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Kunst

Die Mutter in der Kunst

Christine Lehnen
21. Oktober 2021

Fruchtbarkeitsgöttin, Heilige, Opfer: Eine Ausstellung widmet sich dem Bild der Mutter in der Kunst von der Renaissance bis zur Fotografie im 20. Jahrhundert.

Ein Foto zeigt eine Person auf einem Stuhl sitzend in einer exaltierten Pose.
Peter Hujars Foto "Ethyl Eichelberger in einer Fashion Pose", 1981Bild: Courtesy The Peter Hujar Archive og Pace Gallery, New York

Sie sind fingergroß und wohlproportioniert, unterstreichen die weiblichen Rundungen an Brust und Gesäß, weisen oftmals nicht einmal ein Gesicht auf. Unter verschiedenen Namen bekannt, wurde diese "Muttergöttin" als Symbol der Fruchtbarkeit über viele Jahrhunderte hinweg verehrt. In der Türkei und der Levante war sie als "Kybele" bekannt, ihr Kult setzte sich noch im Antiken Griechenland und Rom fort. Diese Darstellung der göttlichen Mutter wurde in der Moderne unter anderem vom Schweizer Bildhauer Alberto Giacometti wieder aufgegriffen.

Antonio Giacometti schuf die Skulptur "Femme-cuillère" (auf deutsch: "Löffel-Frau") in den Jahren 1926 und 1927Bild: Kunsthalle Mannheim/Elmar Witt

Erst das Christentum änderte die Darstellung der Mutter in der Kunst grundsätzlich. Mütter waren fortan nicht mehr fruchtbare Frauen, sondern Heilige. Maria, die jungfräuliche Mutter Gottes, war für Jahrhunderte die alles überschattende Darstellungsform der Mutter. Marie Laurberg, Kirsten Degel und Johan Holten, Kuratorinnen und Kuratoren der internationalen Ausstellung "Mutter!", weisen in ihrer Ausstellung auf die definierenden Eigenschaften der Mutter hin: "In der westlichen Kultur ist die Madonna mit Kind, die Jungfrau Maria, das große Urbild, das die Kunst bis heute prägt. Dieses Bild ist eng mit einer ganz bestimmten Vorstellung von Mutterschaft verbunden - der reinen und liebenden, vergebenden, alles aufopfernden Mutter."

Erst im 20. und 21. Jahrhundert, so die Kuratorinnen und Kuratoren, sei dieses Bild vielseitiger, menschlicher, realistischer geworden. Ein maßgeblicher Verdienstweiblicher Künstlerinnen. Wir stellen fünf Mütter vor, die die (Kunst-)Welt auf den Kopf gestellt haben:

1. Dieric Bouts: "Madonna mit Kind", nach 1454

Diese Darstellung der "Madonna mit Kind" von Dieric Bouts ist typisch für die niederländische Malerei des 15. JahrhundertsBild: SMK/Dänische Nationalgalerie

Den Anfang macht ein Madonnenbild: Maria im blauen Mantel, mit sanften Blick und makelloser Schönheit. Die Kuratorinnen und Kuratoren der Ausstellung "Mutter!" beschreiben dieses Bild des niederländischens Malers Dieric Bouts als "beispielhaft für Marienbilder der vergangenen Jahrhunderte. Schützend hält sie ihr Kind in den Armen - ein Bild, das unsere Vorstellung der liebenden, alles vergebenden Mutter bis heute prägt." Aber schon in diesem Porträt aus der Renaissance war der Keim des Widerstands gelegt: der Realismus und die Präzision, mit dem Maria und ihr Körper dargestellt sind, bedeuten einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur "echten" Mutter, die uns in ihrer Vielfalt in der westlichen Malerei erst ab dem 20. Jahrhundert begegnet. Und auch als Gegenbild ist diese "typische Madonna" wichtig: an ihr werden sich spätere Künstlerinnen reiben.

2. Cindy Sherman, "Untitled", 1990

Cindy Sherman griff auf die Kunstgeschichte zurück, um das passive Modell der Mutter zu demontierenBild: Cindy Sherman/Courtesy the artist and Hauser & Wirth

Cindy Shermannist eine US-amerikanische Künstlerin, die für ihre Fotografien in unterschiedliche Rollen schlüpft, von der Hausfrau aus den 1950er-Jahren bis zum modernen Popstar. In ihrer Selbstinszenierungsserie "History Portraits" stellte die Künstlerin existierende oder erfundene historische Gemälde nach - unter anderem auch eine vermeintlich klassische Mariendarstellung. Klassisch aber nur auf den ersten Blick. Marie Laurberg, Kirsten Degel und Johan Holten machen auf die absurde Inszenierung Shermans aufmerksam. "Die Schminke ist dick aufgetragen, die vermeintliche Madonna trägt eine Perücke, die Brust ist aus Plastik und das Kind starr wie eine Puppe." So bediene sich Sherman geschickt kunsthistorischer Vorbilder, um traditionelle Vorstellungen von weiblicher Identität und wie sie in der Kunst dargestellt wird, zu hinterfragen.

