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Mursis offene Flanke

Anne Allmeling13. Januar 2013

Der Umbruch in Ägypten hat das Land in eine Wirtschafts- und Finanzkrise gestürzt, die sich bis zu den Parlamentswahlen verstärken könnte. Präsident Mursi und den Muslimbrüdern droht dann möglicherweise ein Denkzettel.

Eine ägyptische Ein-Pfund-Münze (Foto: LSN)
Eine ägyptische Ein-Pfund-MünzeBild: picture-alliance/dpa

Ob er sich insgeheim Sorgen um die Zukunft seines Landes macht, weiß keiner so genau. Grund genug hätte Mohammed Mursi jedenfalls: Die Wirtschaft liegt am Boden, Touristen wie Auslandsinvestitionen bleiben aus, und in der vergangenen Woche hat das ägyptische Pfund ein Rekordtief erreicht. Doch der Staatschef, der bis zu seinem Amtsantritt Mitglied der islamistischen Muslimbruderschaft war, lässt sich von möglichen Sorgen nichts anmerken. Wichtiger noch als die Wirtschaft dürften ihm die kommenden Wahlen sein. In zwei Monaten sollen die Ägypter über ein neues Parlament abstimmen. Für die regierenden Muslimbrüder könnte es ein Denkzettel werden: Die wirtschaftlichen Probleme im Land sind gewaltig.

Mangel an Touristen und Investoren

Seit der "Revolution des 25. Januar", die im Februar 2011 mit dem Sturz von Präsident Husni Mubarak endete, sind die Devisenreserven um mehr als 20 Milliarden auf rund 15 Milliarden US-Dollar gesunken. Ein Grund dafür sind die ausbleibenden Touristen. Zwar war ihre Zahl nach den turbulenten Entwicklungen 2011 im ersten Halbjahr 2012 wieder gestiegen. Doch die Demonstrationen und Straßenschlachten im November und Dezember vergangenen Jahres beendeten diesen positiven Trend wieder. "Der Kulturtourismus leidet besonders", sagt Torsten Schäfer vom Deutschen Reiseverband im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Das gilt auch für den Tourismus zu den Pyramiden oder zum Nil, obwohl dort überhaupt keine Demonstrationen stattfinden. Das nachlassende Interesse von Urlaubern trifft deshalb alle, die in Ägypten im Tourismus arbeiten."

Nur noch wenige Touristen besichtigen die PyramidenBild: picture-alliance/dpa

Auch die Investoren aus dem Ausland bleiben vorsichtig. Mit ihrer Machtpolitik haben die Muslimbrüder gerade in den vergangenen Monaten bei Unternehmern aus dem Westen, aber auch aus den Golfstaaten, an Vertrauen verloren. Während die ausländischen Direktinvestitionen in den Jahren 2009 und 2010 noch bei knapp sieben Milliarden US-Dollar lagen, waren es 2011 und 2012 zusammen nur noch 1,8 Milliarden US-Dollar. Darüber hinaus hat das ägyptische Pfund in den vergangenen zwei Jahren gegenüber dem US-Dollar stark an Wert verloren. Musste man Anfang 2011 für einen Dollar noch 5,82 ägyptische Pfund auf den Tisch legen, waren es in der vergangenen Woche 6,51 Pfund - so viel wie noch nie. Sollten immer mehr Ägypter ihr Geld in Dollar umtauschen, würde der Dollar-Anteil am gesamten Bar-Vermögen im Land steigen - und damit die Talfahrt der ägyptischen Währung beschleunigen.

Schwindende Devisenreserven

Angehörige der ägyptischen Mittel- und Oberschicht verlagern verstärkt Teile ihres Vermögens in die Golfstaaten oder ziehen direkt dorthin. Das hat dazu beigetragen, dass der Immobilienmarkt im Golfemirat Dubai im vergangenen Jahr starke Zuwächse verzeichnete. Das Emirat war von der Finanzkrise hart getroffen worden. Die Krise am Nil hat nun die Krise am Golf gemildert. Der Abwanderungstrend gerade von hochqualifizierten und vermögenden Kreisen gilt allerdings nicht allein für Ägypten, sondern für alle Länder, die vom Umbruch in der arabischen Welt besonders betroffen sind.

Brot wird vom ägyptischen Staat subventioniertBild: Khaled Desouki/AFP/Getty Images

Während die Muslimbrüder in Ägypten in den vergangenen Monaten politisch immer einflussreicher wurden, haben sie die wirtschaftlichen Probleme nicht in den Griff bekommen - im Gegenteil, wie auch die ägyptische Zentralbank erkannt hat. Sie hatte zuletzt gewarnt, dass die Devisenreserven an einem "kritischen Minimalniveau" angekommen seien. Dass es noch nicht zu einem Staatsbankrott gekommen ist, haben die Muslimbrüder vor allem finanzieller Hilfe aus dem Ausland zu verdanken. So hat das Golfemirat Katar in der vergangenen Woche seine finanzielle Unterstützung auf fünf Milliarden Dollar verdoppelt - und damit unterstrichen, dass es auch weiterhin zu den Islamisten hält.

Wahlen in der Wirtschaftskrise

Darüber hinaus hofft die ägyptische Regierung auf einen 4,8 Milliarden-Dollar-Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF). Dafür muss sie allerdings bestimmten Auflagen nachkommen und Subventionen, die einen Großteil des Staatsbudgets ausmachen, streichen. Zurzeit subventioniert der ägyptische Staat unter anderem Brot und Strom. "Die Abschaffung von Subventionen wird vor allem die Schwächsten der ägyptischen Gesellschaft treffen", sagt Andrea Teti, Ägypten-Experte an der Universität Aberdeen in Schottland, im DW-Interview. "Das wird mit Sicherheit zu Protesten von verschiedenen Seiten führen: sowohl von denen, die schon in der Vergangenheit gegen die islamistische Regierung waren, als auch vom Kern ihrer Unterstützergruppen in den Provinzen."

Die steigenden Preise machen vielen Ägyptern zu schaffenBild: picture-alliance/dpa

Beobachter rechnen damit, dass die Preise für Lebensmittel in den kommenden Wochen steigen werden. Weizen und Zucker zum Beispiel werden aus dem Ausland importiert. Wenn der Wert des Pfundes weiter fällt, werden die Importe teurer. Die Ägypter könnten die Muslimbrüder bei den Wahlen für diese Entwicklung abstrafen.

Helfen könnte Mursi allerdings die Tatsache, dass der Prozess gegen den früheren Machthaber Husni Mubarak wieder aufgerollt wird, wie ein Kairoer Gericht am Sonntag (13.01.2013) bekannt gab. Mubarak war im vergangenen Jahr wegen der Mitschuld am Tod von mehr als 800 Demonstranten zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Ein neuer Prozess könnte die öffentliche Aufmerksamkeit zumindest kurzfristig von Ägyptens wirtschaftlichen Problemen ablenken - und die Menschenrechtsverletzungen unter Mubarak wieder in den Fokus rücken. Gut möglich also, dass Mursi und die Muslimbrüder von dem Prozess profitieren. Auf deren Webseite hieß es kurz nach der Bekanntgabe: Das Urteil habe "die Tür für die Hinrichtung Mubaraks geöffnet". Im Wahlkampf hatte Mursi mehrfach die Todesstrafe für seinen Vorgänger gefordert.

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