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Gesellschaft

Mount Everest: Tödlich schön

Marco Müller
30. Mai 2019

Der große Andrang auf dem höchsten Berg der Erde, dem Mount Everest, führt zu Bergsteiger-Staus - und zu Todesfällen. Bergführer Dominik Müller war ganz oben und spricht über die Höhen und Tiefen des Aufstiegs.

Nepal - Bergsteiger am Mount Everest
Bild: Getty Images/AFP/G. Tamang

Deutsche Welle: Der Mount Everest ist mit 8848 Metern der höchste Berg der Erde und damit natürlich auch Anziehungspunkt für viele Bergsteiger. Auch Sie haben ihn bestiegen. Wann war das?

Dominik Müller: Ich war das letzte Mal 2017 mit Kunden am Everest-Gipfel und mein Unternehmen hat über beide Routen schon mehrfach die Everest-Besteigung organisiert und hat ihn auch so im Programm - wobei wir uns jetzt entschieden haben, nur noch von der Nordseite zu gehen, aufgrund der Gefahren, die auf der Südseite zugenommen haben - was auch mit den steigenden Bergsteigerzahlen zusammenhängt. Es ist natürlich schon ein sehr sehr schönes Gefühl, wenn man weiß, man steht auf der Erde am höchsten Punkt und es geht nicht mehr höher.

Allein im Mai dieses Jahres - das ist die Hauptsaison der Besteigung - sind elf Menschen beim Versuch den Mount Everest zu bezwingen, ums Leben gekommen. Woran liegt das?

Bergführer Dominik Müller weiß um die Faszination und die Gefahren des Mount EverestBild: Petra Maier

Es sind einfach mehr Leute unterwegs. Das verkraftet der Berg. Aber das Hauptproblem ist, dass Permits [Genehmigungen zur Besteigung, Anm. d. Red.] ausgegeben werden an Personen, die einfach viel zu wenig Erfahrung haben und die an technisch schwereren Passagen dann das Tempo rausnehmen müssen, damit sie diese Passagen überwinden können. Und damit kommt es oft zu diesen Staus. Der Everest ist ja nicht einer der schwersten Achttausender, die wir haben. Aber aufgrund der Höhe ist er sehr attraktiv. Es ist der höchste Berg der Erde und da sind dann doch Leute unterwegs - als krasses Beispiel -, die lernen im Basislager manchmal das erste Mal den Umgang mit den Steigeisen. Und daher kommen die Staus, die letztendlich allen anderen zum Verhängnis werden.

Woran sterben denn die Menschen: An Sauerstoffmangel oder stürzen sie ab oder erfrieren sie?

Sowohl als auch. Die Hauptursache ist wahrscheinlich die Erschöpfung. Mit der Erschöpfung geht eine Unterkühlung einher, wenn man irgendwo im Stau steht, weil man sich nicht mehr bewegen kann. Und mit dieser Erschöpfung, wenn einem dann im Stau der Sauerstoff ausgeht, wird es eng. Wenn dann das Sicherheitskonzept und die Logistik des Anbieters nicht stimmen, dann habe ich auch keinen Ersatz-Sauerstoff oder sonstige Dinge in der Nähe. Dann sterbe ich an Höhenkrankheit.

Keine Polonäse, sondern gefährlicher Stau auf dem Mount EverestBild: AFP/Project Possible

Ist es richtig, dass man beim Aufstieg über Leichen steigen muss?

Also direkt über Leichen nicht. Aber es ist so: Auf beiden Routen - Nord- wie Südseite - liegen ein paar Meter neben der Spur in den großen Höhen Personen. Und es ist sehr sehr schwer oder manchmal fast unmöglich, die nach unten zu bekommen. Zudem ist es natürlich auch ein finanzieller Aufwand. Wer würde denn die Kosten dieser Bergung übernehmen? Aber es ist richtig: Man kommt da sehr nah an Leichen vorbei.

Ein Bereich am Mount Everest heißt "Todeszone". Wo genau liegt er und warum heißt er so?

Die "Todeszone" beginnt zwischen 7500 und 7800 Metern. Da ist es uns ohne künstlichen Sauerstoff nur noch ein paar Stunden oder Tage möglich, zu überleben. Wir sind für diese Höhe nicht gemacht. Es findet ein ständiger Zerfall dort oben statt. Wir können uns nicht mehr erholen oder regenerieren. Wir können auch nichts mehr zu uns nehmen, die Magen-Darm-Tätigkeit fährt herunter. Deswegen ist es die "Todeszone". Und natürlich auch aufgrund der Winde und der Kälte. Da spielen mehrere Faktoren in dieser "Todeszone" zusammen.

