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Mossul feiert kulturelles Comeback

Judit Neurink cvo, jv
9. September 2018

Musik, Bücher und Ausstellungen: Nach der Befreiung vom "Islamischen Staat" kehrt die Kultur in die irakische Stadt Mossul zurück. Wird die neue Freiheit anhalten? Judit Neurink berichtet aus Mossul.

Irak | Mossuls kulturelle Auferstehung
Bild: DW/E. v. Wessel

Ein Park in Mossul. Hier bildete der sogenannte IS einst Kindersoldaten aus. Nun haben sich tausende Menschen versammelt - für ein Bücherfestival mit Musik, Theater und Tischen voller Bücher, die für die Einwohner der Stadt gesammelt wurden.

Die Kultur ist zurück in der zweitgrößten Stadt des Irak. Und das "Ich bin Iraker - ich lese"-Festival ist nur eine von vielen Kulturveranstaltungen. Das Motto des Festivals ist an eine traditionelle arabische Redewendung angelehnt: "Ägypter schreiben, Libanesen publizieren, Iraker lesen."

"Wir wissen Dinge nicht zu schätzen, bis wir sie verlieren", sagt Ali al-Barudi. Er ist Englisch-Dozent an der Universität von Mossul und inoffizieller Chronist der Stadt. Er durchquert die Stadt immer wieder auf seinem Rad und fotografiert die Schäden und den Wiederaufbau. "Die Befreiung von Ost-Mossul von Daesh war ein zweiter Geburtstag für mich."

Kunst und Kultur haben unter dem IS - oder Daesh, so die arabische Abkürzung - stark gelitten. Statuen von Dichtern und Schriftstellern wurden niedergerissen, Kunstwerke und Musikinstrumente zerstört und die Universitätsbibliothek in Brand gesteckt - viele wertvolle Bände sind für immer verloren. Bücher wurden verboten, nicht-religiöse Kunst war tabu, Musiker und andere Künstler kamen ums Leben.

Kunst und Kultur schon lange verbannt

Die Unterdrückung begann schon kurz nach dem Einmarsch der USA im Jahr 2003, als radikale Muslime in der Stadt an Boden gewannen. "Der IS ist wie ein Geist - man sieht ihn nicht, aber er ist da und sammelt für die Zeit, wenn er zurückkehrt, heimlich Informationen über uns", sagt al-Barudi der Deutschen Welle. "Er hat seit 2005 im Verborgenen regiert, und öffentlich seit 2014. Es ist nicht einfach, ihn auszulöschen. Unter Daesh bin ich tausendmal am Tag gestorben. Jetzt muss Mossul als erstes die Angst loswerden."

Sein Vater warnt ihn, vorsichtiger zu sein, aber für den jungen Fotografen ist es eine Mission, die Entwicklungen in der Stadt zu dokumentieren.

Er vergleicht die Situation mit den ersten Jahren nach 2003, als die Iraker den Wandel und die Freiheit feierten, auf den sie so lange gewartet hatten - bis die radikalen Muslime auf der Bildfläche erschienen, um die Amerikaner zu bekämpfen, und den positiven Entwicklungen ein pötzliches Ende setzten. Aber dieses Mal sind viele in Mossul der Meinung, dass der Veränderungsprozess fortgesetzt werden muss.

"Besser als vor dem IS"

Marwan Tariq unterrichtet an der Universität von Mossul. Er findet auch, dass Fortschritte gemacht wurden. "Die Situation jetzt nach Daesh ist schon besser als vor ihrer Ankunft." Tariq war einer der ersten, der den stark bombardierten Campus der Universität wieder betrat, nachdem der IS im vergangenen Jahr verjagt worden war. Der Schaden in seinem Institut war furchtbar. "Alles, was eine Verbindung zur Kunst hatte, war kaputt. Klaviere, Uds (arabische Lauten), Gitarren, aber auch Gemälde und Skulpturen", sagt er.

Während der Schlacht um Mossul am 21. Juni 2017 wurde die al-Nuri-Moschee weitgehend zerstörtBild: DW/S. Petersmann

Zusammen mit seinen Studenten fing er an, die noch stehenden Gebäude aufzuräumen - ohne Unterstützung der Regierung. Für die ist immer noch jeder, der während der Besetzung geblieben ist, der Kollaboration mit dem IS verdächtig. Gleichzeitig haben die Menschen vor Ort immer noch Angst vor den IS-Mitgliedern, die im Untergrund verschwunden sind. "Deswegen sieht man auch in der Kunst kaum etwas, das mit der Besetzung zu tun hat", sagt Tariq.

