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PolitikNahost

Mossul: Wiederaufbau für die Zukunft

26. Dezember 2020

Unter der Herrschaft des IS wurde das kulturelle Erbe Mossuls weitgehend zerstört. Die Terroristen demolierten vor allem Bauwerke aus vorislamischer Zeit. Nun wird wieder aufgebaut - für ein friedliches Miteinander.

Irak Gerda Henkel Stiftung Iraq Heritage Stabilization Program
Wiederaufbau in Mossul: Arbeiten des "Iraq Heritage Stabilization Program"Bild: Prof. Richard R. Zettler

Im Juli 2017 war es soweit: Der damalige irakische Premierminister Haider al-Abadi konnte die vollständige Rückeroberung von Mossul verkünden. Ein dreiviertel Jahr hatte die Schlacht um die von den Milizen der Dschihadistenorganisation "Islamischer Staat" (IS) besetzte nordirakische Stadt gedauert. Es brauchte die vereinte Anstrengung der irakischen Armee, US-amerikanischer Einheiten, Luftkräfte der Internationalen IS-Koalition, kurdischer Peschmerga-Verbände und anderer Einheiten, um die Terroristen aus der gut gesicherten Stadt zu vertreiben.

Der Kampf um die Stadt hatte nicht zuletzt eine symbolische Bedeutung. In ihr hatte der damalige IS-Anführer Abu Bakr al-Baghadi im Juni 2014 das Islamische "Kalifat" ausgerufen, das ihm fortan unterstehen würde.

Die Bewohner von Mossul und Umgebung bekamen die Schreckensherrschaft des IS in aller Härte zu spüren. Hunderte junger Männer, die sich dem IS nicht anschließen wollten, wurden hingerichtet, Menschen aus dem Umfeld vor Beginn der irakischen Offensive als menschliche Schutzschilder missbraucht. Über 5000 Familien wurden zu diesem Zweck entführt, so ein UN-Bericht.

IS wollte kulturelles Gedächtnis auslöschen

Systematisch zerstörten die Terroristen während der Besatzung auch das kulturelle Erbe der Stadt. Sie zertrümmerten Altäre und den kirchlichen Skulpturenschmuck, öffneten Krypten und rissen Kreuze von den Dächern der Kirchen. Sie stürzten Glockentürme um und rissen Kuppeln über Altären auf.

Bisweilen setzte der IS ganze Kirchen in Brand. Er sprengte schiitische Moscheen und Sufi-Schreine. Auch das antike Erbe der Stadt versuchte er auszulöschen. Das wenige, was die Terroristen verschonten, wurde bei der Rückeroberung der Stadt zerstört.

Zu den zerstörten Bauwerken gehörte auch die Große Moschees de an-Nuri Bild: Reuters/E. De Castro

Der IS wollte damit das kulturelle Gedächtnis des Nordiraks auslöschen, sagt Archäologe Richard R. Zettler von der Universität Pennsylvania im DW-Interview. Er leitet das von der Gerda Henkel Stiftung geförderte "Iraq Heritage Stabilization Program", das in Zusammenarbeit mit der irakischen Regierung und zivilgesellschaftlichen Gruppen das architektonische Erbe der Stadt wieder aufbaut.

Für die Leute vor Ort eine wichtige Aufgabe: "Die Menschen in Mossul und den umliegenden Städten haben eine tiefe Verbindung zur alten Vergangenheit", sagt Zettler weiter. Auf dem Gebiet von Mossul lag einst die Stadt Niniveh, eine der wichtigsten Städten des altassyrischen Reichs. "Die Bewohner Mossuls sind sehr stolz darauf, von den assyrischen Königen abzustammen, die im frühen ersten Jahrtausend vor Christus einen Großteil des Nahen Ostens beherrschten. Doch der IS tat alles, um die sichtbaren Überreste der antiken Vergangenheit der Region zu zerstören."

