO-Vertrags.
Obama ist auf Moskau angewiesen
Die gegenwärtige Situation mute wie ein Dejavu an, erklärte Pentagon-Berater Bob Maginnis und erinnerte an die Kubakrise oder die Ereignisse um die polnische Solidarnosc-Bewegung. "In solchen Zeiten muss es geheime Verhandlungen geben, wirtschaftliche Sanktionen können verhängt werden", erklärte Maginnis. "Aber lasst uns aufhören, über rote Linien und militärische Konfrontation zu reden."
Auch andere Militärexperten rieten davon ab, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen wie Präsident George W. Bush auf dem Höhepunkt des Konflikts zwischen Russland und Georgien 2008. Damals hatten die USA Kriegsschiffe in die Region geschickt.
Maginnis warnte vor derartigen Aktionen. "Selbst, wenn wir Truppen in benachbarte NATO-Staaten bewegen, könnte das Aktivitäten der unstabilen Regierung in Kiew provozieren. Wir wissen nicht, ob die Regierung die komplette Kontrolle über ihr Militär hat."
Darüber hinaus hält Putin noch zu viele Trümpfe in seiner Hand. Obama ist sowohl im Atomstreit mit dem Iran als auch in der Syrien-Krise auf Moskau angewiesen. Derzeit erweckt das Weiße Haus nach Meinung von Kritikern den Eindruck, als wisse es selber nicht, was auf die Phase der Nadelstiche und verbalen Drohungen tatsächlich folgen soll. Zahlreichen Republikanern im US-Kongress geht das bisher Angestoßene nicht weit genug. Auch der ehemalige UN-Botschafter John Bolton kritisierte: "Das Bild der amerikanischen Schwäche verbreitet sich um die ganze Welt. Ich denke, Putin hält alle Trümpfe in der Hand und alles, was Präsident Obama anzubieten hat, ist Rhetorik."