Musik für Gehörlose
14. Februar 2014 Bei einem Konzert der Rockband Keimzeit herrscht Familienatmosphäre. Die Fans kennen die Musiker, die schon vor über dreißig Jahren melancholischen DDR-Blues spielten und später die "Grateful Dead Ostdeutschlands" genannt wurden. Immer wieder ging die Potsdamer Gruppe neue Wege. Beim jüngsten Konzert in der Berliner Kulturbrauerei aber trat ein ganz ungewöhnlicher Gast auf die Bühne: Gebärdensprachendolmetscherin Laura Schwengber stahl den Musikern förmlich die Show!
Bei ihrem ersten Gastauftritt vor zwei Jahren hatte man die Dolmetscherin noch nicht angekündigt. "Die Konzertveranstalter wussten wohl nicht so recht, wie ich da rüberkommen würde!", schmunzelt Laura Schwengber. Ein Freund der Musiker war taub geworden, Keimzeit hatte sich deshalb schon seit einiger Zeit dafür interessiert, wie man Gehörlosen die Musik zugängig machen kann. Nur Konzertveranstalter spielten nicht mit.
"Die kamen mit so Zeug, dass da kein Platz für eine weitere Person auf der Bühne sein würde, dass ich von der Band ablenken würde und die Veranstaltung zu einer Show für Behinderte machen würde", sagt Laura. "Die Organisatoren hatten einfach Schiss vor der Reaktion des Publikums!"
Verbindung zum Klang
Doch es gab keinen Grund zur Besorgnis. Ob mit Keimzeit oder mit der Hamburger Rockband Selig, mit der Laura auch arbeitet - sie übersetzt nicht nur die Songtexte, sondern stürzt sich mit berauschender Energie auf die Aufgabe, das gesamte Live-Erlebnis rüberzubringen. Sogar das Mitsingen und Klatschen des Publikums nimmt die dynamische Laura auf. Sie gebärdet den Klang, formt Texte lautlos mit den Lippen und tanzt dazu. Sie spielt Luftgitarre, imitiert den Schlagzeuger und bläst die imaginäre Trompete. Sogar den Effekt eines Wah-Wah-Pedals bringt sie ins Bild!
"Ich will, dass auch gehörlose Menschen vom Konzert mitgerissen werden!", sagt die Gebärdensprachendolmetscherin. Sehr gewissenhaft beschäftigt sie sich mit den Texten, bevor sie auf die Bühne kommt. Immer ist sie bereit, auf den Moment zu reagieren. Zu improvisieren. Klar, dass taube Musikliebhaber die Musik anders erleben. Doch mit Laura Schwengber brummt die Mugge im wahrsten Sinne des Wortes. Der Körper der hörgeschädigten Fans wirkt wie ein Resonanzkörper, der die Vibrationen spüren lässt. Die ausdrucksstarke und lebhafte Zeichensprache der Dolmetscherin schafft die Verbindung zum Klang. Optische Eindrücke vervollständigen die Wahrnehmung des Publikums.
Entwicklung einer Sprache
Rund 80.000 Gehörlose und 16 Millionen Hörgeschädigte leben in Deutschland. Tendenz steigend. Doch erst seit 2001 ist die von ihnen für die Kommunikation benötigte Zeichensprache hierzulande anerkannt. Inzwischen sprechen rund 200.000 Menschen die Deutsche Gebärdensprache (DGS). Und Laura Schwengber weiß, dass sie sich Tag für Tag weiter entwickelt: "Allerdings müssten wir uns viel mehr mit sprachrelevanten Aspekten wie dem Slang von Jugendlichen oder Dialekten beschäftigen!"
Dafür ist die Gebärdensprachendolmetscherin selbst inzwischen aber viel zu beschäftigt: Auftritte mit Keimzeit und Selig, eine Produktion von "Peter und der Wolf" für Kinder in Potsdam oder die Interpretation von populären Musikvideos von Soulstar Xavier Naidoo oder Rapper Cro für den Norddeutschen Rundfunk beschäftigen sie. "Cro war ziemlich schwer", sagt Laura. "Es ist einfacher, Künstler auszudeuten, die eine bilderreiche Sprache benutzen. Rap dagegen hält sich sehr an harte Fakten."
Doch die Fans bewundern sie. "Das war eine faszinierende Erfahrung für mich", sagt die gehörlose Maren Kirschke, 14, nach einem Konzert mit Laura Schwengber und Keimzeit. "So eine Gebärdensprachendolmetscherin ist eine zusätzliche Attraktion im Konzert - auch für Menschen die hören können. Die sind völlig fasziniert, kommen danach zu mir und wollen von mir alles über gehörloses Leben und über die Gebärdensprache wissen. Das hat mich echt gewundert. Aber das war schön!"