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Politik

Moskau hofft auf Neustart mit Selenskyj

22. April 2019

Wolodymyr Selenskyj gewinnt die Stichwahl um das Präsidentenamt in der Ukraine. Staatschefs weltweit gratulieren dem Politneuling. Russland freut sich vor allem über die Abwahl des alten Amtsinhabers.

Ukraine | Präsidentschaftswahlen | Reaktion Wolodymyr Selenskyj
Machtwechsel in Kiew: Der 41-jährige Wolodymyr Selenskyj löst Petro Poroschenko abBild: Reuters/V. Ogirenko

Der Schauspieler und Komiker Wolodymyr Selenskyj bekommt bei der Präsidentschaftswahl laut Prognosen und Hochrechnungen rund 75 Prozent der Stimmen und liegt damit weit vor Amtsinhaber Petro Poroschenko. Dieser kommt auf nur rund 25 Prozent und räumte noch am Wahlabend seine Niederlage ein.

Mit dem 41-jährigen Selenskyj kommt in der Ukraine erstmals ein Staatsoberhaupt ohne Regierungserfahrung ins Amt. Selenskyj, der jüngste Präsident der ukrainischen Geschichte, strebt einen EU-Beitritt an. Über einen umstrittenen NATO-Beitritt der Ukraine soll eine Volksabstimmung entscheiden. Selenskyj kündigte zudem an, den Friedensplan für den umkämpften Osten wiederzubeleben. Wichtigste Aufgabe sei es, seine Landsleute aus der Gefangenschaft von Russland und der Ostukraine zu befreien. Seit 2014 kämpfen in den Gebieten Donezk und Luhansk Regierungssoldaten gegen prorussische Separatisten. Rund 13.000 Menschen sind dabei nach UN-Angaben getötet worden.

"Russlands Aggression abwehren"

Nach seinem Sieg haben bereits mehrere Staats- und Regierungschefs dem Schauspieler gratuliert. US-Präsident Donald Trump habe Selenskyi angerufen und auch das ukrainische Volk zur friedlichen und demokratischen Wahl beglückwünscht, teilte sein Sonderbeauftragter Kurt Volker bei Twitter mit. "Wir werden die Ukraine weiter unterstützen bei ihren Anstrengungen, die territoriale Unversehrtheit herzustellen und Russlands Aggression abzuwehren", schrieb der US-Vertreter.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte: "Die Stabilisierung der Ukraine sowie eine friedliche Konfliktlösung liegen mir ebenso am Herzen wie die Durchführung zentraler Reformen der Justiz, der Dezentralisierung sowie der Korruptionsbekämpfung." Die Bundesregierung werde der Ukraine weiter tatkräftig zur Seite stehen. Abschließend lud sie Selenskyj zu einem Antrittsbesuch nach Berlin ein.

Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gratulierte Selenskyj am Telefon, wie der Wahlsieger auf seiner Facebook-Seite mitteilte. Macron hatte den Komiker wie auch Poroschenko kurz vor der Abstimmung in Paris empfangen. Dagegen hatte Kanzlerin Merkel in Berlin nur Poroschenko getroffen

Macron bekräftigte ebenfalls, dass Frankreich die Fortsetzung der Reformen in der Ukraine und die Bekämpfung der Korruption unterstütze, hieß es in einer Mitteilung des Präsidialamtes. Macron erinnerte außerdem daran, dass Paris weiterhin fest entschlossen sei, die Souveränität der Ukraine innerhalb der international anerkannten Grenzen vollständig wiederherzustellen.

"Geschätzter Partner der NATO"

Bei Twitter gab es zudem Glückwünsche von der EU und der NATO. In einem gemeinsamen Brief an Selenskyj lobten EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker den demokratischen Ablauf der Wahlen in der Ukraine "Das ist ein großer Erfolg in der aktuell komplexen politischen, wirtschaftlichen und unsicheren Situation." Die EU sei entschlossen, ihre Unterstützung für das Land fortzusetzen. Tusk sprach auf Twitter zusätzlich von einem "entscheidenden Tag für die Ukraine". Freie Wahlen und ein friedlicher Machtwechsel seien Zeichen für eine "starke ukrainische Demokratie". 

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, die Ukraine sei ein "geschätzter" Partner. "Wir freuen uns darauf, unsere Kooperation fortzusetzen." Glückwünsche für Selenskyj kamen auch vom dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda und dem britischen Außenminister Jeremy Hunt.

Hoffnung auf "eigenständige Politik"

In Russland äußerten Politiker die Hoffnung auf einen eigenständigen politischen Kurs des neuen Präsidenten und auf einen Neustart in den Beziehungen mit der Ukraine. Mehrere russische Politiker begrüßten vor allem Poroschenkos Niederlage. Russland sah den Oligarchen als einen gesteuerten Politiker der USA, der NATO und von Teilen der EU an. In dem Nachbarland der Ukraine gibt es nun Hoffnungen, dass Selenskyj eine, wie er selbst sagt, eigenständige Politik führen wird.

Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew schrieb auf seiner Facebook-Seite, nach dem Wahlsieg des Politikneulings Selenskyj bestehe "eine Chance, die Zusammenarbeit mit unserem Land zu verbessern". "Was dafür nötig ist? Ehrlichkeit. Und notwendig ist auch eine pragmatische und verantwortungsvolle Herangehensweise", meinte Medwedew. Er mache sich aber insgesamt "keine Illusionen". 

Die Lage in der Ukraine sei schwierig - besonders im Osten des Landes, schrieb Medwedew mit Blick auf den Krieg im Donbass. Medwedew empfahl der neuen Führung in Kiew, die Probleme des Landes mit gesundem Menschenverstand anzugehen - und mit Rücksicht auf die tiefe Verbundenheit des russischen und ukrainischen Volkes. "Nur auf dieser Grundlage kann die wirtschaftliche Zusammenarbeit wieder belebt werden", meinte Medwedew. Und so könnten auch die schweren sozialen Probleme von Millionen Ukrainern gelöst werden. Medwedews Erklärung war die erste offizielle Reaktion eines hochrangigen russischen Regierungsvertreters auf Selenskyjs Wahlsieg.

Gesteht seine Niederlage ein: Amtsinhaber Petro PoroschenkoBild: Reuters/V. Fedosenko

Russland dürfte die Abstimmung in der Ukraine nach ersten Reaktionen aus Moskau trotz anfänglicher Vorbehalte wohl anerkennen. Zuvor hatte die Führung in Moskau scharf kritisiert, dass russische Wahlbeobachter - anders als vorgesehen - nicht zugelassen waren. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) will ihr Urteil über die Wahl im Laufe des Montags verkünden.

Der in seiner Heimat gefeierte Showstar Selenskyj spielt seit Jahren einen Präsidenten in der Comedy-Serie "Sluha Narodu" - zu Deutsch: "Diener des Volkes". Kritiker werfen ihm vor, ein Populist ohne echtes Programm für die Zukunft des Landes zu sein. Immer wieder Thema ist auch Selenskyjs Nähe zu dem Oligarchen Igor Kolomoiski, der mit seinem TV-Kanal "1+1" Stimmung gegen Poroschenko machte. Bei dem Sender läuft auch Selenskyjs Comedy-Serie.

pgr/sti (afp, dpa)