Mordfall Lola: Frankreichs Rechte attackiert Macron
20. Oktober 2022Am vergangenen Freitag war die 12-jährige Lola auf grausame Weise ermordet im Hof ihres Wohnhauses aufgefunden worden. Ihr Vater hatte zuvor Alarm geschlagen, als sie nicht aus der Schule nach Hause kam. Schon kurz darauf konnte eine Tatverdächtige identifiziert und gefasst werden. Sie sitzt seit Montag, wie auch ein möglicher Helfershelfer, in Untersuchungshaft. Psychiatrische Gutachten sollen die Zurechnungsfähigkeit der Frau klären, die in der Vergangenheit unter psychischen Störungen gelitten haben soll.
Zemmours Rückkehr auf die politische Bühne
Um den Rechtsaußen der französischen Politik, Eric Zemmour, war es still geworden, nachdem seine Partei "Reconquête" bei der Parlamentswahl im Juni lediglich vier Prozent der Stimmen erreicht hatte. Seine "Rückeroberung" (von Frankreich für weiße Franzosen) wurde von Identitären, extrem Konservativen und abtrünnigen Le Pen-Anhängern, darunter deren Nichte Marion Maréchal, unterstützt. Aber seine maßlose Islam- und ausländerfeindliche Propaganda stieß viele Wähler eher ab. Mit großem Furor stürzt sich Zemmour jetzt auf den Fall Lola.
"Algerische Staatsangehörige und eine Illegale, jetzt ist es offiziell: Die Mörderin von Lola hätte dem Mädchen nie begegnen dürfen. Wieder einmal - #Francocide "
Bei der Tatverdächtigen Dahbia B. handelt es sich um eine 24-jährige Algerierin, die vor sechs Jahren legal mit einem Studentenvisum nach Frankreich gekommen war. Allerdings war die Aufenthaltsberechtigung abgelaufen, und als Dahbia B. Ende August am Flughafen kontrolliert wurde, erhielt sie eine Ausweisungsverfügung. Bis Ende September hätte die Algerierin Frankreich verlassen müssen, was sie jedoch wie Tausende andere Migranten nicht tat.
Das Innenministerium in Paris erklärte dazu inzwischen, dass seit Anfang des Jahres 20 Prozent der Ausweisungsbeschlüsse vollstreckt worden seien. Die Zahl der Altfälle kann nur geschätzt werden - die Rede ist von einigen Hunderttausend nicht vollstreckten Anordnungen. Von Regierungsseite heißt es, bisher habe man sich auf die Abschiebung straffällig gewordener Ausländer konzentriert und Dahbia B. war mit der Justiz nicht in Kontakt gekommen. Regierungssprecher Olivier Véran sagte am Mittwoch, man müsse bei den Abschiebungen "besser werden". "Wir arbeiten mit ganzer Kraft daran, dass die Ausweisungsverfügungen umgesetzt werden." Véran warnte aber auch vor einer Politisierung und Instrumentalisierung des Falles Lola.
Zemmour Gefolgsmann Samuel Lafont wiederum spricht seit Wochenbeginn auf Twitter von einer "Verschwörung des Schweigens" im Fall Lola und ruft zu einer Demonstration am Donnerstagabend in Paris auf. Man müsse gegen die "mörderische Unsicherheit" auf die Straße gehen.
Attacke in der Nationalversammlung
Am Dienstag hatte Präsident Macron die Eltern des toten Mädchens im Elysée-Palast empfangen und ihnen sein Beileid ausgesprochen. Sie haben sich seitdem in ihre bretonische Heimat zurückgezogen, um dem Pressetrubel zu entgehen.
Ebenfalls am Dienstag allerdings kam es zu heftigen Attacken von Rechts in der Nationalversammlung. "Zu viele Verbrechen werden von illegalen Immigranten begangen, die wir nicht wollten oder nicht nach Hause schicken konnten", behauptete Oppositionsführerin Marine Le Pen, die bei der Stichwahl um die Präsidentschaft im April gegen Macron fast 42 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte. "Einmal mehr, die Verdächtige dieser barbarischen Tat hätte nicht in Frankreich sein dürfen. Worauf wartet (die Regierung, d. Red.) um zu handeln und außer Kontrolle geratene illegale Immigration zu stoppen?"