Den Menschen in der Stadt dabei zu helfen, mit den Erlebnissen unter der IS-Herrschaft klarzukommen: Dabei scheint die Kunstszene keine Rolle zu spielen. Das ist etwa in der kurdischen Region im Irak anders. Dort hat ein jesidischer Künstler Bilder gemalt, auf denen er das Schicksal seiner Mitmenschen darstellt.

Die Künstler in Mossul haben einen anderen Weg gefunden, ihre neu gewonnene Freiheit zu feiern. Im Mai 2017, als auf der anderen Seite des Tigris, der die Stadt teilt, noch gekämpft wurde, haben al-Barudi und Tariq eine Kunstausstellung in Ost-Mossul mitorganisiert. Dort wurden Bilder und Gemälde an den rußgeschwärzten Überresten eines Universitätsgebäudes zu den Klängen lang verbotener Musik ausgestellt.

Außerdem gab es eine Aktion von Studenten, Dozenten und Freiwilligen, bei der Bücher gerettet wurden, die das Feuer in der Universitätsbibliothek überstanden hatte.

Kampagne "Mossuls Auge"

02:09

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Die Kunst kehrt nach Mossul zurück

Nach dem Brand in der Bibliothek hat al-Barudi gemeinsam mit Studenten und anderen Freiwilligen rund 6.000 Bücher aus der Asche bergen können. Der Historiker Omar Mohammed, international bekannt als der Blogger "Mosul Eye", startete einen Aufruf, woraufhin tausende Bücher aus dem Ausland geschickt wurden, um die verlorenen zu ersetzen.

Die Musik ist ebenfalls nach Mossul zurückgekehrt. Während der Kunstausstellung hört man die Klänge der Ud, ein Bassist spielt an zerstörten Stätten wie der al-Nuri-Moschee mit ihrem berühmten Hadba-Minarett. Hier rief IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi nicht nur das "Kalifat" aus, die Terrororganisation zerstörte die Moschee noch, kurz bevor sie aus Mossul vertrieben wurde.

Auch in dem ersten Literaturcafé Mossuls, geführt von Fahad Sabah und Harith Yassin, spielt die Musik. Sie haben es erst kürzlich eröffnet und möchten nicht nur Jung, Alt, Mann und Frau einen ruhigen Platz zum Lesen und Arbeiten bei einer Tasse Kaffee oder Tee bieten, sondern auch Konzerte und öffentliche Literaturdiskussionen veranstalten.

Fahad Sabah und Harith Yassin: Die Menschen in Mossul sollen angstfrei Kunst und Kultur genießen könnenBild: DW/E. v. Wessel

Kulturelles Comeback in kleinen Schritten

Im Café, wo sauber gefüllte Bücherregale und Porträts von Schriftstellern, Musikern und Künstlern die Atmosphäre bestimmen, bestätigt Sabah, dass die Kultur nach Mosul zurückgekehrt ist. "Schon vor Daesh war ein öffentlicher Diskurs aus Angst vor den Extremisten und ihren Drohungen unmöglich. Jetzt ist die Gesellschaft viel offener. Unser Café ist nur ein Beispiel", sagt er. "Sieh dir an, was wir tun und wer hier reinkommt. Wir betreiben den ersten öffentlichen Raum, in dem sich Männer und Frauen wie zu Hause fühlen."

Er erzählt von der langen Zeit der Geschlechtertrennung in der Stadt. "Bis in die 1980er Jahre waren die Kinos noch gemischt. Aber dann radikalisierte sich die Gesellschaft, und die Kultur geriet in eine Abwärtsspirale."

Sabah will dazu beitragen, die Fehler zu vermeiden, die nach 2003 gemacht wurden, und stattdessen auf der neugewonnenen Offenheit der Stadt aufbauen. Es wird allerdings geschätzt, dass mindestens ein Fünftel der Einwohner Mossuls der IS-Ideologie zustimmen - sogar ihrer brutalen Umsetzung. "Deshalb müssen wir unsere Probleme und Möglichkeiten verstehen. Das ist der erste Schritt in Richtung einer Lösung. Es wird nicht leicht, deshalb werden wir hart arbeiten müssen."

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