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GesellschaftTürkei

Mord an Kind in der Türkei: Das schweigende Dorf

Felat Bozarslan
24. September 2024

Die Türkei wird erschüttert von einem Mord an einer Achtjährigen in einem 500-Seelen-Dorf. Mehrere Tatverdächtige aus dem Umfeld der Familie wurden festgenommen. Doch die Ermittler stoßen auf eine Mauer des Schweigens.

Türkei | Demonstranten halten Porträts der achtjährigen Narin Guran
Der Mord an der achtjährigen Narin erschüttert die gesamte TürkeiBild: OZAN KOSE/AFP

Bis vor einem Monat kannte kaum jemand das Dorf Tavsantepe in der Nähe der Provinzhauptstadt Diyarbakir im Südosten der Türkei. Doch das änderte sich schlagartig, nachdem die achtjährige Narin Güran am 21. August verschwand und ihre Leiche 19 Tage später gefunden wurde. Der Fall erschütterte die gesamte Türkei und wirft ein Schlaglicht auf den kleinen Ort mit nur 550 Einwohnern. Mittlerweile wurden mehrere Menschen aus Narins direktem familiären Umfeld unter dringendem Tatverdacht verhaftet. Doch im Dorf herrscht Schweigen, niemand redet, niemand will etwas Verdächtiges gesehen oder gehört haben. Und das sorgt für Empörung im ganzen Land. 

Der Friedhof wird zur Pilgerstätte

Nur eine kleine Zugangsstraße führt nach Tavsantepe. Sie führt mitten durch dicht bewachsene Maisfelder, die vom nahegelegenen Fluss bewässert werden. Am Rande dieses Flusses wurde Narins Leiche gefunden - in einem Sack versteckt. Bevor die Straße die Dorfmitte erreicht, passiert sie den kleinen Friedhof des Ortes. Normalerweise ist das ein Ort der Stille. Doch mittlerweile besuchen täglich hunderte Menschen das Grab des getöteten Mädchens, das von Blumen, Kuscheltieren und selbst gemalten Bildern umgeben ist. Über Narins Grab weht eine türkische Flagge, zu deren Füßen wurde ein Olivenbaum gepflanzt.

Täglich besuchen Dutzende Menschen das Grab der achtjährigen NarinBild: Felat Bozarslan/DW

Auf dem Friedhof befinden sich Hunderte von Kränzen mit Beileidsbekundungen für die Achtjährige. Menschen kommen um zu beten, rezitieren Suren aus dem Koran oder bringen ihre Wut über das zum Ausdruck, was Narin angetan wurde. Wie in der gesamten Türkei wollen alle, die auf den Friedhof kommen, wissen, wer das Mädchen getötet hat und vor allem, warum Narin sterben musste.

Einer von ihnen ist Ahmet Aydın aus Diyarbakir: "Kann es sein, dass niemand im ganzen Dorf Bescheid weiß? Irgendjemand muss doch sein Schweigen brechen und erzählen, was geschehen ist. Diejenigen, die dieses unschuldige Kind getötet haben, sollten die härteste Strafe erhalten."

"Wir sind alle Verdächtige" 

In den wenigen Straßen des Dorfes stehen Einheiten der Gendarmerie, einer Art Polizeimiliz, und kontrollieren jeden, der vorbeikommt.  Einheimische sind jedoch auf der Straße nicht zu sehen; die Atmosphäre wirkt angespannt. Einige Bewohner sollen das Dorf nach dem Vorfall bereits verlassen haben.

Das Haus, in dem Narin wohnte, und der Bereich rund um die Scheune ist weitreichend abgesperrt. Die Spurensicherung ist noch immer nicht abgeschlossen. Die Ermittler vermuten, dass das Kind hier getötet wurde - möglicherweise stammt der Täter aus dem engsten Familienumfeld. Das Haus der Familie Güran ist derzeit unbewohnt, ihr Aufenthaltsort unbekannt. Einige sollen aber von Zeit zu Zeit kommen, um einige Habseligkeiten aus dem Haus zu holen. 

Das Haus von Narins Familie ist derzeit unbewohnt und wird von den Ermittlungsbehörden streng bewachtBild: Hozan Adar/DW

Bei einem Spaziergang durch das Dorf treffen wir einen alten Mann in einheimischer Kleidung. Unwillig antwortet er auf unsere Fragen, er will anonym bleiben. Der Mann sagt, Narins Familie werde Unrecht getan. Das ganze Dorf stehe nun unter Generalverdacht, deshalb seien alle sehr beunruhigt: "Wir sind alle Verdächtige. Wer etwas weiß, sollte dem Staat die Wahrheit sagen."

Mord im Auftrag des Familienrats?

Im Rahmen der Ermittlungen zum Mord an Narin wurden fast 300 Personen befragt. Mehr als ein Dutzend Personen wurde mittlerweile als dringend tatverdächtig festgenommen, darunter Narins Mutter, ihr Bruder, ihr Onkel und andere enge Verwandte. Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht Narins Onkel, der bis zu seiner Verhaftung auch als Dorfvorsteher fungiert hatte. In seinem Auto wurden DNA-Spuren des später ermordeten Mädchens gefunden. Den Ermittlungsbehörden zufolge war der Onkel entweder persönlich an Narins Ermordung oder zumindest an der Beseitigung ihrer Leiche beteiligt - ein Familienrat soll beschlossen haben, dass ihre sterblichen Überreste verscharrt werden sollten. 

Außerhalb des Friedhofes wirkt das Dorf wie ausgestorbenBild: Felat Bozarslan/DW

Die DW sprach mit einem Mitglied des Ermittlungsteams; ihm zufolge habe das gesamte Dorf gewusst, was mit Narin geschehen war. "Narin wurde im Zuge eines plötzlichen Vorfalls im Dorf, den wir noch nicht kennen, getötet. Der Familienrat traf sich anschließend und beschloss, alles unter Verschluss zu halten. Das ist der Grund für das Schweigen, mit dem wir konfrontiert sind."

Einer seiner Kollegen ergänzt: "Während wir noch nach der vermissten Narin suchten, wussten alle im Dorf bereits, dass sie getötet worden war. Die Familie hat es hartnäckig verheimlicht. Aber auch wir ahnten bereits, dass das kleine Mädchen ermordet wurde, bevor wir ihre Leiche fanden. Unsere Annahme wurde damals schon bestätigt, da sich die Frauen von Narins Familie vor dem Haus versammelten und in tiefer Trauer aus dem Koran rezitierten."  

Türkei: Wut nach dem Mord an der achtjährigen Narin

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Warum Narin sterben musste, ist weiterhin unbekannt. Die Ermittlungen dauern an. Bislang hat lediglich ein Freund von Narins Onkel zugegeben, die Leiche im Flussbett verscharrt zu haben. Niemand der anderen festgenommenen Personen hat sich bisher geäußert, die Verdächtigen bestreiten alle gegen sie erhobenen Vorwürfe.

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