Premierministerin Elisabeth Borne ermahnte Le Pen darauf, "etwas Anstand" zu zeigen und "den Schmerz der Familie und das Gedächtnis an Lola" zu achten. Aber auch die Konservativen, die mit dem Präsidentenlager von Fall zu Fall zusammenarbeiten, schalteten auf Angriff: "Dieses Kind wurde gefoltert, vergewaltigt und ermordet von einer illegalen Immigrantin, die Frankreich hätte verlassen müssen." Das Justizministerium sei verantwortlich für dieses Versagen und der Mord "die schlimme Konsequenz", behauptete der Abgeordnete Eric Pauget.
Justizminister Eric Dupond-Moretti beschuldigte daraufhin die rechte Opposition, sie suche kleinlichen politischen Vorteil und nutze "den Sarg eines 12-jährigen Mädchens wie ein Sprungbrett. Es ist eine Schande". Er attackierte auch Le Pens Partei (Rassemblement National, kurz RN): "Sie haben seit Jahren Honig gesaugt aus dem Rendezvous mit dem Unglück", donnerte Dupond-Moretti.
Interim-RN-Parteichef Jordan Bardella wiederum griff Präsident Macron dafür an, dass er der Verleihung des goldenen Fußballs für den algerisch-stämmigen Spieler Karim Benzema Applaus gespendet habe, sich aber zum Fall Lola nicht äußern würde. "Wenn der Staat versagt, kann dieses Drama nicht ohne Antwort bleiben: Unsere politische Verantwortung ist, die Franzosen zu schützen."
Parteien im Kampf gegen Migration
Politologe Jean-Yves Camus von der Stiftung Jean Jaurès in Paris erklärt dazu: "Persönlich denke ich, dass alle die aus diesem furchtbaren Mord ihren Vorteil ziehen wollen, total unanständige Menschen sind. Wir haben in der Tat ein Problem mit Ausweisungen, die nicht umgesetzt werden. Aber das Problem kann nur durch Politik und Diplomatie gelöst werden, nicht indem man Hass sät und die Trauer der Familie vergrößert." Tatsächlich sind die Beziehungen gerade zu Algerien notorisch angespannt, von wo viele der Bürger ohne Aufenthaltsberechtigung stammen. Die Regierung versucht hier abzuwägen, inwieweit sie durch eine größere Zahl erzwungener Ausweisungen die Konfrontation sucht.
Der Rechtsextremismus-Forscher begrüßt darüber hinaus, dass sich RN-Politiker unterdessen von der für Donnerstag angesetzten Demonstration der Zemmour-Anhänger distanziert haben, nachdem sie ursprünglich teilnehmen wollten. "Diese Demonstration war von Anfang an ein Ärgernis, man sollte nicht zwei Tage brauchen um das festzustellen", sagt Jean-Yves Camus. Was aber Zemmour angehe, so habe er immer die Karte gespielt, dass er radikaler sei als Le Pen. "Er versucht mit allen Mitteln Stimmen zu gewinnen, einschließlich der abscheulichen Instrumentalisierung eines furchtbaren Verbrechens. Aber das war immer die Haltung der extremen Rechten."
Ein Kommentar im Sender France Info erinnert daran, dass die Nutzung dramatischer Kriminalfälle durch den rechtsextremen Flügel in Frankreich Geschichte habe: "In den 1970er Jahren hat Jean-Marie Le Pen (Vater von Fraktionsführerin Marine) Tötungsdelikte durch Ausländer genutzt, um die Immigration zu geißeln", schreibt Renaud Dély. Heute nutze Marine Le Pen das Drama von Lola wie einen Lockgesang, um diejenigen anzuziehen, die von der konservativen Rechten noch übrig seien.