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Politik

Motto: Die Krisen erstmal kommen lassen

27. April 2019

Die Bundesregierung hat es versäumt, sich mit Frankreich um eine einheitliche Linie in der Libyen-Politik zu bemühen. Nur ein Beispiel für die zögerliche deutsche Außenpolitik in der letzten Zeit.

Global Solutions Summit Berlin
Bild: AFP/Getty Images/J. MacDougall

Geht Deutschland die bedrohliche Situation in Libyen wirklich etwas an? Lange hatten Beobachter im politischen Berlin den Eindruck: eher nicht. Inzwischen steht der von Frankreich unterstützte General Khalifa Haftar kurz vor Tripolis, seine Truppen liefern sich heftige Gefechte mit den offiziellen Regierungstruppen. Wohlgemerkt, jener Regierung, die die international anerkannte des Landes ist. Erst sehr spät fing Berlin an, das zuvor lästige Thema in Paris auch direkt anzusprechen.

Keine Gespräche auf Chefebene über Libyen

Experten wie Wolfram Lacher von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik sehen in Deutschlands Passivität angesichts des entschlossenen Vorgehens Frankreichs einen Hauptgrund für die eskalierende Lage in Libyen. Berlin habe es versäumt, das Thema dort zu diskutieren, wo es hingehöre - nämlich ganz oben. Als Chefsache zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nun, sagt Lacher, "haben die Europäer jegliche Kontrolle über diesen schwelenden Konflikt vor ihrer eigenen Haustür an die Golfstaaten abgegeben". Denn aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), so wird berichtet, strömen sowohl frisches Geld als auch Waffen in einen Konflikt, der die nächste Flüchtlingswelle Richtung Europa auslösen könnte. Man "kenne die Berichte", hieß es dazu am Mittwoch dieser Woche schmallippig aus dem Auswärtigen Amt in Berlin. Konkret arbeite man weiter daran, eine gemeinsame UN-Resolution auf den Weg zu bringen, die zur Beruhigung der Lage beitragen solle. Deutschland führt in diesem Monat im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Vorsitz. Es klingt ein bisschen so, als mache die deutsche Regierung einfach weiter wie bisher, auch wenn die Lage mittlerweile eine ganz andere ist.

Tripolis Mitte der Woche: Beerdigung von Getöteten nach Kämpfen zwischen den Regierungstruppen und den Kräften um den abtrünnigen General Haftar.Bild: picture-alliance/AP Photo/H. Ahmed

Deutschland und die Ukraine

Für Irritationen sorgte auch der Besuch des mittlerweile abgewählten Präsidenten der Ukraine, Petro Poroschenko, vor gut zwei Wochen in Berlin, wenige Tage vor der Stichwahl um das Präsidentenamt. Merkel, die offen und lange auf Poroschenko gesetzt hat, empfing ihn nicht nur in auffälliger zeitlicher Nähe zum Wahltag. Sondern auch zu einem Zeitpunkt, als sich in den Umfragen in der Ukraine längst ablesen ließ, dass Poroschenko bald nur noch der ehemalige Präsident sein würde. Frankreichs Präsident Macron empfing beide: Poroschenko und den Komiker Wolodymyr Selenskyj, der kurz darauf mit über 70% der Stimmen zum Nachfolger Poroschenkos gewählt wurde.

Empfang für den späteren Wahlverlierer: Petro Poroschenko bei Angela Merkel in Berlin am 12. April.Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Macron geschickter als Merkel

Der französische Präsident ging damit weitaus geschickter vor als Merkel und hielt sich frühzeitig alle Optionen offen: Die Kanzlerin zeigte stattdessen eine sonderbare Loyalität zu Poroschenko, die bereits am Wahlabend in Kiew aus der Zeit gefallen wirkte. Dabei ist der Minsk-Prozess als einzig greifbarer Versuch, den offenen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine einzuhegen, eigentlich ein Erfolgsprojekt der deutschen Außenpolitik. Und den schwierigen Friedensprozess muss Merkel nun mit dem neuen Präsidenten Selenskyj am Leben halten. Der französische Präsident formulierte jetzt überraschend deutlich, dass es "Unstimmigkeiten" mit Merkel nicht nur beim Thema Ukraine gebe. Und er feuerte eine Breitseite gen Berlin: Die Bundesregierung sei in einer besonderen Situation, Deutschland stehe "wahrscheinlich am Ende eines Wachstumsmodells" und habe stark von den Ungleichgewichten im Euroraum profitiert.