3. Pablo Picasso: "Mutterschaft", 1971

So stellte Picasso die "Maternité" (Mutterschaft) darBild: Musée National Picasso/Paris

Auch Pablo Picasso, ein männlicher Künstler und notorischer Frauenheld, beschäftigte sich mit dem Sujet der Mutter und ihrem Kind. Die kubistische Entfremdung des Marienporträts fällt in die frühen 1970er-Jahre, als sich die europäischen und amerikanischen Gesellschaften durch die Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen erneuerten. Alte Rollenvorstellungen der Geschlechter wurden (wieder) aufgebrochen, Frauen forderten ihren Anteil am gesellschaftlichen Leben, volle Bürgerrechte wurden nun für die ganze Bevölkerung eingefordert, nicht nur für weiße Männer. Die Mutter in Picassos Porträt sitzt mit gespreizten Beinen da, die Linien ihrer Oberschenkel werden deutlich sichtbar zum V einer Vulva. So kubistisch entfremdet ihr Gesicht, so klar tritt in diesem Gemälde wieder die fruchtbare Weiblichkeit der Muttergöttin zutage.

4. Elina Brotherus: "My Dog Is Cuter Than Your Ugly Baby", 2013

Fuck Motherhood: "Mein Hund Ist Süßer Als Dein Hässliches Baby" von Elina Brotherus.Bild: Elina Brotherus/VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Elina Brotherus ist eine finnische Künstlerin, die in ihrer Serie "Annonciation" ihren erfolglosen Versuch dokumentiert, Mutter zu werden. Das letzte Bild in der Serie ist ein Selbstporträt mit dem sprechenden Titel "My Dog Is Cuter Than Your Ugly Baby" (auf deutsch: "Mein Hund ist süßer als dein hässliches Baby"). Das Bild entstand laut der Künstlerin nach einer gescheiterten künstlichen Befruchtung. "Auf den ersten Blick erinnert die Haltung der jungen Frau an klassische Mariendarstellungen. In diesem Fall hält sie jedoch statt eines Säuglings ihren Dackel im Arm und die fürsorgliche Geste wird durch einen in die Kamera gerichteten Mittelfinger ersetzt. Brotherus konterkariert die Idee der göttlichen Mutterschaft und ergänzt die klassische Bildtradition durch den Aspekt der freiwilligen oder unfreiwilligen Abwesenheit von Mutterschaft", schreiben die Kuratorinnen Marie Laurberg, Kirsten Degel und Johan Holten. 

5. Kaari Upson: "Mother's Legs", 2020

Kaari Upsons Beitrag zur Ausstellung der Kunsthalle MannheimBild: Kunsthalle Mannheim/Elmar Witt

Eine ganz und gar abstrakte Darstellung der Mutter - oder ihrer Beine, wie es der Titel des Werkes von Kaari Upson nahelegt (auf deutsch: "Die Beine der Mutter"). Diese Installation bildet über hängende Baumstämme eine begehbaren Welt, die das Publikum erkunden kann. Die Künstlerin bedient sich für das Werk ihrer eigenen Biografie: Die Urform dieser Skulpturen geht auf eine gefällte Kiefer aus dem Vorgarten von Kaari Upsons Elternhaus zurück. In die Rindenstruktur hat die Künstlerin vergrößerte Abdrücke von menschlichen Knien integriert, abgenommen unter anderem von sich selbst und ihrer Mutter. "Die hängenden Stämme erinnern daran", so schreiben es Marie Laurberg, Kirsten Degel und Johan Holten in der Ausstellung, "wie es sich anfühlt, sich hinter den Beinen der Mutter zu verstecken". Das sei für die Künstlerin aber ein "mehrdeutiges, nicht zwingend positives Gefühl."

Dieses Werk weise darauf hin, wie schwierig es ist, Mutter zu sein, wenn man es denn einmal geworden ist: Noch immer haben viele Mütter mit dem Gefühl zu kämpfen, unerreichbare Anforderungen erfüllen zu müssen, sich niemals einen Fehler erlauben zu dürfen. Es ist ein weiter Weg von den Ikonen der perfekten Jungfrau Maria über die Porträts von Transfrauen und Drag-Queens von Peter Hujars bis zu den Baumstämmen Kaari Upsons. Unzählige Mutterbildnisse haben ihn geebnet - und unzählige weitere werden folgen. Denn, wie es Marie Laurberg, Kirsten Degel und Johan Holten ausdrücken: "Jeder und jede hat eine Mutter. Selbst wenn wir sie verloren haben, sind wir doch alle Söhne und Töchter."

Die Ausstellung "Mutter!" ist eine Kooperation des Louisiana Museum of Modern Art, dem Humlebæk, Dänemark und der Kunsthalle Mannheim. Sie ist bis zum 6. Februar 2022 in der Kunsthalle Mannheim zu sehen.

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