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PolitikNahost

Moshe Zimmermann: "Gaza-Resolution nur ein erster Schritt"

11. Juni 2024

Der UN-Sicherheitsrat hat für den US-Plan für eine Waffenruhe im Gazastreifen gestimmt. Der israelische Historiker Moshe Zimmermann sieht darin einen Anfang auf dem Weg zu einer Friedenslösung - mit hohen Hürden.

Der israelische Historiker Mosche Zimmermann
Mosche Zimmermann ist israelischer Historiker und war langjähriger Gastprofessor an mehreren deutschen Universitäten.Bild: Marius Becker/dpa/picture alliance

Deutsche Welle: Herr Zimmermann, in der vergangenen Nacht hat sich der UN-Sicherheitsrat für einen dreistufigen Friedensplan für Gaza ausgesprochen. Zunächst soll es eine Waffenruhe geben, während der ein erster Austausch israelischer Geiseln und palästinensischer Gefangener stattfindet. Dann soll eine dauerhafte Einstellung aller Kämpfe mit der Freilassung aller verbliebener Geiseln folgen und schließlich eine dauerhafte Friedenslösung mit dem Wiederaufbau Gazas. Ist diese Resolution ein Durchbruch auf dem Weg hin zu einer Beilegung des Konfliktes?

Moshe Zimmermann: Es ist ein Schritt auf dem Weg. Ein Durchbruch wird erzielt, wenn beide Seiten zustimmen, sowohl die Hamas als auch die israelische Regierung. Die israelische Regierung feiert jetzt erst einmal das jüdische Pfingstfest; danach kann man sehen, ob es ein Durchbruch war oder zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieses Plans?

Die größte Schwierigkeit ist, dass beide Seiten sehr unterschiedliche Ziele verfolgen. Die Hamas versucht, den Krieg zu Ende zu bringen, das heißt die israelische militärische Überlegenheit zu brechen, und Israel versucht, die Hamas zu zerstören. Mit diesem Waffenstillstand erreicht Israel bestimmt nicht seine Ziele, die Hamas schon eher. Und das ist die Schwierigkeit im Moment.

"Kriegsziele waren ein Fehler"

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober sind ja mittlerweile mehr als acht Monate vergangen. Von den selbst gesteckten Kriegszielen hat Israels Premier Benjamin Netanjahu noch keines erreicht: Weder wurde die Hamas besiegt, noch sind alle Geiseln frei. Ist Israels bisherige Politik also gescheitert?

Es war von Beginn an ein Fehler, dieses Ziel einer absoluten Zerschlagung der Hamas zu verfolgen oder das, was Netanjahu einen "absoluten Sieg" genannt hat. Das war eine Illusion, das war nicht das richtige Ziel nach dem großen Debakel am 7. Oktober. Der Krieg hat sich auch deshalb so in die Länge gezogen, weil man das Ziel eben nicht erreichen kann.

Am Montagabend beschloss der UN-Sicherheitsrat seine Unterstützung für den US-Plan für eine Waffenruhe in GazaBild: Michael M. Santiago/Getty Images

Wer könnte denn jetzt für die Umsetzung dieses Friedensplans garantieren? Wer wäre geeignet, jetzt als Schutzmacht zu fungieren?

Die Hauptrolle spielen die USA, darüber gibt es keinen Zweifel, und die Alliierten der Amerikaner im Nahen Osten wie Saudi-Arabien, Ägypten oder Jordanien. Selbstverständlich müssen auch die Palästinenser jetzt eine Alternative anbieten zur Hamas. Sie müssen die Palästinensische Autonomiebehörde reformieren und stärken. Wenn das alles klappt, dann kann man die Waffenruhe auch zu einem längeren Waffenstillstand führen.

Kein Nachkriegsplan für Gaza

Dennoch gibt es bislang keine offizielle Stellungnahme dazu, wie es mit Gaza nach Beendigung des Krieges weitergehen soll. Oppositionsführer Benny Gantz hat die Einheitsregierung deshalb ja auch im Streit verlassen. Wie kann eine Nachkriegsordnung überhaupt aussehen?

