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Politik

Russlands patriotische Provokation

Ilya Koval | Irina Filatova | Nikita Jolkver
23. Februar 2017

Alles nur ein Spiel? Moskau will die Erinnerung an die Erstürmung des Deutschen Reichstages 1945 mit militärischen Übungen wieder aufleben lassen. Beobachter warnen vor einer gefährlichen Militarisierung.

Eröffnung Militär Park Armee Russland Moskau
Bild: picture alliance/dpa/A.Polegenko

Zwischen Russland und Deutschland bahnt sich nach Meinung von Experten eine zunehmende Entfremdung an. Die Ankündigung des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu, in der Nähe von Moskau den Deutschen Reichstag nachzubauen und als militärisches Übungsgelände zu benutzen, hat in Deutschland für Verwunderung und Empörung gesorgt.

"Der Nachbau des Reichstags zeugt von einer Verschlechterung der Beziehungen Russlands zu Deutschland. So entsteht ein negatives Bild von Deutschland", beklagt Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). "Das größte Symbol ist für Russland der Sieg im Zweiten Weltkrieg. Das alles wird in die Schulen getragen, immer mehr davon gibt es in den Schulbüchern. Es ist eine Verherrlichung der Geschichte der Sowjetunion und der Sowjetunion als solche", so der Experte.

Mehr als eine militärische Übung

Für den deutschen Europaabgeordneten Elmar Brok, der noch bis vor kurzem den Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments leitete, ist entscheidend, was für ein "Reichstag" nahe Moskau nachgebaut werden soll. "Wenn man nachstellt, wie die Rote Armee den Reichstag im Kampf gegen Hitler besetzt hat, habe ich keine Einwände dagegen. Wenn es aber das moderne Haus der Demokratie ist, dann ist dies ein unerträglicher Zustand", so Brok. Denn das würde wie eine Bedrohung aussehen, gegen Deutschland militärisch vorzugehen.

Auslöser war eine Ankündigung des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu am Vorabend des 23. Februar, dem Tag des Verteidigers des Vaterlandes. Vor den Abgeordneten der Staatsduma erklärte er überraschend, in der Nähe Moskaus werde ein "Reichstag" gebaut. "Nicht komplett, aber damit unsere jungen Soldaten nicht irgendwas, sondern etwas ganz Konkretes erstürmen können", sagte Schoigu.

Parade während der Eröffnung des Parks "Patriot" nahe Moskau im Sommer 2015Bild: picture alliance/dpa/M.Blinov

Der Nachbau vom historischen Reichstag in Berlin, in dem seit 1999 der Deutsche Bundestag seine Sitzungen abhält, soll im Park "Patriot" entstehen und von der russischen Jugendbewegung "Junarmija" (Junge Armee) genutzt werden. Das russische Verteidigungsministerium wollte sich gegenüber der Deutschen Welle zu Schoigus Worten nicht äußern.

"Patriotische Erziehung"

Die Bewegung "Junarmija" wurde im Oktober 2015 auf Initiative von Schoigu gegründet. Zunächst trug sie den neutralen Namen "Russische Schülerbewegung". Nach offiziellen Angaben hat die Organisation inzwischen mehr als 40.000 Mitglieder.

Der Park "Patriot" bei Moskau gehört dem Verteidigungsministerium und wurde im Sommer 2015 eröffnet. Auf dem Gebiet von mehr als 5000 Hektar gibt es mehrere Ausstellungshallen, Konferenzräume, ein Kino, eine Bühne und vieles mehr. In dem Park "Patriot" sollen "Aufgaben des Verteidigungsministeriums mit einem erschwinglichen Familienausflug, Sportaktivitäten und patriotischer Erziehung verbunden werden", heißt es auf der Webseite des Parks.

Die sowjetische Flagge im Jahr 1945 über dem Reichstag in BerlinBild: picture-alliance/dpa/J. Chaldej

Schatten der Vergangenheit

Der Forschungsdirektor des Deutsch-Russischen Forums, Alexander Rahr, findet die Idee, die Erstürmung des "Reichstag" nachzuspielen "seltsam und unangebracht". "Heute tagt im Reichstagsgebäude das Parlament eines demokratischen Deutschlands, das sich von der Hitler-Vergangenheit losgesagt hat", sagte Rahr, der zu den deutschen Politologen gehört, die von russischen staatlichen Medien bereitwillig zitiert werden.

Auch Julius von Freytag-Loringhoven, Leiter des Moskauer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung, hält Moskaus Pläne für bedenklich. "Jemand, der heute einen Reichstag nachbaut, auch wenn er nur an die Geschichte von damals erinnert, kommt nicht umhin, dass die Menschen, die an solchen Übungen teilnehmen, auch an den heutigen Reichstag in Deutschland denken", sagte er der DW. Für die Deutschen sei die steigende Militarisierung und Identifizierung in Russland nur mit kriegerischen Zeitpunkten der russischen Geschichte sehr unheimlich. "Es erinnert uns an uns selber und an das, was wie nie, nie wieder haben wollen", so Freytag-Loringhoven.

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