Jetzt gibt es auch offiziell "Unstimmigkeiten": Angela Merkel und Emmanuel Macron.Bild: Reuters/P. Wojazer

Kritik von den eigenen Freunden wegen Nord Stream 2

Und der Spitzenkandidat von Merkels Konservativen für die Europawahl Ende Mai, der CSU-Politiker Manfred Weber, fällt der deutschen Regierungschefin ganz aktuell bei einem weiteren wichtigen Thema offen in den Rücken: beim Pipeline-Projekt North Stream 2, das Gas aus Russland direkt nach Deutschland liefern soll, vorbei an Polen und der Ukraine. Weber sagte, die Direkt-Versorgung mit Gas aus Russland sei "nicht im Interesse der EU". Darum werde er versuchen, das Projekt zu stoppen, falls er neuer Präsident der EU-Kommission werde, so Weber im Interview mit einer polnischen Tageszeitung. Die Chancen für Weber, an die Spitze der EU-Kommission zu gelangen, sind nicht schlecht. Am Freitag bekräftigte er im Zweiten Deutschen Fernsehen seine Position. Er verstehe die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage, wolle aber in Europa Verantwortung übernehmen und müsse entsprechend handeln. Projekte wie die Gaspipeline aus Russland müssten künftig "in Abstimmung mit unseren Nachbarn" wie etwa Dänemark, Polen und den baltischen Staaten, aber auch der Ukraine" entschieden werden, forderte Weber.

Vorbei an der Ukraine und Polen, Gas direkt von Russland nach Deutschland: Das umstrittene Projekt Nord Stream 2.

Die Bundeskanzlerin hatte sich dagegen lange gewehrt, anzuerkennen, was vom ersten Tag an vielen Beobachtern klar war: dass Nord Stream 2 ein hochpolitisches und eben kein "rein wirtschaftliches" Projekt ist, wie Merkel es lange Zeit formuliert hatte. Sie gab diese Linie erst auf, als ein EU-Partner nach dem anderen auf die Barrikaden ging. Immerhin war diese Erkenntnis bereits gediehen, bevor der US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, deutschen Firmen offen mit Sanktionen drohte, sollten sie weiter an dem Projekt mitarbeiten.

..und jetzt Afrika

Kommende Woche reist die Bundeskanzlerin nun nach Afrika. Ihr plötzliches Interesse für den Kontinent wuchs nach der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 und 2016. Seitdem hat Merkel milliardenschwere Entwicklungsprojekte angeschoben und offen formuliert, dass das Geld aus Deutschland dazu dienen soll, Fluchtursachen zu bekämpfen. Merkel nutzte dann auch die deutsche G20-Präsidentschaft vor zwei Jahren, um für ihren neuen Fokus auf Afrika zu werben. Seit 2015, als rund eine Million Menschen vor allem aus Syrien, dem Irak, aus Afghanistan und aus afrikanischen Ländern nach Deutschland kamen, hat sie oft eingestanden, dass der Fehler auch ihrer Regierung darin lag, die humanitäre Unterstützung für die Menschen in ihren Heimatländern nicht ausreichend beachtet zu haben. So zogen die Menschen weiter, nach Europa, nach Deutschland. Jetzt will Merkel in Afrika lokale und regionale Perspektiven schaffen. Je nachdem, wie man es betrachtet, arbeitet sie auch hier an einer Krise, die lange übersehen wurde. Oder sie setzt einen seltenen deutschen Akzent in der internationalen Politik.

Die Kanzlerin im Herbst 2016 in einer Grundschule in Niger. In wenigen Tagen besucht sie das Land erneut.Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

 

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