Das "Iraq Heritage Stabilization Program" will die alten Bauwerke wieder auferstehen lassen Bild: Prof. Richard R. Zettler

Der IS hinterließ nicht nur zerstörte Bauwerke, er beschädigte auch das soziale Gefüge. Der Druck der Terroristen auf ethnische und religiöse Minderheiten verstärkte die ohnehin schon angespannten Beziehungen zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen in der Stadt, sagt die an der Universität Bologna lehrende Politologin Irene Costantini, die mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung die soziologischen und politischen Aspekte des Wiederaufbaus von Mossul erforscht.

Als Reaktion auf den Terror des IS hatten sich Mitglieder der Minderheiten zu bewaffneten Gruppen zusammengeschlossen. "Doch anstatt für Sicherheit zu sorgen, wurden sie von der Bevölkerung als zusätzlicher Unsicherheitsfaktor wahrgenommen", sagt Costantini der DW. 

Eine neue Identität

Nun brauche es eine Übergangsjustiz und ein Programm der nationalen Versöhnung, um das Vertrauen der Gemeinschaften zueinander wieder herzustellen. "Aber dies sind langfristige Prozesse, die auf das kontinuierliche Engagement der lokalen und nationalen politischen Entscheidungsträger angewiesen sind", sagt Constantini.

Eine grundlegende Aufgabe kommt dabei dem Wiederaufbau der zerstörten oder beschädigten Kulturerbestätten zu. Er soll den Menschen einen Teil ihrer Identität zurückzugeben. Der gemeinsame Aufbau kann außerdem dazu beitragen, die einzelnen Gemeinschaften einander anzunähern und ein Bewusstsein für die gemeinsam durchlittene Besatzungszeit zu schaffen - eine der Voraussetzungen um ein künftiges Miteinander, vielleicht sogar eine neue Identität zu begründen.

Der Wiederaufbau ist der Politik nicht mehr wichtig 

Grundsätzlich lasse sich vieles wiederherstellen, sagt Zettler. "In Mossul selbst ist es möglich, Moscheen, Kirchen, Schreine, historische Häuser, Tore in der Festungsmauer und weiteres zu restaurieren oder wiederaufzubauen." Allerdings dürfte der Wiederaufbau der Kirchen in der Altstadt eher symbolischen als praktischen Wert haben. "Nur wenige der vertriebenen Christen werden in die Stadt zurückkehren", so Zettler.

Der Wiederaufbau von Mossul erfordert viel Geduld und Engagement der Bevölkerung Bild: Prof. Richard R. Zettler

Allerdings sei die Idee des Wiederaufbaus auf der politischen Agenda nach hinten gerutscht, sagt Costantini. Die Mittel reichten nicht aus, um den voraussichtlichen Bedarf - für das gesamte vom IS einst besetzte Gebiet werden sie auf rund 88 Milliarden Dollar (knapp 72 Milliarden Euro) geschätzt - zu decken.

Außerdem steht das Land vor neuen Herausforderungen - Regierungs- und Wirtschaftskrisen, die Corona-Pandemie. Das Projekt habe an Bedeutung verloren, sagt Politikwissenschaftlerin Costantini. 

Großer Einsatz von den Menschen vor Ort 

Trotz aller Widrigkeiten: Das größte Engagement geht derzeit von der lokalen Bevölkerung aus. "Die Zusammenarbeit mit den Menschen in Mossul und den umliegenden Städten ist großartig", sagt Zettler von der Universität Pennsylvania. Dabei ist die Situation für die Menschen nicht einfach  - noch immer fehlen Wohnhäuser und öffentliche Gebäude in der zerstörten Stadt. Ein wichtiges Bedürfnis für die Bewohner. 

"Sie sind enthusiastisch, wenn es darum geht, ihr historisches und kulturelles Erbe zurückzuerobern", sagt Zettler. "Sie sehen beides als entscheidend für ihre Zukunft an und freuen sich über die Arbeitsplätze, die die Restaurierungsarbeiten bieten. Wir haben eine Reihe starker lokaler Partner vor Ort. Ohne sie könnten wir die Arbeit kaum leisten."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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