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Politik

Moskau: 3500 Demonstranten - über 1370 Festnahmen

27. Juli 2019

Der Protest in Moskau richtete sich gegen den Ausschluss von Oppositionskandidaten von der Kommunalwahl. Die Polizei ging mit großer Härte gegen Demonstranten vor und nahm viele fest, darunter einen DW-Mitarbeiter.

Moskau Demonstration für unabhängige Kandidaten
Bild: picture-alliance/dpa/TASS/V. Sharifulin

Rund um das Rathaus im Stadtzentrum führten Beamte Menschen ab und zerrten sie in Busse. Nach Angaben der Polizei kamen 1074 Personen in Gewahrsam. Das Bürgerrechtsportal OWD-Info sprach allerdings von mehr als 1370 Fällen. Zuvor war die Zahl der Festnahmen bei der nicht genehmigten Kundgebung fast minütlich gestiegen. Nach Korrespondentenberichten setzten die Polizisten auch Schlagstöcke gegen die Demonstranten ein. Nach Angaben von OWD-Info erlitten mehrere Festgenommene Nasenbrüche oder Verletzungen am Kopf. Auch Reporter berichteten von mehreren verletzten Demonstranten. Die Behörden zählten nach eigenen Angaben rund 3500 Teilnehmer der Kundgebung.

DW-Mitarbeiter zeitweise in Haft

Während der Protestaktion wurde auch Sergej Dik, ein fester Mitarbeiter der Russischen Redaktion der Deutschen Welle, kurzzeitig festgenommen. Nach Angaben der DW-Korrespondentin Emily Sherwin filmte er gerade mit seinem Smartphone die Demonstranten auf dem Trubnaya Platz im Zentrum von Moskau, als er von Spezialeinsatzkräften inhaftiert wurde. Dik war im Auftrag von DW Russisch unterwegs und hatte ordnungsgemäß seine Akkreditierung durch das Außenministerium dabei.

DW-Mitarbeiter Sergej DikBild: DW/S. Dik

Sergej Dik habe sich sofort als Journalist zu erkennen gegeben, berichtet Sherwin. Die Polizisten baten ihn daraufhin um seinen Ausweis. Dik habe ihnen gesagt, dass er seinen Pass und seine Akkreditierung im Rucksack habe. Als er diese allerdings vorzeigte, sprachen die Beamten der Spezialeinsatzkräfte von "wertlosen Dokumenten". Er sei dann in einen Polizeibus gesteckt worden, der ihn mit 20 anderen Festgenommenen in die Polizeistation "Marino" im Südosten Moskaus brachte.

Sergej Dik berichtet: "Natürlich ist es überraschend, wenn man bei seiner Arbeit verhaftet wird. Aber es war schnell klar, dass die Polizei heute einfach alle verhaftet hat, willkürlich. Sie schnappen sich jemanden und führen oder zerren diese Person in die Polizeibusse: Junge Männer oder Frauen und auch ältere Menschen - und ohne zu wissen, ob diese Leute wirklich am Protest teilnehmen."  Nach fast anderthalb Stunden wurde der DW-Mitarbeiter wieder freigelassen. "Angst hatte ich nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass ich bei einem Protest arbeite. Ich wusste schon, dass so etwas passieren kann", sagte Dik.

Warnung an Bürger und Touristen

Die Polizei hatte Moskauer Bürger und Touristen davor gewarnt, an dem Protest teilzunehmen, weil es keine Genehmigung gebe. Die Beamten sicherten am Nachmittag das Rathaus mit einem großen Aufgebot und vielen Einsatzfahrzeugen sowie Linienbussen ab. Zu sehen war auch, wie eine Polizeiabsperrung durchbrochen wurde. Die Menge applaudierte danach. Einige Festgenommene kamen am frühen Abend wieder auf freien Fuß.

Die Polizei setzt in Moskau auch Schlagstöcke gegen Kundgebungsteilnehmer einBild: Reuters/M. Shemetov

Ein 35 Jahre alter Demonstrant, der seinen Namen nicht nennen wollte, sagte der Deutschen Presse-Agentur zu den Festnahmen: "Was hier passiert, ist illegal. Die Politik bricht unsere Rechte." Während der Kundgebung funktionierte das Internet zeitweise nicht. Derart hart gingen die Sicherheitsbehörden in Moskau zuletzt gegen Demonstranten bei einer Solidaritätskundgebung für den russischen Enthüllungsjournalisten Iwan Golunow vor. Dabei wurden Mitte Juni mehr als 400 Menschen vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen. Der Protest bewirkte, dass der Reporter überraschend frei kam.

Viele Oppositionskandidaten ausgeschlossen

Die Demonstranten fordern, dass unabhängige Kandidaten und Oppositionelle zur Wahl des neuen Moskauer Stadtparlaments am 8. September zugelassen werden. Zuvor waren zahlreiche Politiker wie der prominente Kremlkritiker Ilja Jaschin als Bewerber nicht registriert worden. Insgesamt verweigerte die Wahlkommission 57 Kandidaten die Registrierung, 233 seien zugelassen worden. Derzeit zählt die Volksvertretung der russischen Hauptstadt 45 Sitze.

Seit fast zwei Wochen gehen Demonstranten regelmäßig auf die Straße. Bei einer Protestaktion vor einer Woche wurden bis zu 20.000 Teilnehmer gezählt. Dazu aufgerufen hatte der bekannte Kremlkritiker Alexej Nawalny. Dafür wurde er am vergangenen Mittwoch von einem Gericht zu 30 Tagen Haft verurteilt. Er erneuerte daraufhin seinen Aufruf zum Protest.

Mahnung aus Brüssel

In der Nacht zu Sonntag verurteilte die Europäische Union die Festnahme der vielen Demonstranten in Moskau. Die Festnahmen und der "unverhältnismäßige Einsatz von Gewalt gegen friedliche Demonstranten" liefen den Rechten auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sowie auf freie Meinungsäußerung zuwider, sagte eine EU-Sprecherin. Diese "fundamentalen Rechte" seien in der russischen Verfassung verankert. "Wir erwarten, dass sie geschützt werden."

Zugleich forderte die EU mit Blick auf die im September anstehenden Kommunalwahlen in Russland "Chancengleichheit". Russland müsse sich an die Vorgaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und andere internationale Verpflichtungen halten.

kle/rb (dpa, afp, rtr, DW)

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