Wir wissen, wie so etwas aussehen könnte, wenn man daran interessiert wäre: Nämlich, dass die palästinensische Autonomiebehörde Gaza übernimmt anstatt der Hamas, sodass die Palästinenser auf beiden Seiten - in Gaza und im Westjordanland - mit einer Stimme sprechen. Das wäre eigentlich die gescheitere Lösung, aber das ist etwas, womit Netanjahu ganz bestimmt nicht einverstanden ist. Deswegen gab es bislang noch keinerlei Bemühungen in diese Richtung. Deswegen dauert der Krieg so lange. Deswegen gibt es keinen klaren Plan für den Tag danach. Und das war letztendlich auch der Grund dafür, dass Benny Gantz aus der Regierung austreten musste. Wenn das alles zu nichts führt, kann er nichts bewirken, und dann ist es besser, wenn er in der Opposition sitzt.

Zerstörungen im Flüchtlingslager Nuseirat im Gazastreifen nach einem israelischen AngriffBild: Jehad Alshrafi/AP Photo/picture alliance

Es gibt auch immer wieder Stimmen aus dem rechten Lager, die nach einem Ende des Konfliktes eine Besetzung Gazas durch israelische Siedler fordern. Ist das nur eine kleine Gruppe oder tatsächlich eine ernstzunehmende Bewegung? 

Überlegungen gibt es viele, von allen Seiten. Das Problem ist die Regierung, die extrem rechts steht. In dieser Regierung sitzen diejenigen, die behaupten, dass Gaza wieder besetzt werden müsse und neue jüdische Siedlungen dort entstehen sollten. Ob auch Netanjahu so weit gehen will, wissen wir nicht, aber die Koalitionspartner blockieren jede andere Alternative. Und die anderen Überlegungen, die ich zuvor dargestellt hatte, bleiben die Überlegungen aus der Opposition. Die haben bislang noch keine Wirkung und keinen Einfluss - und das ist der Grund dafür, dass von israelischer Seite der Krieg immer weiter geführt wird. Wenn man keine gescheite Lösung anbietet, dann kämpft man eben weiter. Und da man die Hamas eben nicht völlig zerstören und auch Gaza nicht komplett bombardieren kann, haben wir eben diesen Zermürbungskrieg, der noch immer weitergeht. Acht Monate sind eine sehr lange Zeit, ganz bestimmt für Israel. Aber es könnte noch länger dauern, solange die Regierung nicht zu einer neuen Entscheidung kommt.

Rechnen Sie denn mit einer Zustimmung Israels zu dem Plan? 

Ich nehme an, dass es zu einem Hickhack kommen wird, wie immer, aber am Ende lässt mich hoffen, dass der amerikanische Druck effektiv genug sein wird, dass am Ende doch ein Waffenstillstand zustande kommt auf der Grundlage der Entscheidung im UN-Sicherheitsrat.

Zerrissenes Israel: Am Sonntag verkündete Oppositionsführer Benny Gantz seinen Austritt aus der Einheitsregierung von Benjamin NetanjahuBild: Ammar Awad/REUTERS

Ist Versöhnung möglich?

Herr Zimmermann, der 7. Oktober hat die israelische Gesellschaft schwer traumatisiert, aber nach Monaten schwerster kriegerischer Auseinandersetzung mit zehntausenden Toten gilt das ja auch für die Palästinenser. Wie können die beiden Völker überhaupt wieder zusammenfinden, wie kann man nach dieser Eskalation wieder eine irgendwie geartete Vertrauensbasis aufbauen?

Ich bin Historiker, der sich mit der europäischen Geschichte befasst. Ich kenne den Ersten Weltkrieg, ich kenne den Zweiten Weltkrieg. Da gab es noch mehr Tote, noch mehr Zerstörung. Wenn die Absicht und der Wille vorhanden ist, kann man das alles überwinden, hinter sich lassen und einen Frieden anstreben. Das ist eine Frage des politischen Willens. Das kann man auch im Nahen Osten erreichen - meines Erachtens sogar eher als in Europa. Europa hat es nach zwei Weltkriegen geschafft. Wir können es auch schaffen - vorausgesetzt, dass beide Seiten sich neu überlegen, was ihr Ziel ist. Wenn beide wieder nur auf die Zerstörung der anderen Seite setzen, dann schafft man auch mit einem Waffenstillstand keinen Anfang eines Friedens.

Der israelische Historiker Moshe Zimmermann ist emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, dort war er von 1986 bis 2012 Direktor des Richard-Koebner-Zentrums für Deutsche Geschichte. In Deutschland war er mehrere Jahre Gastprofessor.

Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik