300.000 Tonnen Munition rotten in der Ostsee vor sich hin, schädigen Meerestiere und gefährden Menschen. Experten haben untersucht, wie gefährlich die Altlasten sind und was mit ihnen geschehen sollte.
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Deutschland: Gefahr unter Wasser
05:15
Aus den Augen, aus dem Sinn: Nach den beiden Weltkriegen wurden Unmengen an Munition einfach in der Ostsee versenkt. Zum Teil sogar nicht weit von der Küste entfernt. Damals machte man sich keine Gedanken darum, dass diese Hinterlassenschaften früher oder später zur gefährlichen Bedrohung werden könnten.
Allein in den deutschen Gewässern wird die Menge an konventioneller Munition und chemischer Kampfstoffe auf 300.000 Tonnen geschätzt. So liegt etwa direkt vor den Toren Kiels das Munitionsversenkungsgebiet Kolberger Heide - ein Sperrgebiet, in dem rund 35.000 Tonnen Seeminen und Torpedos in maximal zwölf Meter Wassertiefe und in Sichtweite zum Strand liegen.
Entscheidungshilfen für Politik und Behörden
Was soll mit den Altlasten geschehen? Lässt man sie dort liegen und nimmt in Kauf, dass giftige Substanzen langsam austreten, oder birgt man die Munition und riskiert, dass die porösen Metallkörper dabei zerbrechen oder gar explodieren?
Diese Fragen gilt es schnell zu klären, gerade wenn in den Gebieten zum Beispiel ein Seekabel oder eine Pipeline verlegt bzw. ein Windparkt gebaut werden soll.
Mit großem Aufwand haben die Forscherinnen und Forscher dazu Proben gewonnen und die Chemikalien analysiert, die aus den Munitionskörpern austreten. Das gilt für Abbauprodukte des Sprengstoffs TNT und für arsenhaltige chemische Kampfstoffe gleichermaßen.
Giftstoffe in Fischen und Muscheln
Spuren der Munition wurden in Fischen aus Munitionsversenkungsgebieten nachgewiesen. Muscheln, die in der Kolberger Heide in kleinen Netzkäfigen dem Einfluss der Munition ausgesetzt waren, reicherten TNT-Abbauprodukte an. Damit ist klar, dass giftige Stoffe aus den Bomben austreten und von den dort lebenden Organismen aufgenommen werden.
Außerdem fand das Team heraus, dass TNT für Muscheln giftig ist und bei Fischen das Erbgut schädigt, was zu Tumoren führen kann. Die empfindliche Plattfischart Kliesche weist in der Kolberger Heide tatsächlich mehr Lebertumore auf als anderswo. Ein Zusammenhang zwischen lokaler TNT-Belastung und erhöhter Tumor-Rate liege nahe, hieß es in der Erklärung.
Die Abbauprodukte von TNT seien ebenfalls erbgutschädigend, so dass die Organismen selbst dann noch der Wirkung der Munition ausgesetzt seien, wenn das schnell abbaubare TNT schon nicht mehr nachweisbar ist.
Kriegserbe: Bombenentschärfungen in Deutschland
Mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg liegen immer noch tausende Blindgänger im Boden. Kampfmittelräumdienste der Bundesländer machen jährlich bis zu 5.500 Bomben und Tonnen sonstiger Munition unschädlich.
Bild: picture-alliance/dpa/D. Bockwoldt
Chaos am Berliner Hauptbahnhof
Experten der Polizei bereiten auf dem Bild die Bombe für die Entsperrung vor. Der 500-Kilo-Sprengkörper aus dem Zweiten Weltkrieg wurde bei Bauarbeiten in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs entdeckt. Etwa 10.000 Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen, der Hauptbahnhof sowie Teile der Innenstadt sind lahmgelegt.
Bild: picture-alliance/dpa
Mega-Evakuierung in Frankfurt
Es war die bislang größte Evakuierungsaktion der deutschen Nachkriegsgeschichte: Mehr als 60.000 Menschen mussten am 3. September 2017 in der Stadt am Main ihre Wohnungen verlassen, damit die Entschärfer vom Kampfmittelräumdienst ihren Job machen konnten. Die Zeit vertrieben sich die Evakuierten unter anderem in Museen oder auf dem Messegelände, wo es Verpflegung und Liegemöglichkeiten gab.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Arnold
Weihnachten mit Hindernissen
In Augsburg mussten die Sprengmeister 2016 während der Weihnachtsfeiertage ausrücken, um einen fast zwei Tonnen schweren Blindgänger unschädlich zu machen. Nach einiger Tüftelei gelang ihnen das, und etwa 54.000 evakuierte Bewohner konnten nach zwölf Stunden erleichtert in ihre Wohnungen zurückkehren.
Bild: picture alliance/dpa/S. Puchner
Letzte Möglichkeit: Sprengung
Im August 2012 musste in München eine US-Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg kontrolliert gesprengt werden. Versuche, die 250 Kilogramm schwere Bombe zu entschärfen, waren gescheitert. Die Druckwelle der Explosion beschädigte Fassaden, viele Fenster gingen zu Bruch. Auch den Oranienburgern in Brandenburg etwa blieb 2017 nichts anderes übrig, als auf diese Weise einen Blindgänger loszuwerden.
Bild: picture-alliance/dpa
Ein gefährlicher Job
Bei einer Routine-Entschärfung explodierte im Sommer 2010 in Göttingen ein Blindgänger. Dabei kamen drei Sprengmeister ums Leben, weitere Menschen wurden verletzt. Ein paar Jahre zuvor starben auch in Wetzlar Sprengstoffexperten, als sie eine Fliegerbombe unschädlich machen wollten. Insgesamt ließen seit 2000 elf Sprengmeister bei Entschärfungen ihr Leben.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Decker
Munition auf dem Meeresgrund
Ob Minen, Bomben oder Granaten: Auch in Nordsee, Ostsee und Binnengewässern rostet noch viel Explosives aus dem Zweiten Weltkrieg vor sich hin - schätzungsweise mehr als 1,5 Millionen Tonnen. Denn so manche Munition wurde vor Kriegsende von den Deutschen versenkt, damit sie den Alliierten nicht in die Hände fiel. Anderes wurde nach dem Krieg im Auftrag der Siegermächte im Meer abgeladen.
In Koblenz, das im Zweiten Weltkrieg Ziel vieler Luftangriffe war, musste schon so mancher Blindgänger untauglich gemacht werden. Die Koblenzer mussten etwa 1999, 2011 und 2015 für Bombenentschärfungen ihre Wohnungen verlassen. Für die Entschärfung und Sprengung mehrerer Bomben im Rhein im Dezember 2011 wurden ganze 45.000 Menschen evakuiert.
Bild: picture-alliance/dpa/F. von Erichsen
2000 Kilogramm in Ludwigshafen
In Ludwigshafen wurde 1997 eine britische 40-Zentner-Luftmine gefunden. Die löste die bis zu dem Zeitpunkt größte Evakuierungsaktion der Nachkriegsgeschichte aus: 26.000 Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen, damit Experten die Entschärfung durchführen konnten.