Was würde es bedeuten, wenn ich mir da oben zum Beispiel ein Bein breche? Wie könnte ich von da gerettet werden?

Nicht mit dem Hubschrauber, wie sich das viele vielleicht vorstellen. Die maximale Höhe, wo wir eine Bergung fliegen können, wird so im Moment bei 7500 bis 7800 Metern liegen, also unterhalb der letzten Lager, von denen wir Richtung Gipfel gehen. Da bin ich auf die Hilfe anderer und natürlich auf die Hilfe der Sherpas [ortskundige Einheimische, die den Bergsteigern gegen Bezahlung bei Auf- und Abstieg helfen, Anm. d. Red.] angewiesen. Zum Thema Hilfe anderer: Die Sherpas sind sehr stark, die helfen da auch. Aber was man allgemein merkt: Es sinkt die Hilfeleistung bei den Höhen-Bergsteigern - vielleicht auch ein Spiegel unserer Gesellschaft. Jeder möchte ja sein eigenes Ziel erreichen und dann ist es sehr schwierig, das eigene Ziel, den Gipfel, hinten anzustellen zu sagen: 'Ich verzichte auf den Gipfel. Aber mir ist dieser Mensch, den ich vielleicht nicht kenne, der da jetzt ein Problem hat, der ist mir wichtiger und ich möchte diesem Menschen oder der Person nach unten helfen.'

Das erleben wir in den letzten Jahren deutlich, dass das Miteinander abgenommen hat und jeder fokussiert sich nur noch auf sein Ziel, auf den Gipfel und lässt da im wahrsten Sinne des Wortes andere vielleicht sogar sterben.

Bisher sollen insgesamt 8000 Menschen den Gipfel erreicht haben und 300 Menschen dabei gestorben sein. Aktuell gibt es an einigen Stellen Halteseile für die Bergsteiger. Und Nepal plant, bis 2020 eine weitere Seilstrecke zu bauen. Wie würde das die Lage am Mount Everest verändern?

Wir haben zwei Routen. Die beiden Routen kommen am Everest-Gipfel zusammen von der tibetischen Seite und von der nepalesischen Seite. Auf beiden Routen sind über die Schlüsselstellen Fixseile verlegt, damit man, wenn man mal stolpert oder ausrutscht, nicht in die Tiefe stürzt. Wenn ich nur ein Seil habe und mir kommt einer entgegen, dann sind ja beide an diesem Seil gesichert. Irgendeiner muss sich aushängen, man muss ja aneinander vorbeikommen. Und jetzt ist eben geplant, auf der nepalesischen Seite im Gipfelbereich, wo sich diese Staus gebildet haben, in Zukunft zwei Seilstrecken zu legen - eine für den Aufstieg und eine vielleicht einen Meter daneben für den Abstieg. Dann würde das auch schon entzerren. Ich glaube, die Zahl der Toten wird dann zurückgehen. Und hoffen wir dann mal, dass auch die Stau-Situation sich verbessert.

Den Wolken so nah: Der Gipfel des Mount Everest ist der höchste Punkt der ErdeBild: picture alliance/dpa/XinHua/Zhang Rufeng

Was macht man eigentlich, wenn man oben ist?

Man genießt das Ganze. Es ist ein wahnsinniges Gefühl - auch für uns Führer. Viele fragen immer: Wieso tust Du Dir das an? Wenn man aber das Leuchten in den Augen der Leute sieht auf einem Gipfel, dann ist die Hälfte mal geschafft und spätestens im Basislager, dann darf auch mal der Sektkorken knallen und dann darf man feiern, wenn man alles hinter sich gebracht hat. Sie müssen sich ja vorstellen: Man hat über Monate trainiert, Entbehrungen in Kauf genommen. Und wenn dann das große Ziel erreicht ist, dann fällt natürlich schon auch eine große Last von den Leuten ab und die Freude überwiegt.

Wollen Sie noch mal den Mount Everest besteigen?

Selbstverständlich. Sehr wahrscheinlich nächstes Jahr. Wir haben schon einige Kunden für den Aufstieg auf den Everest. Es ist einfach ein wunderschöner Berg - jederzeit wieder.

Das Gespräch führte Marco Müller.

 

Dominik Müller ist staatlich geprüfter Berg- und Skiführer aus Oberstdorf ganz im Süden Deutschlands. Er ist Expeditionsleiter und Leiter des Unternehmens "Amical Alpin", mit dem er Expeditionen, Trekkingtouren und Alpin-Touren rund um die Welt anbietet, unter anderem auch auf den Mount Everest.

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