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Politik

Motiv: Der angebliche "große Austausch"

20. Februar 2020

Jan Rathje von der Amadeu Antonio Stiftung sieht den mutmaßlichen Attentäter von Hanau in einem weltweiten rechtsextremen Kontext. Täter handeln demnach einzeln, doch sie eint das rassistische Weltbild.

Deutschland | Amadeu Antonio Stiftung Jan Rathje
Jan Rathje leitet seit 2015 das Projekt "No World Order. Handeln gegen Verschwörungsideologien"Bild: Anna Gold

DW: Es gibt ein Video und ein Bekennerschreiben des Attentäters von Hanau. Sehen Sie Parallelen zu Christchurch oder anderen Anschlägen?

Rathje: Es ist bemerkenswert, dass der mutmaßliche Attentäter in dem Video Englisch gesprochen hat. Das war auch beim Attentat in Halle so. Das heißt, eine internationale Community wird dort adressiert. So war es auch beim Attentäter von Christchurch. Allerdings gibt es hier nach aktuellem Erkenntnisstand noch Ungereimtheiten. So wendet er sich in dem Video an die Bevölkerung der USA, während er sich in dem Bekennerschreiben, das ihm zugerechnet wird, an das deutsche Volk wendet.

Wie unabhängig handeln solche Täter?

Ihre Tat führen diese Menschen allein durch. Aber man darf nicht den kulturellen Hintergrund, in dem sich diese Menschen bis zu ihrer Tat bewegt haben, ignorieren. Auch dieser mutmaßliche Attentäter hatte ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, das maßgeblich von Verschwörungsideologie geleitet wird, also der Vorstellung, dass geheime Mächte im Hintergrund für alles Übel auf der Welt verantwortlich seien, gepaart mit rassistischen Vernichtungsphantasien, Antisemitismus und antifeministischen Einschlägen.

Offenbar spielt auch hier die Vorstellung eines sogenannten Bevölkerungsaustausches eine Rolle, also die Vorstellung, dass die einheimische Bevölkerung in den westlichen Ländern durch Einwanderer verdrängt wird oder sogar verdrängt werden soll. Das scheint ein wiederkehrendes Motiv zu sein.

Es ist momentan das zentrale verschwörungsideologische Motiv der extremen Rechten, wenn es in Richtung Terror geht. Das ist der Mythos des sogenannten großen Austauschs, in den USA seit den Neunzigern im Hardcore-Rechtsextremismus als "white genocide" bezeichnet, also als mutmaßlichen Genozid an den Weißen. Das ist eine uralte Geschichte. Bereits in "Mein Kampf" schreibt Hitler davon. Es ist ein sehr altes Motiv, das jetzt wieder wirkmächtig wird.

Kann man solche Attentate verhindern?

Bei solchen Einzelpersonen, die sich radikalisieren, indem sie sich meist durch Online-Communitys anonym vernetzt haben, ist das schwierig. Da ist man darauf angewiesen, dass man wahrnimmt und ernstnimmt, wenn sich Menschen entsprechend äußern. Dazu braucht es aber einen Kontakt und einen Blick und Aufmerksamkeit, wann Menschen bestimmte Äußerungen, sei es diskriminierender Art, sei es gepaart mit Gewaltphantasien, öffentlich von sich geben. Da gilt es dann, hellhörig zu werden. Man müsste sich jetzt noch einmal genau anschauen, inwiefern das auf den mutmaßlichen Täter von Hanau zutrifft, welche Videos, welche Dokumente er bereits online gestellt hat. Aber manchmal ist es durchaus schwierig, Personen zu identifizieren, die nicht im klassischen rechtsextremen Kontext unterwegs sind, zum Beispiel in Kameradschaften oder die an eine Partei angebunden sind. Da gilt es dann, aufmerksam zu sein.

Wird der Waffenbesitz zu wenig kontrolliert?

Auch in Deutschland mit seiner wesentlich schärferen Waffengesetzgebung als beispielsweise in den USA existiert das Problem, dass Menschen Waffen besitzen, die Umsturz-, Terror- und Gewaltphantasien anhängen. Dort sind Behörden, Vereine und Organisationen, die mit Waffen hantieren, besonders gefordert, diese Menschen zu identifizieren und Hinweise ernstzunehmen.  

Jan Rathje arbeitet für die Amadeu Antonio Stiftung, eine Organisation, die sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus einsetzt. Der aus Angola stammende Amadeu Antonio Kiowa war eines der ersten Opfer rechtsextremistischer Gewalt in Deutschland seit der Wiedervereinigung 1990.

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